"Bist du bereit?"
Yoongis Frage klang wie ein Scherz. Natürlich war ich das nicht, stattdessen hatte ich das Gefühl, dass ich jetzt sofort aus dem Fenster gegenüber von mir springen sollte, obwohl dort hindurch nicht einmal mein Kopf passen würde. Trotzdem nickte ich. Yoongis Blick war immer noch auf seinem Handy gerichtet. "Gut, sie alle sind auf dem Weg hierher."
Option Fenster stand immer noch offen. Vielleicht wenn ich mich ganz klein machte, passte ich hindurch.
Mein Fluchtplan wurde unterbrochen, als sich abermals die Tür öffnete und diesesmal wusste ich das meine Schonungsfrist vorbei war.
All die Jahre, als ich einen Namen unterdrückt hatte, der trotz allem so bedeutungsschwer war, hatte ich mir eine heile Welt aufgebaut. Eine Welt, die ganz ohne ihn, perfekt funktioniert hatte, aber ich wusste, wenn ich in diesen wenigen Sekunden, die die schneeweiße Tür brauchte, um sich zu öffnen, sein Gesicht erblicken würde konnte ich ihn nicht mehr verdrängen und erst recht nicht aus meinem Leben streichen.
Das erste Gesicht was auftauchte, erkannte ich sofort (Yoongi hatte mir in den zwanzig Minuten sämtliche Bilder von seinen Mitgliedern gezeigt und genauestens erklärt wer wer war). J-hope, echter Name Jung Hoseok, warf mir ein höfliches lächeln zu, verbeugte sich leicht und rief noch ein überfröhliches "Hallo" hinterher. Er blickte kurz irritiert zu Yoongi, der sich seinen Kaffee wiedergeschnappt hatte, den er mir vorhin gegeben hatte und jetzt daran genüsslich nippte.
Zweites Gesicht. Kim Namjoon, RM. Eine weitere höfliche Begrüßung und ein weiterer verwirrter Blick Richtung Yoongi. Dritte Gestalt war Park Jimin. Die Wirkung auf den Fotos war nichts im Gegensatz zur Realität. Ein schüchternes lächeln legte sich auf seine Lippen, aber seine Ausstrahlung, die Präsenz seiner Hübschheit erfüllte den ganzen Raum. Direkt hinter him erschien Jeon Jungkook. Er schaute nur kurz in den Raum, ehe er sich lässig neben Hoseok niederließ, der nach seinem Handy gegriffen hatte und darauf herum tippte. Mein Magen drehte sich und langsam bekam ich das Gefühl, dass sich mein Mageninhalt in wenigen Sekunden auf den Boden verbreiten würde. Genau in dem Moment, als ich hektisch Yoongis Getränk aus seinen Händen schnappte (was mir mehrere überraschte Blicke von den bereits anwesenden Leuten bescherte, aber ich brauchte etwas zwischen meinen zittrigen Fingern, sonst würde ich komplett ausrasten) betrat Kim Seokjin den Raum. Ebenso hübsch wie die anderen Jungs. Und natürlich musste der letzte Kim Taehyung sein. Mein Leben war ein einziges K-Drama.
Ich hatte gedacht keiner konnte Seokjins oder Jimins Hübschheit schlagen, aber Kim Taehyung übertraf alles. Er war pure Schönheit.
Ich hatte ihn gar nicht so in Erinnerung. Das einzige was in meinem Kopf hängen geblieben war, war sein warmes, schelmisches lächeln, aber ihn jetzt so zu sehen, so anders, so überirdisch hübsch, trieb mir beinahe die Tränen in die Augen.
Oh, wie viel Zeit wir miteinander vergeudet hatte. Ich dachte an die Zukunft, die wir gehabt hätten, wenn er mich nicht einfach so verlassen hätte, aber diese Vorstellung zersprang schlagartig, als seine Augen auf mir verweilten.
Die zuvor freundlichen Gesichtszüge von vorhin, verrutschten vollkommen. Er blieb komplett stehen, den Türknauf immer noch fest umklammert, während ich nach Worten suchte, die zur unseren Situation irgendwie angemessen waren. Aber mein Kopf war wie leergefegt und die Zeit blieb stehen. Bis sich Taehyung wieder bewegte. Sein Blick wurde kühler, ehe er sich sich wieder weiterbewegte, mich leicht begrüßte und sich anschließend steif neben Park Jimin niederließ, der wie jeder andere die unangenehme Spannung zwischen uns wahrzumehmen schien.
Ich spürte einen Stich in der Nähe meines Herzen, mein Brustkorb zog sich schmerzhaft zusammen und ich fühlte mich wie damals, als ich das leere Zimmer erblickt hatte, in dem nur das einsame Nirvana Poster gehangen hatte. Mich räuspernd griff ich in meine Tasche, holte das Aufnahmegerät, meinen Notizblock, mehrere Kugelschreiber heraus, während ich einen hilflosen Blick zu Yoongi schickte.
Ich hätte ihm wichtigere Fragen stellen sollen. Wie zum Beispiel wieso Taehyung damals so uhrplötzlich gegangen war oder ob er vielleicht meinen Namen erwähnt hatte, aber das einzige an was ich gedacht hatte, war mich nicht zu blamieren.
"Leute, das ist Im Danbi, eine alte Freundin von Tae und mir.", ergriff Yoongi das Wort, weil ich es immer noch nicht fertig brachte irgend einen Satz aus meinen Lippen zu zwängen. Ich sollte schleunigst meine Professionalität zurückgewinnen.
Gerade eben als ich meinen gesamten Mut zusammengekratzt hatte, um etwas zu sagen, schnitt mir Taehyung das Wort ab.
"Wir waren keine Freunde. Das waren wir nie."