-11-

4.3K 200 0
                                    

Nach gefühlten einhundert Stunden in einem muffigen Bus sind wir endlich da. Ich habe mich schon gefragt, wann wir endlich ankommen würden. Mr Marin verkündet das offensichtliche, nämlich dass wir unser Ziel erreicht haben. Wow. Einige klatschen und jubeln und drängen sich dann aus dem Bus. Ich warte bis die meisten ausgestiegen sind und nehme dann meinen Rucksack. Unsere Unterkunft scheint etwas zwischen Jugendherberge und Hotel zu sein. Die meisten Bewohner scheinen aber Schüler zu sein. Mr Marin wartet vor dem Eingang während Miss Hill nirgends zu sehen ist. Bestimmt kümmert sie sich um die Anmeldung. Die meisten haben ihre Koffer aus dem Stauraum geholt und sitzen jetzt darauf. Simon steht neben mir. Anscheinend hat er mich als seine neue beste Freundin auserkoren. Einige Mädchen reden darüber mit wem sie gerne ein Zimmer teilen möchten und mit wem nicht. Die Jungs nehmen das ganze lockerer, was auch der Grund ist, wieso ich nur männliche Freunde habe. Die sind einfach nicht so kompliziert.

„Her gehört Leute", ruft Miss Hill durch das Geplapper.

Sofort verstummen die meisten und blicken sie neugierig an. Ich verschränke die Arme vor der Brust und tue so, als wäre es mir egal, dass sie da ist. Heute morgen habe ich mich bemüht extra freundlich zu ihr zu sein. Mein heutiger Plan ist es sie etwas zu verwirren.

„Mr Marin und ich haben entschieden, dass wir bestimmen werden, wer sich ein Zimmer teilt. Wir haben die Zimmer schon eingeteilt und werden sie jetzt vorlesen", sagt sie.

Einige beklagen sich lautstark, aber Mr Marin bringt sie sofort wieder zum schweigen, damit Miss Hill anfangen kann ihre Liste durchzugehen. Sie fängt mit den Jungen an, da die wohl weniger Widerstand leisten werden. Sie verteilt die Zimmerkarten und die meisten verschwinden, um ihre Zimmer zu besichtigen. Als endlich die Mädchen an der Reihe sind, wird es spannend. Viele jammern rum, als sie erfahren mit wem sie in einem Zimmer sind. Katie wird vor mir aufgerufen und ich bin zum Glück nicht in ihrer Gruppe. Glück gehabt.

„Clarissa Miller, Amber Neill, Tessa Davis und Emily Green."

Seufzend schiebe ich mich an ein paar Mädchen vorbei und nehme Miss Hill kommentarlos die Zimmerkarten ab. Die anderen drei folgen mir in die Eingangshalle. Clarissa verfolgt den Gothicstil und trägt dem entsprechend nur schwarze Kleidung und für meinen Geschmack zu viel Eyeliner. Das seltsamste ist aber, dass sie eine weiße Kontaktlinse auf dem rechten Auge hat. Irgendwie finde ich das ganze cool. Sie macht ihr eigenes Ding und kümmert sich nicht darum, was die anderen denken. Bisher habe ich noch kein Wort mit ihr gewechselt, was wahrscheinlich damit zutun hat, dass man sie immer mit ihrem Gothic-Freund abhängt. Die zwei anderen Mädels sind ziemlich 0815 und langweilig. Emily ist in meiner Französischklasse, aber sie sagt nie etwas. Über Amber kann ich nur sagen, dass ich sie jetzt schon nicht mag.
Ich gebe den anderen jeweils ihre Karte.

„Zimmer 207", murmelt Emily und geht los.

Wir andere folgen ihr schweigend. Keiner von uns scheint große Ambitionen zu haben mit dem anderen zu reden. Was für eine Kombi das hier doch nur ist. So lange die anderen mir nicht auf die Nerven gehen werden, soll es mir recht sein. 0815-Emily findet die Tür und öffnet sie mit Hilfe der Zimmerkarten. Drinnen erwartet uns ein Doppelbett und ein Doppelstockbett. Na super. Das Zimmer ist nicht besonders groß. Am Fenster steht ein kleiner Tisch mit zwei Stühlen. An der Wand sind kleine Schränke und das Bad ist ziemlich winzig. Gerade mit dem nötigsten ausgestattet.

