Der Omega fühlte sich sichtlich unwohl. Er hatte seine Arme vor seinem Bauch verschränkt und seine Hände tief in die Seiten seines Oberteils vergraben. Seit ihrem Aufbruch hatte er seine Lippen wieder zusammengepresst, so sehr, dass sie irgendwann weiß angelaufen waren, aber er dachte gar nicht daran, sie zu lösen. Er würde nicht derjenige sein, der das Schweigen brach. Sein Herz pochte wie wild in seiner Brust und seine Schritte wurden von einem unsicheren Zittern begleitet, das ihn hin und wieder bereits zum Stolpern gebracht hatte. Zum Glück hatte er sich dabei bis jetzt nicht verletzt. Anfangs war Elijah zu ihm geeilt, um nach dem Rechten zu sehen, doch jedes Mal wenn er auch nur ansatzweise den Omega stützen oder auffangen wollte, wurde er von einem Knurren abgewiesen, bis er es irgendwann unterließ. Tobias kam das sehr entgegen, denn seine Nervosität steigerte sich ins Unermessliche, wenn der Alpha ihn berührte. Durch das Stolpern und Straucheln des Omegas kamen sie nicht besonders schnell voran. Oft musste Elijah stehen bleiben und auf ihn warten. Ihr Weg führte sie am Waldrand entlang. Von Schattenwölfen oder Vampiren war keine Spur, doch sie blieben aufmerksam, sich der lauernden Gefahr bewusst. Ein halber Tagesmarsch lag hinter ihnen, als sie beschlossen ihr Lager für die Nacht zu errichten. Es war das erste Mal, dass sie wieder miteinander redeten, doch sie blieben kurz angebunden und darauf bedacht, den anderen so wenig wie möglich anzusehen.
Elijah begann daraufhin im Wald ein wenig Holz für ein Feuer zu sammeln, Tobias hatte dafür die Aufgabe übernommen einige Felle, die Elijah eingepackt hatte, zu einer angenehmen Liegefläche auszubreiten, auf der sie übernachten würden. Der Omega war sich unsicher, ob er überhaupt ein Auge zubekommen würde, denn die Felle waren zwar weich, aber nicht sonderlich dick, so dass man den harten Boden trotzdem spürte. Sein Rücken würde spätestens nach ein paar Stunden rebellieren. Ohnehin machte ihn Elijahs Nähe viel zu nervös. Besagter Alpha hatte das gesammelte Holz in der Zwischenzeit zu einem kleinen Feuer entfacht und sich anschließend am anderen Ende der Felle im Schneidersitz niedergelassen, den größten möglichen Abstand zu Tobias wahrend. Die Flammen spiegelten sich in seinen dunklen Pupillen wieder und der Omega kam nicht umhin, sich in diesem Anblick zu verlieren. Er hätte zu gerne gewusst, an was der Alpha gerade dachte, was ihn beschäftigte. Doch Elijah war für ihn ein Buch mit sieben Siegeln, das er einfach nicht lesen konnte. Immer wenn er glaubte ihn besser kennenzulernen, ihm näher zu kommen, schien der Alpha ihn von sich zu stoßen.
Dabei sehnte sich der Omega so sehr nach jemandem, der sein Leid teilte, der ihn verstand, der ihm zuhörte. All das, was ihm über Jahre gefehlt hatte. Er hatte geglaubt diesen jemanden in Elijah gefunden zu haben. Benjamin mochte glauben, dass ein Gespräch ihnen helfen würde. Tobias sah das anders. Seine Enttäuschung reichte zu tief. Er war bereit gewesen Elijah in sein Leben zu lassen, hatte ihm von seinen Sorgen und Ängsten erzählt, hatte ihn an etwas teilhaben lassen, dass er vor der Welt verschlossen gehalten hatte. Nur um wieder einmal festzustellen, dass er nur verletzt wurde, wenn er sein Herz öffnete.
„Ich werde wahnsinnig."
Kurz hatte Tobias geglaubt, er selbst hätte diese Worte gesagt, hatten sie ihm doch die ganze Zeit auf der Zunge gelegen, doch es war Elijah, der sie aussprach. Der Alpha massierte seine Stirn gestresst mit der einen Hand. Immer noch ins Feuer starrend.
„Wenn du nicht bald mit der Sprache rausrückst, werde ich dich zum Reden zwingen", zischte Elijah in einer Wut, die Tobias so noch nicht an ihm gesehen hatte. Sie überraschte ihn. Überforderte ihn. Den ganzen Weg über hatte Elijah verschlossen gewirkt, aber nicht wütend und nun sprudelte es geradezu aus ihm heraus. Er wirkte unkontrolliert, beinahe grob, als er sich durch die eigenen Haare fuhr und Tobias fürchtete, er würde sie herausreißen. Stattdessen ließ er sie los und formte seine Hände zu Fäusten, die unruhig auf seinen Beinen zum liegen kamen.
„Du sollst reden, Tobias! Oder bist du jetzt nicht nur stumm sondern auch taub?", er schrie mittlerweile, wie er es noch nie getan hatte. Er war lauter als Miles. Angsteinflößender. Eine gewisse Ähnlichkeit zu James aufweisend.
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Gefangen
WerewolfTobias hat mit dieser Welt seit langem abgeschlossen. Den Angriffen und Beleidigungen seiner Rudelmitglieder schutzlos ausgesetzt, gibt es für ihn nichts, wofür es sich zu leben lohnt. Bis auf seinen kleinen Bruder. Um diesen zu schützen ergibt sich...