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Seitdem Vorfall in Sport ignoriert Miss Hill mich komplett, als wäre ich Luft. Sie sagt nichts, wenn ich zu spät in die Französischstunde komme oder wenn ich einen blöden Spruch bringe. Das nervt mich ziemlich.

„Heute sprechen wir über die Klassenfahrt nach Toronto", beginnt sie.

Sofort fangen einige an zureden oder sich zu melden. Diese blöde Fahrt habe ich total verdrängt. Die Info haben wir schon vor vier Wochen bekommen, aber bisher habe ich mich nicht damit beschäftigt. Meine Mutter hat die Erlaubnis unterschrieben und keine Fragen dazu gestellt. Wahrscheinlich ist es ihr ganz recht, dass ich ein paar Tage weg sein werde. Damit war die Sache für mich erledigt. Miss Hill und Mr Marin haben diesen Ausflug gemeinsam geplant. Mr Marin, der Geographielehrer, sieht es als Chance ein anderes Land zu besuchen und Miss Hill ist wohl der Meinung, dass wir so etwas französisch lernen. Ich bin wenig begeistert von der Sache.

Miss Hill fängt an die Fragen einiger zu beantworten und erzählt ein wenig über die Pläne vor Ort. Langweilige Wanderungen, noch langweiligere Museumsbesuche und anderer Kram. Nichts spannendes. Aber was erwartet man auch von einer Klassenfahrt.

„Wollen wir uns ein Zimmer mit Naomi und Lucy teilen?", will Katie von mir wissen.

„Ganz bestimmt wollen wir das nicht", antworte ich zynisch.

Das wäre doch der pure Albtraum. Mit irgendwem muss ich mir ein Zimmer teilen, aber bloß nicht mit der nervigen Katie. Alles ist mir lieber als das. Am liebsten wäre es mir natürlich mit Miss Hill, aber die ignoriert mich ja. Mal sehen, ob ich jetzt tatsächlich machen kann, was ich will. Ich bezweifele, dass sie mir jetzt alles durchgehen lassen kann. Schnell packe ich meinen Block in meinen Rucksack und nehme meine Jacke.

„Was machst du da?", will Katie wissen und hält mich am Arm fest.

„Ich gehe", sage ich mit einem teuflischen Grinsen auf den Lippen.

Ich hab bei der Sache nichts wirklich zu verlieren. Entweder Miss Hill hält mich auf, womit klar ist, dass sie mich nicht endlos ignorieren kann oder ich habe eine Freistunde. Ich bemühe mich nicht unauffällig zu sein, als ich mich durch den Saal bewege und geradewegs auf die Tür zu steuere.

„Setz dich sofort wieder hin Tessa!", ermahnt Miss Hill mich harsch.

Sie spricht etwas zu laut, sodass ich im ersten Moment etwas zusammen zucke. Langsam drehe ich mich zu ihr um und grinse sie an. Sie nimmt mich also doch wahr.

„Okay", stimme ich zu.

„Und bleib nach der Stunde noch kurz da", fügt sie noch hinzu.

Ich setze mich wieder hin und Miss Hill fährt mit ihrem Unterricht fort. Zufrieden lehne ich mich auf meinem Stuhl zurück. Mein Plan hat funktioniert.

„Was sollte das denn?", fragt Katie mich flüsternd.

Ich antworte einfach nicht, da ich es erstens schlecht erklären könnte und zweitens geht es sie nichts an. Als ich nicht antworte schiebt sie mir einen Zettel zu, den ich, ohne ihn zu lesen, zerknülle und von meinem Tisch kicke. Miss Hill plappert vor sich hin, aber sie wirkt etwas abgelenkt. Na hoffentlich bin ich der Grund weswegen sie sich Gedanken macht. Sie teilt einen Zettel aus auf dem die genauen Infos zur Fahrt stehen und die Dinge, die wir mitbringen sollen. Ohne den Mist zu lesen, packe ich das Blatt weg. Den kann ich immer noch lesen, wenn es so weit ist.