„Ich werde ganz sicher nicht mit einer von euch in dem Bett zusammen schlafen", mache ich gleich klar und werfe meinen Rucksack auf die obere Etage des Stockbetts. Dort habe ich wenigstens meine Ruhe.

Die anderen reden kurz miteinander und kommen zu dem Entschluss, dass Amber und Emily sich das Doppelbett teilen und Clarissa unter mir schlafen wird. Bisher kann ich mich nicht beklagen, aber ich bin auch erst seit fünf Minuten mit den anderen  zusammen. Bestimmt braucht Amber morgens drei Stunden im Bad oder so. Ich klettere auf mein Bett und wühle in meinem Rucksack herum.

„Wie lange haben wir Zeit, bis wir uns wieder unten in der Lobby treffen?", fragt Amber in die Runde.

„Eine halbe Stunde", antwortet Clarissa, die am Tisch sitzt und mit ihrem Handy beschäftigt ist.

Emily wühlt in ihrem Koffer herum und verschwindet dann im Bad, um sich umzuziehen. Ich beschäftige mich schweigend mit mir selbst.

„Drehst du dir da oben gerade wirklich einen Joint?", will Amber nach einer Weile entsetzt von mir wissen.

„Wieso denn nicht?", gebe ich zurück.

Amber liegt auf dem Bett und mustert mich fragend. „Vielleicht, weil Drogen verboten sind?"

„Denkst du wirklich, dass mich das interessieren würde?", erwidere ich genervt.

Es interessiert mich kein bisschen, was erlaubt ist und was nicht. Außerdem wird Miss Hill mich schon nicht nachhause schicken und Mr Marin wird es nicht mitbekommen. Ich bin ja schließlich nicht so dumm und rauche in Anwesenheit von meinen Lehrern. Zumindest nicht wenn Mr Marin in der Nähe ist. Bei Miss Hill ist das was anderes. Sie weiß ohnehin, dass ich kiffe und wird sich denken können, dass ich es auch hier mache.

Die halbe Stunde vergeht ziemlich schnell. Jeder von uns macht sein eigenes Ding. Ich gehe noch schnell eine rauchen, bevor wir uns mit allen treffen müssen. Darauf könnte ich gerne verzichten. Ich finde eine ruhige Ecke hinter dem Haus und lehne mich an einen Baum. Plötzlich taucht Simon neben mir auf und erschreckt mich total.

„Auch für eine kleine Raucherpause hier?"

Ich nicke und ziehe ein meinem Joint. Simon zündet sich eine Zigarette an.

„Ich wusste gar nicht, wie heiß Miss Hill ist", meint er und sieht mich an.

Ich zucke mit den Schultern. Simon ist keiner meiner Freunde mit dem ich mich über meine scharfe Lehrerin unterhalten würde. Ich kenne ihn kaum und habe auch nicht das Bedürfnis das zu ändern.

„Ich gehe dann mal wieder", sage ich nach einer Weile und mache mich auf den Weg in die Lobby.

Dort warten schon einige und stellen Vermutungen an, was wir jetzt machen werden. Mich interessiert das nicht besonders, solange es schnell vorbei ist.

Mr Marin quetscht sich an den Schülern vorbei und Miss Hill folgt ihm. Sofort wird es leiser. Gelangweilt spiele ich mit dem Reißverschluss meiner Jacke herum.

„Wir haben uns dafür entschieden, erst einmal eine kleine Erkundungstour in der Stadt zu machen", teilt Mr Marin uns mit.

Das wird bestimmt total langweilig. Wir werden hinter Mr Marin her dackeln während er irgendwelchen Müll von sich gibt. Ich verdrehe die Augen und schaue Miss Hill an, die es aber nicht bemerkt.

Silent kissesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt