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Ich werde davon wach, dass Lydia sich neben mir bewegt. Sie hat ihre Arme um meinen Bauch gelegt und hält mich fest. Ich löse mich aus ihrem Griff und drehe mich zu ihr um. Sie schläft noch tief und fest. Irgendwie sieht sie unheimlich süß aus. Ich schüttele den Kopf, um den Gedanken zu vertreiben. So etwas will ich nicht denken. Da ich nicht mehr einschlafen kann, wenn ich einmal wach bin, stehe ich vorsichtig auf, um sie nicht zu wecken. Ich finde meinen Slip auf dem Boden und ein T-Shirt, dass sie nicht als meins herausstellt. Ich ziehe beides an und gehe in die Küche. Ich mache mir einen Kaffee und setze mich dann aufs Sofa. Die Aufsätze liegen immer noch auf dem Tisch. Da ich neugierig bin, nehme ich einen und fange an ihn zu lesen. Nach kurzer Zeit finde ich den so öde, dass ich mir den nächsten nehme.

„Ich hab dir doch gesagt, dass die dich nichts angehen", höre ich Lydia hinter mir.

„Hat mich halt interessiert. Vielleicht überlege ich mir doch nochmal, ob ich nicht doch Lehrerin werden will", scherze ich.

„Du wärst bestimmt keine gute Lehrerin", meint Lydia und setzt sich neben mich.

Sie hat sich eine Jeans und ein T-Shirt angezogen. Sie nimmt mir das Heft weg und wirft es auf den Couchtisch.

„Wieso? Weil ich zu gemein wäre?"

„Genau deswegen", lacht Lydia.

„Die, die ich bisher gelesen habe, fand ich ohne hin total langweilig und scheiße", sage ich. „Ich wusste gar nicht, dass du auch deutsch unterrichtest."

„Tue ich eigentlich auch nicht. Ich mache es nur vertretungsweise."

„Aha", gebe ich von mir.

„Lass uns frühstücken und überlegen, was wir heute machen wollen", schlägt sie vor.

„Also ich wüsste da schon was", nuschele ich mit einem Grinsen auf den Lippen.

Lydia schüttelt lediglich den Kopf und geht in die Küche. Ich folge ihr und zusammen decken wir den Tisch. Meine Lehrerin scheint alles mögliche im Haus zu haben. Es gibt Brötchen, Toast, verschiedene Sorten Marmelade, Wurst und Käse. So ein Frühstück hätte ich seit Ewigkeiten nicht mehr. Zuhause esse ich meist schnell ein Brot und das war es dann.

„Was möchtest du trinken?", will Lydia von mir wissen.

„Orangensaft, falls du welchen hast."

Das hier überfordert mich ein wenig. Ich bin es nicht gewohnt, dass jemand mir solche Fragen stellt. Eigentlich sollten es ganz normale Dinge sein, aber nicht für mich. Seltsam, wie verkorkst mein Leben eigentlich ist. Das wird mir erst jetzt bewusst.

Lydia öffnet den Kühlschrank und schenkt mir etwas Saft in mein Glas. Sie selbst macht sich einen Kaffee und setzt sich dann zu mir an den Tisch.

„Und was wollen wir heute machen?", fragt sie mich.

Ich schmiere mir schon den dritten Toast, mache mir aber keine Gedanken darüber, was sie deswegen von mir denken könnte.

„Ich habe da so einige Ideen", antworte ich und zwinkere ihr zu. „Wir könnten es in der Dusche tun, auf dem Sofa oder was weiß ich wo. Wir müssten nicht einmal das Haus verlassen."

Lydia muss lachen. „Das hört sich echt verlockend an, aber heben wir uns das lieber für heute Abend auf. Was hälst du davon, wenn wir etwas zusammen kochen und dann einen Film schauen?"

„Das hört sich total langweilig an, aber da es dumm wäre, wenn wir uns draußen zusammen blicken lassen, von mir aus."

„Okay", meint Lydia und geht gar nicht wirklich auf mich ein.

Dann bleiben wir heute eben den ganzen Tag im Haus. Ich bin zwar lieber draußen, aber das geht nicht. Lydia ist immer noch meine Lehrerin und man sollte uns nicht zusammen antreffen. Ihr Job ist ihr wichtig, was sie mir schon einige Male deutlich klar gemacht hat. Ich verstehe sie irgendwie, aber das heißt nicht, dass es mir gefällt. Ich finde es um ehrlich zu sein scheiße.

„Was willst du so kochen? Ich kann kein bisschen kochen."

Ich glaube außer Nudeln und Pizza kann ich nichts zubereiten. Was meist auch gar nicht nötig ist, da ich immer in der Schule zu Mittag essen und am Wochenende bestelle ich einfach irgendwas.

„Gibt es denn irgendetwas, dass du nicht isst oder nicht magst?"

„Ich esse alles", antworte ich lachend.

„Na gut", meint Lydia und denkt kurz nach. „Wie wäre es mit Gemüselasagne? Ist mein Lieblingsessen."

„Gerne", stimme ich zu.

Mir war es eigentlich von Anfang an egal was wir essen, da ich nicht besonders wählerisch bin.

„Dann machen wir das", meint sie freudig.

Es überraschst mich, wie sie morgens nur so gute Laune haben kann. Ich finde das ein wenig anstrengend. Ich brauche immer erst mal eine gewisse Zeit, bis ich wach bin. Lydia scheint schon voller Tatendrang zu sein und kann es anscheinend kaum erwarten sich ins Arbeit zu stürzen. Schweigend essen wir zu Ende.

Lydia räumt den Tisch ab, da sie es nicht leiden kann, wenn sich jemand in ihr eigenes System in der Küche einmischt. Sie ist da ganz eigen. Mir ist das ganz recht. Ich gehe mich umziehen und ins Badezimmer.

Etwas später sind wir damit das Essen zu kochen, wobei ich mich wirklich dumm anstelle, aber nicht absichtlich. Irgendwann nimmt Lydia mir das Messer weg, da sie Angst hat, dass ich mich noch verletzen könnte. So schlimm ist es meiner Meinung nach zwar nicht, aber ich fange keine Diskussion an. Eigentlich übernimmt sie die meiste Arbeit, was wohl besser ist.

„Das ist echt super lecker", sage ich, als wir am Tisch sitzen und essen.

„Finde ich auch", stimmt Lydia mir lächelnd.

„Wo ist eigentlich dein Hund hin?", frage ich sie.

Als ich sie zusammen mit Ash und Rick im Park gesehen habe, hatte sie eine riesige Dogge dabei.

„Felix ist der Hund meines Bruders, auf den ich ab und zu aufpasse, wenn er in Urlaub fährt", meint sie.

„Okay. Darf ich dich noch was fragen?"

Wenn ich ihr Fragen stelle, dann kann sie mir keine stellen. Nicht die beste Taktik, aber das Beste, was mir gerade einfällt.

„Klar."

„Wie alt bist du eigentlich?"

„Siebenundzwanzig", antwortet sie.

Ich rechne kurz im Kopf nach. Also ist Lydia neun Jahre älter als ich. Für mich spielt das aber keine Rolle. Ich habe schließlich nicht vor sie meinen Eltern vorzustellen und werde es auch nie.

Den restlichen Tag verbringen wir vor dem Fernseher mit langweiligen Filmen. Jetzt weiß ich wieder, wie so ich sonst nie fern sehe. Es gibt nur scheiß Filme, die alle gleich sind. Ich beobachte einfach meine Lehrerin und stelle mir vor, was ich heute Nacht alles mit ihr anstellen könnte.

Silent kissesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt