Silent kisses

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Sobald ich die Haustür verlasse, werde ich nass und bereue es, dass ich den scheiß Regenschirm nicht mit genommen habe. Jetzt habe ich auch keine Lust mehr nochmal nach oben zu gehen. Dann werde ich eben nass. Das trocknet wieder. Ich bin nicht aus Zucker.
Eigentlich bin ich kein Mensch, den Regen besonders stört, aber so langsam reicht es.
Heute beeile ich mich ausnahmsweise einmal, um nicht allzu lange durch den Regen laufen zu müssen.

Plötzlich fährt ein kleines rotes Auto an mir vorbei, dass ohne Zweifel Lydia's ist. Meine Vermutung wird bestätigt, als ich sie im Auto sitzen. Sie fährt langsamer und unsere Blicke treffen sich, aber sie macht keinerlei Anstalten anzuhalten. Ich sehe ihr finster hinter her, bezweifele aber, dass Lydia es sieht.

Noch schlechter gelaunt, als ich es ohnehin schon war, komme ich an der Schule an und kämpfe mich zu meinem Spind durch. Ich schlage mit der Faust dagegen und öffne ihn dann. Ich hasse diese Geheimniskrämerei. Niemand darf erfahren, dass ich mit der heißen Lehrerin schlafe. Lydia darf mich nicht in ihrem Auto mitnehmen, weil wir nicht zusammen gesehen dürfen. So ein Bullshit.

„Hey, was ist denn mit dir los?", höre ich Ash's Stimme.

Na super, werde ich jetzt auch noch verrückt? Nein, werde ich nicht. Ash ist wirklich hier. Er steht direkt vor mir und hat meinen Wutausbruch mitbekommen.

„Schlechten Sex gehabt", sage ich trocken und mustere ihn. „Und was machst du hier?"

Ash wedelt mit einem Blatt vor meinem Gesicht herum. „Papierkram. Man wird die Schule anscheinend nie los."

Ich nicke und schiebe meine Hände in meine Jackentasche. Heute ist ein echter scheißtag, der eigentlich nur noch schlimmer werden kann. Wenn ich wirklich Pech habe, dann fragt Mr Lee mich heute vor der gesamten Klasse ab. Er braucht jede Stunde ein neues Opfer für diese Rolle und ich war schon lange nicht mehr dran. Falls das passieren sollte, kann ich nicht mehr dafür garantieren, dass ich meine Wut weiterhin im Griff habe.

„Aha. Ich habe jetzt Unterricht. Falls du Mr Lee siehst, schubs' ihn die Treppe runter oder so", sage ich todernst.

Ash lacht auf. Wir beide konnten Mr Lee letztes Jahr schon nicht leiden. Wir haben uns immer einen Spaß daraus gemacht den Mathelehrer zu ärgern. Alleine ist das leider nicht mehr so spaßig. Nachsitzen war mit Ash noch halbwegs erträglich, aber ohne ihn ist es das nicht.

„Mache ich", verspricht er mir. „Bis dann."

„Tschüss."

Es klingelt und Ash verlässt das Schulgebäude während ich im Gegensatz zu ihm noch hier gefangen bin. Wie gerne würde ich mit ihm tauschen. Kann ich aber nicht. Mir bleibt nichts anderes übrig, als mich auf den Weg zum Geschichtsunterricht zu machen.

Im Klassensaal lasse ich mich auf meinen Platz fallen und ziehe meine nasse Jacke aus. Weder Simon, noch Clarissa sind ebenfalls in diesem Kurs. Die beiden haben jetzt was weiß ich was. Mrs Klein kommt in den Saal und fordert sofort jemand auf den Fernseher zu holen. Sie kramt in ihrer Tasche herum, in der sich bestimmt nur Filme befinden und holt einen hervor. Währenddessen ist der Fernseher auch schon eingetroffen. Nur gelingt es mir heute nicht einfach einzuschlafen. Ich muss ständig an Lydia denken und wie scheiße die ganze Sache ist. Ich hasse Geheimnisse. Mir ist klar, dass Lydia ihr Job wichtig ist, aber dann soll sie das doch gefälligst einfach sagen. Ich könnte sie einfach auffliegen lassen. Für mich hätte es keine schwerwiegenden Konsequenzen. Wenn ich von der Schule fliegen sollte, dann ist es eben so. Wäre ein guter Grund, um nicht mehr hier her kommen zu müssen. Aber irgendwie kann ich es nicht. Es wäre so einfach, aber ich schaffe es nicht. Ich will das Lydia aus irgendeinem Grund nicht antun. Wann bin ich zu jemand geworden, der sich Gedanken wegen anderen macht? Was stellt diese Frau nur mit mir an. Das kann so nicht weiter gehen. Guten Sex kann ich auch woanders finden.

Es klingelt zum Ende der Stunde und ich habe keine Ahnung, was wir für einen Film gesehen haben. Mrs Klein lässt einen Stapel Blätter durch die Reihen gehen. Ich nehme mir eins der verdammten Blätter und stecke es in meinen Rucksack.

Dann mache ich mich auf den Weg zum Französischsaal. Leider bin ich nicht die erste, die da ist und kann Lydia jetzt nicht zur Rede stellen. Damit werde ich wohl bis später warten müssen. Ich setze mich auf meinen Platz und verschränke die Arme vor der Brust.

Plötzlich pikst mich jemand mit seinem Bleistift an. Ich drehe mich zu Clarissa um, die mich fragend ansieht. O Gott, was will sie jetzt schon wieder von mir. Heute habe ich gar keine Lust mit irgendwem zu reden.

„Wer war dieser Typ mit dem du vorhin an deinem Spind geredet hast?", will sie wissen.

„Wieso interessiert dich das?"

„Ihr habt irgendwie so vertraut gewirkt. Bist du eigentlich wirklich lesbisch oder bi?"

„Ich mag es nicht mir irgendeinen Stempel lebenslänglich auf zu drücken, aber das war nur Ash. Er ist mein bester Freund", kläre ich sie auf.

„Ah okay", meint sie und kommt nicht dazu weitere Fragen zu stellen.

Lydia beginnt mit dem Unterricht und plappert auf französisch vor sich hin. Ich verstehe kein Wort von dem was sie sagt. Ich sehe sie an und kaue auf meiner Unterlippe herum. Sie sieht so unheimlich sexy aus, aber gleichzeitig wirkt sie auch etwas abwesend, als wäre sie in Gedanken wo ganz anders. Vielleicht ist sie das auch.

Als es endlich klingelt stehe ich auf und bleibe vor ihr am Lehrerpult stehen. Lydia sieht mich lächelnd an.

„Wir müssen reden", sage ich geradeheraus.

Ich rede nicht gerne um Dinge drum herum. Wieso auch? Es ist nur unnötige Zeitverschwendung.

„Die Schule ist aber noch nicht vorbei. Ich habe noch Unterricht", meint sie.

„Ist mir egal. Es ist wichtig."

Wichtig ist wohl Ansichtssache, aber ich will es jetzt los werden und nicht noch ewig warten müssen. Vielleicht denkt Lydia auch, dass ich lediglich auf eine schnelle Nummer aus bin. Was sie im Moment denkt ist mir sowas von total Schnuppe.

„Na schön. Ich werde mich für den Rest des Tages krank melden. Wir treffen uns in einer viertel Stunde an meinem Auto", gibt sie nach.