Ein netter Kerl

425 9 0
                                    

Oberhof, Januar 2015:

„Bald sind wir da.." Meine beste Freundin Jana riss mich aus meinen Gedanken.

Wir waren auf dem Weg nach Oberhof zum Biathlon-Weltcup. Um 6 Uhr waren wir aus unserem kleinen Ort in der Nähe von Köln losgefahren. Die ganze Woche wollten wir in Oberhof verbringen. Beide mochten wir Biathlon sehr gerne, waren aber bisher nur einmal auf Schalke gewesen. Dies war schon vier Jahre her. Nie hatten wir es bisher geschafft. Erst war es die Schule, dann die Ausbildung bei mir und bei Jana das Studium. Endlich hatte es in unser beider Planung gepasst. Die Vorfreude war groß und wir wollten einfach nur Spaß haben. Die deutschen Athleten sollten von uns nach vorne gebrüllt werden.

„Endlich haben wir es geschafft... ich freue mich so sehr..." Ich grinste sie an.

„Du warst viel zu lange traurig..." Jana betrachtete mich von der Seite. Sie hatte mehr als Recht.

Das letzte Jahr hatte mehr als nur an meinen Nerven gezerrt. Meine jahrelange Beziehung war in die Brüche gegangen. Mein einstmals liebevoller Freund hatte sich in ein einen mir unbekannten Mann verwandelt. Er wollte, dass ich den Kontakt zu meiner Familie abbrach. Ich sollte nur ihm gehören. Alles in mir wehrte sich dagegen. Ich liebte meine Familie und wollte diese nicht aufgeben. Eines Tages musste ich dann auch noch feststellen, dass meine vorher intakte Beziehung schon sehr lange Risse aufgewiesen hatte. Lucas, mein Ex, hatte mich betrogen. Inflagranti erwischte ich ihn eines Donnerstagabends im April des vergangenen Jahres. Betrug konnte ich nicht ab und brachte das Fass zum überlaufen. Ich trennte mich auf der Stelle von ihm. Er war so in Rage, dass er anfing mich zu schlagen. Es war das erste Mal, dass er das tat. Ein Schlag traf mich im Gesicht. Es brannte und tat höllisch weh. Wie konnte er nur so werden? Irgendwoher nahm ich die Kraft und schlug ihn zurück. Er taumelte ein wenig. In diesem Moment schnappte ich mir meine Handtasche und verschwand aus unserer Wohnung.  So schnell wie ich konnte fuhr ich heim. Alles in mir drängte zu meiner Familie. Sie würde mir Schutz gewähren. Meine Mama ließ mich verweint wie ich war ein. Keine Sekunde zögerte sie  und fuhr mit mir ins Krankenhaus.

Es waren zum Glück nur blaue Flecken, die verheilen würden, aber meine Seele war schwer beschädigt. Wie hatte ich über drei Jahre nur so blind sein können?! Die Liebe zu Lucas hatte mich die Dinge nicht klar sehen lassen.

Mein Bruder Markus war außer sich vor Wut. Lucas war ein guter Freund und Schulkamerad von ihm gewesen. Er kündigte ihm die Freundschaft auf und machte sich sehr große Vorwürfe. Über ihn hatte ich Lucas kennengelernt. Markus konnte nichts dafür. Ich versuchte meinem Bruder das klar zu machen. Er sah nur meinen Kummer und glaubte als großer Bruder versagt zu haben. Mit der Zeit konnte ich ihn davon überzeugen, dass er nichts hätte ändern können. Schließlich war ich mit Lucas zusammen gewesen.

Gemeinsam mit Papa holte Markus meine Sachen bei Lucas aus der Wohnung.

Mehrmals versuchte mein Ex mich zu erreichen. Innerhalb von wenigen Tagen hatte ich meine Handynummer geändert. Auch bei meinen Eltern tauchte er mehrmals auf. Papa und Markus waren zum Glück immer da. Beim letzten Mal alarmierten wir die Polizei und erwirkten ein Näherungsverbot. Lucas durfte sich mir nicht mehr nähern. Seit dem Vorfall waren fast zwei Monate vergangen.

Der Schmerz saß tief. Ich hatte zu viel Zeit meines Lebens mit einem Ungeheuer verbracht. Würde ich je wieder richtig lieben oder einem Mann vertrauen können?

„Oberhof soll ein Neuanfang werden. Viel zu lange habe ich mich runter ziehen lassen."Jana streichelte meinen Arm. Wir standen an einer roten Ampel. „Jetzt genießen wir nur noch."

Liebe auf der ÜberholspurWo Geschichten leben. Entdecke jetzt