Elijahs Knurren erklang, der Alpha reckte das Kinn und baute sich zu seiner vollen Größe auf, die Zähne gebleckt, die bereits denen eines Wolfs entsprachen, doch noch hielt er seine vollständige Gestalt zurück.
„Wie ihr sicherlich wisst, ist die Verwandlung in einen weißen Wolf an einige Schwierigkeiten geknüpft", gab er zischend von sich, „also lasst uns ein!"
Doch die Hexe lachte nur kurz und freudlos, warf dabei das rote, lange Haar zurück und funkelte ihn aus schadenfrohen grünen Augen an. „Er muss bereit sein, für das, was ihn hinter diesen Mauern erwartet. Also nein, entweder ihr liefert uns den Beweis, oder die Mauer wird sich wieder verschließen."
Elijah rang sichtlich mit sich, sich nicht auf sie zu stürzen, war sie im Grunde doch nichts mehr, als ein simpler Wächter, der zwischen ihnen und ihrem Ziel stand, aufgrund ihres jungen Alters nicht einmal selbst eine Urhexe und trotzdem war sie in der mächtigeren Position. Es würde nichts bringen, sie anzugreifen. In diesem Fall würde ihnen erst recht kein Eintritt gewehrt werden.
So blieb dem Alpha nichts anderes übrig, als sich Tobias zuzuwenden, der kraftlos auf dem Boden kniete. Seine Wangen, die zuvor in Elijahs Gegenwart noch geglüht hatten, waren nun schneeweiß und jeder Farbe beraubt. Eigentlich wollte Tobias schreien. Nur war seine Kehle dafür im Moment zu eng. Die Worte fehlten ihm. Er wünschte sich die Wut zurück, die ihn beim Training begleitet und es ihm ermöglicht hatte, seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Nur überwog ein weiteres Mal die Verzweiflung. Wie sollte er eine Bestimmung erfüllen, die sich als unmöglich herausstellte? Wie der weiße Wolf sein, auf den alle warteten, wenn er im Inneren nur eine gebrochene Seele war? Die Hexe lag vollkommen richtig: Er musste bereit sein für dieses Schicksal. Aber er war es nicht. Das Schicksal hatte sich den Falschen ausgesucht. Er eignete sich nicht, würde diese Verwandlung niemals meistern. Tobias war kein Krieger. Nicht einmal annähernd so stark wie Miles oder Elijah. Sie hätten weiße Wölfe werden sollen. Nicht er.
„Sieh mich an", flüsterte Elijah, der sich zu ihm gekniet hatte und sein Kinn ergriff.
„Es ist hoffnungslos", antwortete Tobias bloß, „Ich kann es nicht."
„Sieh mich an", wiederholte der Alpha, bis der Kleinere endlich seiner Anweisung nachkam, „Ich habe versprochen dich in deinem Weg zu unterstützen. Und ich werde bestimmt nicht so leicht aufgeben. Ich weiß, dass du es kannst, Tobias. Der weiße Wolf steckt in dir, er ist ein Teil von dir. Wir müssen es bloß schaffen, dass du eine Verbindung zu ihm aufbaust."
„Nur wie?", die Stimme des Omegas drohte zu brechen, während er sich gegen Elijahs Finger lehnte, die ihm den so dringend benötigten Halt gaben.
„Ich denke, dass du Cassandras Empfehlungen folgen solltest. Ich weiß auch, dass es nicht geklappt hat, als du dich an Ereignisse erinnert hast, als du jemanden beschützen wolltest. Vielleicht reicht es nicht aus. In beiden Situationen hast du schnell handeln müssen, rückbetrachtet sind sie für dich mit Stress und Angst verbunden. Du musstest fürchten, dass Sam oder mir etwas geschehen würde. Erinnerst du dich, was ich dir über die weißen Wölfe erzählte?"
„Du hast gesagt, dass sie Beschützer sind, deren Kraft aus ihrem Herzen erwächst."
„Genau. Ich möchte, dass du dich vor allem auf den zweiten Aspekt konzentrierst. Die Kraft in deinem Herzen. Ich will nicht, dass du Erinnerungen wach rufst, die dich verletzt haben, sondern an welche denkst, bei denen die Freude deinen Herzschlag beschleunigte oder zum Aussetzen brachte. Glückliche Momente, die stark genug sind, daraus Kraft zu schöpfen."
Der Omega nickte zögerlich, als Zeichen, dass er verstanden hatte, aber er zweifelte noch. Selbst, als er zweimal seine Wolfsform angenommen hatte, hatte er sich nicht eins mit ihr gefühlt. Der weiße Wolf war ihm fremd. Wie ein Teil von ihm, den er immer versteckt und nie wahrgenommen hatte.
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Gefangen
WerewolfTobias hat mit dieser Welt seit langem abgeschlossen. Den Angriffen und Beleidigungen seiner Rudelmitglieder schutzlos ausgesetzt, gibt es für ihn nichts, wofür es sich zu leben lohnt. Bis auf seinen kleinen Bruder. Um diesen zu schützen ergibt sich...