Um vier Uhr morgens fing das schreien an. Es war schon öfters passiert, dass Raoul Sunny anschrie, aber Sunny war immer still gewesen, aber heute war es anders. Heute schrie sie. Ich presste meine Hände verkrampft auf meine Ohren, mein Herz pochte laut, beinahe so laut wie Sunnys Schreie. Ich fühlte mich wie gelähmt. Diese Schockstarre hing sich in meine Knochen fest, ließ mich nicht los. Ich wusste nicht was ich tun sollte. Meine Gedanken überschlugen sich. Ich hatte Angst. Ich wusste nicht, ob ich Angst um Sunny hatte oder Angst davor etwas zu tun, was sich als großer Fehler herausstellte.
Aber ich wollte etwas ändern. Das hatte ich mir fest vorgenommen. Und es ging um Sunny. Meine beste Freundin, das Mädchen, das immer versuchte mich aufzumuntern, obwohl es ihr selbst so viel schlechter ging.
Sunnys Klagelaute waren verstummt, kurz darauf folgte ein dumpfes pochen.
Fahrig sprang ich aus meinem Bett und rannte aus meinem Zimmer. Kurz vor Sunnys und Raouls Raum hielt ich stockend inne. Ich konnte da nicht einfach so unbewaffnet reinstürmen. Raoul war geschätzt zwei Meter groß und ich war ein winziger Zwerg im Vergleich. So schnell wie möglich sprintete ich in die Küche und holte eine Kopfgroße Pfanne aus einem der Schränke. Wahrscheinlich hätte ich eine bessere Waffe gefunden, wenn mein Kopf klarer gewesen wäre, aber ich war es nicht. Ich fühlte mich selbst so völlig irre, wie ich da vor dieser verdammten Tür stand und in meinem Kopf bis zehn zählte, um mir selber Mut zu zusprechen.
Als ich die Tür aufstieß, fing ich selber an zu kreischen. Meine Stimme überschlug sich und brach ab, dennoch hörte ich nicht auf.
Sunny lag zusammengekauert auf den Boden, die Hände schützend vor ihrem Gesicht. Ihre gesamte Haltung, die angezogenen Knie, ihre Wange, die sich an ihre Schulter presste und ihre leeren Augen, ließen mich fast weinen. Raoul stand vor ihr, übermächtig und groß und wie er seine Faust anhob, zeigte mir, was er gerade eben vorgehabt hatte. Verdattert starrte er mich an.
"Verschwinde!", fauchte ich und schwenkte bedrohlich mit meiner Pfanne herum. Stolpernd wich er zurück.
"Spinnst du?!"
"Ich sagte verschwinde, du Arschloch!"
Ich wusste nicht ob ich ihn wirklich treffen wollte, aber ich hatte verdammt viel Lust ihm eine rüber zu braten. Ich wusste nicht was mit mir los war, wahrscheinlich war es das Adrenalin, das durch mein Blut rauschte, aber ich zwang Raoul dazu, mit der schwingenden Pfanne in meiner Hand immer weiter zurück zu gehen. Er stolperte sogar über seine eigenen Füße, weil er seinen noch immer verdatterten Blick fest auf meine Waffe gerichtet hatte. Ich hätte wirklich ein Messer nehmen sollen...
Schließlich trieb ich ihn fluchend, ich hatte in meinem Leben noch nie so viele Schimpfwörter aufeinmal gesagt, aus unserer Wohnung.
"Schließ ab.", flüsterte eine zitternde Stimme hinter mir. Ich ließ die Pfanne sinken und schob den Riegel vor die Tür. Kurz darauf wurde gegen die Tür gehämmert. Ich zuckte vor dem Geräusch zusammen und Sunny packte reflexartig nach meiner Hand.
"Sunny, mach die Tür auf! Ich schwöre dir, ich bring dich um! Mach die Tür auf!"
Ich griff nach Sunny und schlang meine Arme fest um ihren Körper.
"Hier ist Danbi, du Mistkerl. Und ich schwöre dir, wenn du hier noch einmal auftauchst, ruf ich die Polizei."