Gemeinsam hatten sich Tobias und der Vampir auf den Rückweg zum Rudelhaus gemacht. Miles hatte sich allem Anschein nach in der Zwischenzeit nicht von seinem Sessel getrennt, denn er lag noch in derselben Position in diesem. Seine Mundwinkel hatten sich nach unten verzogen, ganz offenkundig unzufrieden über seine derzeitige Lage. Als er Tobias sah, wurde er sofort aufmerksam und wandte sich dem Omega zu.
„Und wie war das Training? Hast du deine Wolfsform annehmen können?", fragte er interessiert, bevor sich seine Augenbrauen besorgt zusammenzogen, „Viel besser siehst du immer noch nicht aus."
„Er hat ja auch den ganzen Tag noch nichts gegessen", nahm Benjamin Tobias in Schutz und klopfte ihm dabei unterstützend auf die Schulter. Sein Kopf zuckte unauffällig in Elijahs Richtung, doch Tobias kam seiner Aufforderung nicht nach. Er war noch nicht bereit mit Elijah zu sprechen.
„Es hat nicht funktioniert", flüsterte der Omega stattdessen leise und ließ sich auf einem Stuhl nieder, um stumm die Musterung des Esstisches zu betrachten.
„Mach dir nichts daraus", sagte Cassandra, die gerade aus der Küche kam und ihm dabei einen Apfel in die Hand drückte, „So etwas braucht Zeit. Irgendwann wird es schon klappen und jetzt iss etwas, das Training war sicherlich anstrengend."
Tobias verschwieg ihr, dass er die meiste Zeit eigentlich Benjamin gelauscht hatte und biss in den Apfel, da sein Magen tatsächlich zu knurren begonnen hatte. Er ignorierte Elijah, der vom Sofa aufstand und sich direkt neben den Omega setze, woraufhin sich dieser anspannte, aber immer noch kein Wort von sich gab.
„Und was habt ihr in den letzten Stunden getrieben?", fragte Benjamin und versuchte die Stimmung etwas aufzulockern.
„Während Miles nichts tuend in der Gegend rumlag", Cassandra wurde kurz von dem ärgerlichen Brummeln des Betas unterbrochen, das sie gekonnt überging, „Hat uns ein Rabe erreicht. Meine alte Lehrmeisterin hat ihn entsendet, um uns darüber zu informieren, dass es ihr gelungen ist, einen Kontakt zu den Urhexen herzustellen. Die Urhexen gestatten uns einen Besuch, aber sie haben diesem nur zugestimmt, weil sie wissen, dass Tobias unter uns weilt. Sie wollen ihn unbedingt sehen und haben den Besuch deshalb an die Bedingung geknüpft, dass er bei ihnen erscheinen soll."
„Könnten sie auch Informationen darüber haben, wie es mir leichter fallen könnte, mich zu verwandeln?", hakte Tobias nach.
„Ich halte es zu mindestens für möglich, die Urhexen sind mächtig und haben über die Jahre viel Wissen über magische Wesen gesammelt."
Tobias nickte. „Dann werde ich ihre Bedingung erfüllen und sie aufsuchen."
„Moment! Es steht außer Frage, dass du alleine zu den Urhexen aufbrichst", fuhr Elijah dazwischen, „Nicht in deinem jetzigen Zustand."
Der Omega presste seine Lippen zusammen, wissend, dass Elijah über die Szene am See sprach und es ärgerte ihn ungemein, dass der Alpha ihm dies nun vorhielt. Er war kein kleines Kind mehr, auf das man aufpassen musste. Außerdem hatte er sich vorgenommen weiter zu kämpfen.
„In dieser Hinsicht besteht kein Grund zur Sorge", antwortete er daher gereizt, „Ich habe nicht mehr vor, mich umzubringen. Nicht, bis wirklich alle Hoffnungen verloren sind."
„Trotzdem hat Elijah recht", unterbrach Cassandra ihn sanft, „Es ist viel zu gefährlich, dich allein loszuschicken. Das Dorf der Urhexen liegt in den Bergen, ein paar Tagesmärsche von hier entfernt. Überall könnten Vampire oder Schattenwölfe lauern, auf der Suche nach dir. Daher ist es ohne Schutz viel zu gefährlich. Nur scheidet Miles, den ich eigentlich dafür vorgeschlagen hätte, für diese Aufgabe leider aus. Durch sein ständiges Gezappel sind seine Rippen schief zusammengewachsen, so dass ich sie erneut brechen musste. Dadurch wird seine Heilung länger dauern als gedacht."
„Ich zapple überhaupt nicht", entfuhr es Miles trotzig.
„Und ob. Und ständig hast du versucht aufzustehen, um nach Tobias zu sehen. Das habe ich genau gesehen, also versuche gar nicht erst, es zu leugnen."
Eingeschnappt zischte der Beta und seine Hand zuckte dabei erneut zu seinen Rippen, die dabei wohl wieder angefangen hatten zu schmerzen.
„Was ist mit Nat?", schlug Benjamin vor.