„Seid bitte am Freitag pünktlich um 8 Uhr da", ruft Miss Hill, als es klingelt und die ersten ihre  Sachen zusammenpacken und gehen.

Ich bleibe sitzen und verschränke die Arme vor der Brust. Miss Hill blickt aus dem Fenster auf den Schulhof. Es dauert einige Minuten, bis alle weg sind.

„Und? Haben sie es sich doch anderes überlegt und wollen sich meine Wenigkeit nicht entgehen lassen?", necke ich sie.

Meine Lehrerin dreht sich zu mir um. Miss Hill blickt mich ernst an. Ihre blonden Haare hat sie heute zu einem Dutt zusammen gebunden. Mir ist aufgefallen, dass sie wenn sie nervös ist mit ihren Haaren spielt, aber das geht jetzt nicht.

„Du kannst nicht einfach machen, was du willst. Das muss aufhören", sagt sie und geht nicht darauf ein, was ich gesagt habe.

Während sie spricht vermeidet sie es mich direkt anzusehen. Sie weicht ständig meinem Blick aus.

„Ich weiß nicht was sie meinen", antworte ich und stelle mich dumm.

„Das weißt du ganz genau. Du wirst heute nachsitzen."

Sie reicht mir einen gelben Zettel, den ich später beim Nachsitzen abzeichnen lassen muss.

„Wenn sie die Aufsicht haben, gerne."

Schon wieder geht sie nicht auf mich ein. Es macht mich wütend, dass sie so tut, als würde sie mir nicht zuhören.

„Mr Lee hat heute Aufsicht."

Bitte nicht der. Mr Lee wird mich keine Sekunde aus den Augen lassen. Er kann mich nicht leiden und nach der heutigen Diskussion in Mathe hasst er mich bestimmt. Manchmal sollte ich meine Klappe halten, aber das gelingt mir nie.

„Kann ich an einem anderen Tag nachsitzen? Vielleicht wenn sie da sind?", will ich wissen und meine es ernst.

„Du wirst heute nachsitzen", bestimmt Miss Hill. „Und wenn du noch weiter mit mir darüber streiten willst, dann kannst du auch gleich noch morgen nachsitzen."

Am liebsten würde ich den verschissenen Wisch fürs nachsitzen in den Müll werfen. Das kann sie doch nicht wirklich von mir verlangen.

„Das tun sie doch nur, weil ich versucht habe sie..."

Ich komme nicht dazu meinen Satz zu beenden, da Miss Hill mir ins Wort fällt.

„Sei leise!"

Wie will anscheinend nicht, dass jemand Wind davon bekommt, aber mir ist das sowas von egal.

„Wieso? Weil niemand erfahren soll, dass sie es eigentlich wollten, aber einfach nur Schiss hatten?", provoziere ich sie weiter.

„So ist das nicht", widerspricht sie mir.

„Ach und wie ist es dann?", will ich wissen.

„Da ist gar nichts und jetzt geh' , sonst muss ich mich mal mit deiner Mutter über dein Verhalten unterhalten", droht sie mir.

„Das können sie von mir aus gerne versuchen. Die Telefonnummer steht sicher in meiner Schulakte."

Miss Hill wird tausend Mal zuhause anrufen können, aber es wird niemand rangehen. Nicht, weil meine Mutter kein Interesse daran hat sich mit meinen Lehrern zu unterhalten, sondern weil das Telefon schon seit geraumer Zeit kaputt ist und weder meine Mom noch ich, es wirklich brauchen.

„Sie wollen sich doch nur nicht eingestehen, dass sie auf mich stehen", werfe ich ihr an den Kopf.

Miss Hill erwidert nichts darauf, aber sie hat auch keine Zeit dazu, weil ich sie einfach eiskalt stehen lasse. Soll sie sich meine Worte doch mal durch den Kopf gehen lassen, während ich mich beim Nachsitzen mit Mr Lee herum ärgern muss.

Silent kissesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt