Die Mannschaft der Areion beklagte sich nicht mehr über die lange Reise, sie sehnten nicht mehr jenen blauen zerbrechlichen Planeten herbei, dessen Anblick einer der kostbarsten Momente eines jeden von ihnen gewesen war. Die Mannschaft der Areion langweilte sich nicht mehr und nahm keinerlei Notiz von der schier endlosen Schwerelosigkeit des Raums. Die Mannschaft der Areion war genügsam geworden, sie aßen nicht, sie tranken nicht und sie verließen ihre Arbeitsstationen nicht. Die Mannschaft der Areion war allein.
Das leuchtend grelle Gelb seines Druckanzugs war verblasst und mit einer dünnen Schicht aus gefrorenem Schmutz überzogen, aber Eric Fields wurde, der Schwerelosigkeit trotzend, von seinen Gurten in die ergonomisch geformte Schale seines Pilotensitzes gedrückt. Sein Blick ruhte auf dem vorderen Fenster des keilförmig zulaufenden Cockpits, an dessen Ende die beiden Piloten ihre Plätze eingenommen hatten. Der Kopf des zweiten Piloten war in Richtung der Armatur geneigt, die aus mehreren Bildschirmelementen bestand, deren schwarz matte Oberfläche gänzlich von Raureif bedeckt wurde. Die an der Decke über den beiden Raumfahrern befestigte Linse für holographische Projektionen war in einer Position festgefroren, die auf den leeren Raum zwischen den Sitzen zeigte. Das in die Fenster eingearbeitete Headup – Display war in ausgeschaltetem Zustand nicht sichtbar, eine dünne Eisschicht verwehrte den Piloten den Blick in die dunkle Unendlichkeit. Risse und Einschläge in beiden Frontscheiben konnte man auch durch das Eis hindurch noch gut erkennen, doch rund fünfundzwanzig Schichten aus unterschiedlichen Spezialgläsern und Kunststoffen leisteten auch den größeren Meteoriten erbitterten Widerstand. Rechts neben Eric hatte einer der beiden Missionsspezialisten seinen Platz, ein gebürtiger Ukrainer Namens Juri Radwanov. Im Gegensatz zu Ben und Eric hatte Juri das Gurtsystem nicht angelegt und verharrte reglos im Raum, an seinem Arbeitsplatz hielt den Astrophysiker die Sauerstoffverbindung seines Druckanzugs an der linken Hüfte. In der mit Abstand unkomfortabelsten Position verharrte der Kommandant der Mission, Steven Wright, dessen Sitz das Gegenüber zu Juris Pult bildete. Stevens Kopf war seitlich eingedreht, in Richtung des vorderen Fensters, der rechte Arm war ausgestreckt und wirkte als wollte er einen Gegenstand zwischen den Pilotensitzen erreichen. Obwohl kein Licht von außen ins Cockpit drang und im Inneren der Areion keine Lampe, kein Bildschirm oder Projektionsgerät mehr leuchtete starrten alle im Cockpit in die endlose Dunkelheit.
Die Mannschaft der Areion hatte nichts mehr außer ihrer Mission, keine Familien, keine Freunde und keine Angst vor dem Tod.
Die Form des Schiffes glich der eines alten Atom-U-Boots, dessen vorderes Ende durch die stromlinienförmige Nase eines Verkehrsflugzeuges ersetzt wurde, allerdings befanden sich am Heck keine Schiffsschrauben, sondern die kreisrunden Schubdüsen des Ionentriebwerks. An Stelle eines Turms besaß die Areion einen ovalen Aufbau. An der Oberseite prangten die Kacheln eines Hitzeschildes. Die eigentliche Stärke der Konstruktion lag in ihrer Schlichtheit und der massiven Panzerung, die den gesamten Schiffskörper vor dem lebensfeindlichen Vakuum schützte. Trotz einer Länge von 110m und einem Gewicht von über 500 t, wirkte dieser Koloss beinahe elegant, während er mit einer Geschwindigkeit von etwas mehr als 40 000 km/h durch den luftleeren Raum glitt. Ihren Namen verdankte die Areion der hochentwickelten KI an Bord, welche äußerst präzise auf Sprachbefehle reagierte und jeden Dialog oder Monolog der sieben Mannschaftsmitglieder analysierte, sie war dadurch in der Lage den Eindruck eines denkenden Gegenüber zu simulieren. Der KI Kern befand in der Sektion II hinter dem Cockpit des Schiffes und wurde vom Missionsspezialisten Oleg Uljanakov betreut. Oleg hatte, wie die Besatzung der Cockpitsektion, den internen Druckanzug angelegt. Die Versorgungsschläuche gingen vom Hüft und Bauchbereich in die entsprechenden Versorgungsports des Schiffes über. Der Druckanzug der russischen Besatzungsmitglieder war nicht gelb sondern weiß und mit roten Streifen an den Gelenkabschnitten versehen. Die Druckanzüge aller Besatzungsmitglieder, waren Maßanfertigungen, die sowohl einen plötzlich einsetzenden Druckverlust, als auch die Beschleunigungskräften beim Durchbrechen einer Atmosphäre ausgleichen konnten. Unter einer massiven Staubschicht war in kyrillischen Lettern an der Aufhängung für Uljanakovs Druckanzug das Wort Skaphander verborgen, es waren die kleinen unscheinbaren Dinge, die den Unterschied zwischen einem Astro- und einem Kosmonauten ausmachten. In seinem Skaphander hielt der Kosmonaut Oleg den Rahmen der Mainboardhalterungen umklammert und blickte ernst auf die übereinandergeschichteten Platinen. In der mittleren Sektion des Schiffes waren die Instrumente und Versuchsaufbauten untergebracht, außerdem befand sich hier der Übergang zum Landemodul. Zwischen den Apparaturen, Bildschirmen und eingefrorenen Experimenten schwebte die Missionsspezialistin Emilia Schönfeld schwerelos im Raum, sie hatte als einziges Besatzungsmitglied ihren Druckanzug nicht angelegt. Emilias Körper war durch nichts mit dem Schiff verbunden, sie trug lediglich den blauen Arbeitsoverall und umklammerte mit der rechten Hand eine Blume während sie bewegungslos in der Schwerelosigkeit verharrte.
Die Mannschaft der Areion redete nicht mehr miteinander, sie lachten nicht mehr und der Ausdruck in ihren Gesichtern blieb unverändert. Die Dunkelheit hielt das Schiff fest umklammert, in keiner Sektion brannte auch nur das kleinste Lämpchen und an Bord herrschte eisiges Schweigen. Aber fast am Ende ihrer Reise, gelangte die Areion in die Nähe eines Roten Zwergsterns und aus der Finsternis wurde Licht.
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Areion - Das letzte Echo
Ciencia FicciónWofür opfern wir unsere Freiheit? Wer verteidigt eine Gesellschaft gegen ein skrupelloses Regime? Auf dem weit entfernten Planeten Cyrill erleben die Bewohner eine Krise und tiefgreifende gesellschaftliche Umbrüche, bis eine Entdeckung alles verän...