Aufziehende Wolken

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Den Oktober bekamen wir gut über die Bühne. Jeden Tag bekam ich Bilder vom Dachstein geschickt. Nie versäumten wir es zu telefonieren, auch wenn es mal nur für fünf Minuten war. Hauptsache ich hörte seine Stimme einmal am Tag. Ihm ging es da nicht anders. Nicht nur Benni schickte mir Bilder. Auch meine drei Mädels -Luise, Franzi und Maren- schickten ab und zu was in unseren Gruppenchat. Diesen hatten wir in Ruhpolding eröffnet. So hatte ich das Gefühl irgendwie doch mit in Österreich zu sein.

Bei mir zu Hause ging alles den gewohnten Gang. Neben der Arbeit und Penny schrieb ich emsig Bewerbungen für den 01.04.2016. In Freiburg und Umgebung gab es einige interessate Job, die mich reizten. Bevor ich keinen Job hatte wollte ich aber nicht zu Benni ziehen. Ich wollte Geld verdienen und ihm nicht auf der Tasche liegen, da ich selbstständig war und es so für uns beide besser passen würde. Was sollte ich den ganzen Tag alleine in seiner Wohnung, wenn er beim Training oder beim Studium war?! Benedikt verstand dies gut und suchte nebenher auch für mich. Er wollte mich unterstützen und schickte mir viele Stellenbeschreibungen zu.

Die Mannschaft hatte Glück mit dem Wetter und so konnte sie viele Skikilometer auf dem Gletscher zurücklegen. Der Lehrgang wurde zu aller Zufriedenheit ein voller Erfolg und Benni wurde von Mark Kirchner endgültig für die ersten drei Weltcup Orte nominiert. Mein Freund sich sehr und ich mich mit ihm. Ein guter Auftakt in Östersund würde ihm noch mehr Sicherheit geben und ihn einen großen Schritt Richtung WM 2016 nach Oslo bringen. Mark war schon immer ein großer Befürworter von Benni und war über die letzte Saison sehr zufrieden. Aus mehreren Gesprächen mit den anderen Athleten wusste ich, dass Benni nicht immer so im Fokus für den A-Kader gewesen war. Er hatte sich diesen Platz über Jahre hart erkämpfen müssen. Nach seinem Debüt 2012 in Khanty-Mansiysk als Gesamt-Siegers des IBU-Cups war er viele Male nicht mitgenommen worden, obwohl er Leistungen im IBU-Cup zeigte.  Vor Olympia 2014 konnte er sich nicht zeigen, trotz dass er im Jahr davor mit Platz sechs im Einzel und einer hervorragend gelaufenen ersten Staffel bei der Generalprobe in Sotschi sehr gute Ansätze gezeigt hatte. Nie hatte er geklagt, sondern weitergemacht und für seinen Startrecht weitergekämpft. Sein Kampfgeist war stärker gewesen als alles andere und das hatte Mark sehr beeindruckt. Das Einzige, was Benni noch immer ein wenig im Weg stand war sein Stehendschießen. Schon im Junioren-Bereich war dies sein Schwachpunkt gewesen. Mit seinem hervorragenden Laufen hatte er so manche Strafrunde rausgelaufen.

Jana hatte es sich zur Aufgabe gemacht sich in den drei Monaten ohne meinen Freund sich meiner besonders anzunehmen. Schließlich waren Benni und ich das erste Mal so lange als Paar getrennt und sie wollte nicht, dass ich zu viel alleine war, um nicht zu einsam zu sein und um abends noch was zu unternehmen. Wir gingen oft essen oder ins Kino. Jedoch musste sie mit der Zeit zu ihrer Freude feststellen, dass ich mich sehr gut schlug. Zwar vermisste ich Benedikt mit jedem Tag ein wenig mehr, aber unsere Facetime-Telefonate gaben mir sehr viel. Vor allem weil ich ihn sehen konnte und seine Stimme hörte. Ihm ging es ähnlich.

Der November kam und so auch der Beginn der Weltcup-Saison. Nun waren es nur noch gut vier Wochen bis unserem Wiedersehen am 2. Weihnachtstag. Von Pokljuka war es besser direkt in den Schwarzwald zu fahren und von da aus dann zu mir. Weihnachten sollten wir beide bei unseren Familien verleben.

Bennis erster Einzelstart in Östersund war 02.12.2015. Los ging es mit dem Einzel über 20 km mit 4 Schießeinheiten. Von der Arbeit schaffte ich es so pünktlich nach Hause, dass ich noch mit Penny ausreiten konnte. Schnell sprang ich noch unter die Dusche und setzte mich mit einem warmen Tee bei mir auf die Couch. Vor dem Start war ich nicht so nervös. Samstags hatte Benni eine sehr gute Leistung in der Mixed-Staffel gezeigt und war mit einem Nachlader ausgekommen. Mit Startnummer zwei würde er heute ins Rennen gehen. Die Bedingungen am Schießstand schienen machbar zu sein. Jedoch wurden meine Hoffnungen hierauf schnell zerstört. Benni kam nicht richtig in den Wettkampf rein und er verkrampfte vollkommen beim Schießen. Vor allem beim letzten Anschlag brach er ein. 3 Fehler im Stehendanschlag. MIt insgesamt 6 Fehlern beendete er den Wettkampf auf Platz 46 ohne Weltcup-Punkte. Würde ich ihn aufbauen können?  Es war eine ganz neue Situation für mich und ich vermutete, dass er geknickt sein würde.

Als ich Benni zu unserer verabredeten Zeit via Facetime anrief, erblickte ich einen zutiefst unzufriedenen Benedikt. So hatte ich noch nie gesehen. Jetzt war Fingerspitzengefühl gefragt. Normalerweise konnte ich mich gut in Menschen hineinversetzen.

"Benni...", setzte ich zaghaft an. "mach dir nicht so viele Vorwürfe. Das wird schon wieder. Vielleicht hättest du nochmal neu ansetzen können beim letzten Anschlag..."

Was nun folgte hätte ich im Traum nie dran gedacht. Bennis Blick wurde sauer und er schien sich zusammenreißen zu müssen.

"Willst du jetzt etwa mein Trainer sein?! Mark hat mir schon tolle Ratschläge gegeben. Du nicht auch noch!"

"Ich will dir helfen", versuchte ich ihn zu beruhigen.

"Helfen", schnaubte er. "Du hast nie diesen Sport ausgeübt und meinst mir Tipps geben zu können. So einfach ist das nicht."

"Was soll diese Laune, Benedikt?" Nun wurde auch ich gereizt. "Ich bin mir dessen bewusst und will dich einfach nur verstehen und dich unterstützen. Was du gerade abziehst...!"

"Vielleicht will ich einfach keine Hilfe... Lass es sein, Carolin. Ich kann das gerade nicht gebrauchen." So wütend hatte ich nie gesehen.

"Komm runter, Benedikt. Du benimmst dich gerade wie ein bockiges Kind. Im Moment bist du nicht, der Mann, den ich kennengelernt habe!", konterte ich ihn.

"Vielleicht kennst du mich gar nicht richtig!", spie er zurück.

"So hat es keinen Sinn weiter mit dir zu reden..", sagte ich zischend.

"Dann lass es doch sein..." Gleichgültig hob er seine Schultern.

"Melde dich erst wieder, wenn du wieder du selbst bist, Benedikt Doll!" Ich war so wütend auf ihn.

"Dann leg doch einfach auf, wenn du mich nicht ertragen kannst. Mich das bockige Kind..", schrie er mich beinahe an.

"Du bist nicht du selbst und siehst nicht die helfenden Hände, die sich dir entgegenstrecken...mach dich doch selber kaputt. Ich stehe immer hinter dir, Benedikt! Aber nicht so!", schrie ich zurück.

"Lass es sein!!!", gab er wütend zurück.

"Mache ich!"

Mit diesen Worten legte ich wutentbrant auf.

Kaum war sein Gesicht verschwunden traten mir Tränen in die Augen. Bennis Wut hatte mich sehr getroffen. Was gut gemeint gewesen war, war in einem heftigen Streit von uns beiden geendet und ich sah nicht ein mich bei ihm zu entschuldigen. Benedikt hatte zu gemacht und mich ausgeschlossen. Selbst beruhigende Worte hatten ihn nicht sanfter werden lassen und unsere beiden Dickköpfe waren das erste Mal voll einander getroffen.

Nach dem missglückten Telefonat kam nichts von ihm. Keine Nachricht - nichts. Auch wenn mich dieser Streit voll getroffen und mitgenommen hatte, wollte ich vor ihm nicht einknicken. Trotz meiner Zurückhaltung konnte ich es nicht verhindern, dass ich mich abends in den Schlaf weinte. Ich war sehr traurig und konnte in der Nacht kaum schlafen. Immer wieder tauchte der wütende Benedikt vor meinem inneren Auge auf.

Würden Benni und ich uns wieder vertragen können?



Liebe auf der ÜberholspurWo Geschichten leben. Entdecke jetzt