„Ich halte ihn für zu schwach für diese Mission. Er ist nur ein Gamma und wäre im Ernstfall nicht in der Lage, Tobias vor einem Haufen Schattenwölfe zu verteidigen", wies Cassandra den Vorschlag ab.
„Und Benjamin?", Tobias sah hoffnungsvoll zu dem Vampir, dem er mittlerweile vertraute und den er als eine angenehme Reisebegleitung einschätzte.
„Keine gute Idee. Die Schattenwölfe und Vampire haben nicht davor zurückgeschreckt auch die Urhexen anzugreifen, seitdem sind sie auf beide Arten nicht unbedingt gut zu sprechen. Es ist ein Wunder, dass sie uns überhaupt empfangen", antwortete Cassandra, woraufhin für einen Moment Schweigen herrschte.
Tobias Mund war mittlerweile staubtrocken und nur mit Mühe konnte der Omega ein Zittern unterdrücken. Nicht Elijah, war das Einzige, was er denken konnte. Eine Reise mit dem Alpha, mit dem er im Augenblick ja nicht einmal sprach, würde grauenhaft werden. Zum einen, war ihr Verhältnis zueinander gerade auf dem Tiefpunkt und zum anderen hatte Tobias große Angst davor, was passieren würde, wäre er für ein paar Tage mit dem Alpha auf sich allein gestellt. Bis jetzt war es ihm gut gelungen, seine beginnenden Gefühle für Elijah zu verdrängen, doch er bezweifelte, dass er auf der Reise dazu noch in der Lage sein würde. Es würde für ihn keinen Ausweg, keine Fluchtmöglichkeit geben. Sie würden reden müssen, so wie Benjamin es ihm geraten hatte. Nur hatte er blanke Panik vor diesem Gespräch. Es war das Eine, Elijah belauscht zu haben, aber von ihm Angesicht zu Angesicht zu hören, dass er sich nur für den weißen Wolf interessierte, würde den Omega erneut in ein tiefes Loch stürzen.
„Und wenn du mich begleitest?", fragte Tobias leise an die Hexe gewandt.
„Das könnte ich tun", erwiderte sie ganz zu seiner Freude, die sogleich wieder verflog, als Elijah mit seiner flachen Hand auf den Tisch schlug. Tobias zuckte heftig zusammen und wäre beinahe vom Stuhl gefallen, hätte er sich nicht in letzter Sekunde an die Sitzfläche geklammert.
„Das kommt überhaupt nicht in Frage", donnerte der Alpha, „Du musst hierbleiben, um Miles Genesung zu überwachen. Außerdem gibt es niemanden im Dorf, der eine solche Heilfähigkeit besitzt wie du. Sollte es zu einem Überraschungsangriff kommen, bist du die Einzige, die die Verletzten richtig behandeln kann. Deshalb werde ich Tobias begleiten."
Tobias schnappte nach Luft, da sich seine schlimmsten Vorstellungen zu bewahrheiten schienen.
„Was ist mit dem Rudel? Du bist der Anführer, du kannst es nicht schutzlos zurücklassen", warf Benjamin ein.
„Bei dieser Mission geht es um die Sicherheit des Rudels. Je mehr Informationen wir bekommen, desto schneller lässt sich vielleicht auch der Krieg beenden. Außerdem verbleibt Miles hier, er ist immerhin mein Stellvertreter und ich weiß, dass er die richtigen Entscheidungen treffen wird, sollte etwas Unvorhergesehenes passieren", woraufhin alle bis auf Tobias zustimmend nickten.
Der Omega war in sich zusammen gesunken und kauerte nur noch auf seinem Stuhl, seinen Kopf in die entgegengesetzte Richtung von Elijah geneigt.
„Am besten wir brechen sofort auf. Umso schneller sind wir auch wieder da", beschloss der Alpha und erhob sich, bevor er Tobias ansah, „Ich werde ein paar Sachen packen und dich dann abholen. Brauchst du etwas Bestimmtes für die Reise?"
Tobias schüttelte nur wie betäubt mit seinem Kopf, bis Elijah in sein Schlafzimmer verschwand und ihn verzweifelt zurückließ. Wie sollte er diese Tage bloß überstehen? Aus den Augenwinkeln konnte er Benjamin aufmunternd lächeln sehen und wünschte sich augenblicklich, er würde die Zuversicht des Vampirs teilen. Doch er bereitete sich auf das Schlimmste vor, als Elijah schließlich mit zwei Rucksäcken erschien, einen davon Tobias gab und sie sich von den anderen verabschiedeten.
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Tja, das lief wohl anders, als Tobias sich das gewünscht hatte. Aber dafür hat man auf so einer Reise ja viel Zeit zum Reden & ... für andere Dinge eben xD
Es ist leider wieder ein etwas 'langweiligeres' Kapitel geworden, doch dafür stehen einige Elijah-Tobias-Szenen in Aussicht <3
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Gefangen
WerewolfTobias hat mit dieser Welt seit langem abgeschlossen. Den Angriffen und Beleidigungen seiner Rudelmitglieder schutzlos ausgesetzt, gibt es für ihn nichts, wofür es sich zu leben lohnt. Bis auf seinen kleinen Bruder. Um diesen zu schützen ergibt sich...