XVII. Lost

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Morgen würde ich mit meiner Tante mitgehen und dennoch hatte ich es getan. Ich hatte Theo hereingelassen und jetzt saß er hier. Vor mir. In meinem Wohnzimmer.

Er hatte mich auf den neusten Stand gebracht.

Nolan, der unscheinbare Junge, war einer von ihnen. Einer der Jäger.

Ich biss mir auf die Wange, während ich mit leerem Blick in den Kamin starrte. Ich fand die Situation gerade mehr als unangenehm, denn ich war immer noch so wütend auf Theo und vor allem verletzt wegen ihm.

Ich hätte am liebsten geschrien vor Frust.

Ehe ich mich versah, bahnte eine Träne ihren Weg von meiner Wange hinunter.

„Weinst du?", fragte Theo schockiert und setzte sich neben mich, weswegen ich aufstand.

Er seufzte.

„Ich weiß, ich hätte das nicht tun dürfen", murmelte er dann, was mich nur noch mehr aus der Haut fahren ließ.

„Das ist keine Entschuldigung!", sagte ich schnippisch.

Wieder seufzte er und stellte sich vor mich.

„Es tut mir leid", brabbelte er möglichst überzeugend, jedoch kaufte ich es ihm nicht ab.

Ich sprach meine Gedanken aus: „Du lügst und ich weiß es"

Er sah mich überrascht an, bevor sich etwas in seinem Blick veränderte. Er war wütend. Ich hatte ihn ehrlich gesagt noch nie wirklich wütend gesehen. Zumindest war er es nie auf mich.

„Ich brauch nun mal auch meinen Freiraum!", schrie er mir ins Gesicht.

„Das ist genauso dumm, wie wenn du sagen würdest: ‚Es liegt nicht an dir, es liegt an mir.' Wenn du Schluss machen willst, dann hab wenigstens den Arsch in der Hose und sag es gerade heraus!", schrie ich ihn an.

Eine unangenehme Stille kehrte ein. Das einzige, was ich vernahm, war Theo Herzschlag, der sich immer mehr beruhigte. Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus.

„Irgendwann wirst du ein Mädchen oder einen Frau finden, die nicht so verletzlich ist wie ich und bei der du nicht so viel Rücksicht nehmen musst wie bei mir, aber wird sie dich dann auch so sehr lieben wie ich es getan hab'?
Du wirst definitiv eine finden, die dich nicht so sehr braucht wie ich und für die du nicht oft da sein musst, aber wird sie dann auch so an dich glauben wie ich es getan habe? Als niemand es tat?
Du wirst jemanden finden, der dir mehr Freiraum gibt und alles viel lockerer sieht, aber wird diese Person dann auch auf dich warten, wie ich es getan hab?
Du wirst eine finden, die nicht so sehr klammert wie ich, aber wird sie dann auch so um dich kämpfen wie ich es immer getan habe?
Du wirst eine finden, die neu ist, mit der du noch nie gestritten hast, mit der alles leicht und einfach ist, aber wird sie das tun, was ich getan habe? Wird sie dir helfen, wenn du sie brauchst? Wird sie versuchen an deiner Seite zu bleiben und all die schlimmen Dinge mit dir durchstehen? Wird sie dich unterstützen, dich in den Arm nehmen, wenn du es brauchst? Wird sie wissen, wann es besser ist, dich in Ruhe zu lassen oder dir bei zu stehen? Wird sie dir das geben können, was du brauchst? Wird sie dir diese bedingungslose, aufrichtige und ehrliche, nicht vergiftete Liebe geben können, die du sonst nur von mir bekommen hast?
Ich weiß, ich bin schwierig, aber alles hat seinen Preis. Ich bin so, weil ich dich über alles geliebt hab.", erklärte ich ihm dann und er sah mich erstaunt an.

„Liebst du mich nicht mehr?", fragte er mich beinahe gekränkt.

Lange sah ich ihm in die Augen, ohne wirklich zu wissen, was ich nun sagen sollte. Aber was brachte es ihn anzulügen? Lügen hatten bekanntlich schon immer kurze Beine, was die letzte Zeit, in der immer mehr Leute vom Übernatürlichen erfuhren, erneut bewiesen hatte.

„Ich weiß es nicht.", sagte ich mit fester Stimme, „Ich kann es dir wirklich nicht sagen."

Theo schien zu überlegen. Sein Blick glitt immer wieder zum Boden und wieder zu mir, bevor er mir tief in die Augen sah und durchatmete.

„Okay", war alles war er sagte.

„Okay?" fragte ich überrascht.

„Es ist okay, Alicia. Man hat dich in letzter Zeit so oft verletzt und auch ich gehöre zu diesen Personen. Es ist okay, dass du unsicher bist. Es wäre auch okay, wenn du mir sagen würdest, dass du nichts mehr für mich empfinden würdest. Es wäre alles okay, solange ich weiß, dass es dir mit deinen Entscheidungen gut geht", erklärte er mir, bevor er sich seine Jacke schnappte.

„Ich sollte gehen", murmelte er, weswegen ich nickte und mich mit einem kurzen Winken von ihm verabschiedete.

Als ich die Haustür zu gehen hörte, atmete ich zum ersten Mal wieder richtig tief durch.

Ich hatte ihn gehen lassen und ich wusste, dass es richtig war.

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