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Lydia Hill

Ich muss mir eingestehen, dass ich ein wenig Angst vor dem habe, was Tessa mit mir bereden möchte. Sie ist so unvorhersehbar. Ich kann sie einfach nicht einschätzen und ich habe keine Ahnung, was sie gleich sagen wird. Das ganze macht mich unheimlich unsicher. Tessa bringt diese Seite in mir zum Vorschein.

Ich stelle die zwei Gläser Wasser, die ich aus der Küche geholt habe auf den Couchtisch. Tessa sieht mich an und nimmt sich eins, um einen Schluck zu trinken. Die Autofahrt verging in einer quälenden Stille. Keiner hat sich getraut etwas zu sagen. Tessa wollte einfach nichts sagen. Sie sieht ein wenig sauer aus. Wieso kann ich nicht sagen. Dieses Mädchen ist ein großes Mysterium, dass niemand zu verstehen scheint. Höchstens dieser Junge mit dem sie heute morgen gesprochen hat. Es hat mich ein wenig eifersüchtig gemacht zu sehen, dass sie mit jemand so vertraut sein kann. Aber was soll ich auch erwarten. Ich bin ihre Französischlehrerin und wir kennen uns gerade mal seit ein paar Monaten. Wieso sollte sie mir vertrauen.

Ich setze mich neben Tessa auf das Sofa, aber sie rückt ein Stück von mir weg. Autsch. Sie versucht Abstand zwischen uns zu bringen. Normalerweise tut sie sonst genau das Gegenteil. Sie versucht mir immer so nah wie möglich zu kommen. Das hier ist neu. Seltsam.

Ich nehme all meinen Mut zusammen und stelle die Frage vor der ich große Angst habe.

„Was willst du mit mir besprechen?"

Tessa sieht mich zum ersten Mal, seit wir alleine sind, direkt an. Auf ihren Lippen liegt kein freches Grinsen und ihre Augen sehen förmlich durch mich hin durch. Ist sie high oder fällt es ihr schwer das zu sagen, was sie los werden möchte.

„Ich habe keine Lust mehr auf dieses beschissene Versteckspiel", sagt sie.

Ihre Worte sind hart und treffen mich. Wahrscheinlich hat sie genau das beabsichtigt. Ich wusste, dass dieses Gespräch irgendwann kommen würde, aber doch nicht schon jetzt. Ich trinke einen Schluck Wasser, da sich mein Mund wie ausgetrocknet anfühlt.

„Ich weiß, dass das scheiße ist. Aber es geht nicht anders", sage ich leise und will ihre Hand nehmen.

Tessa stößt meine Hand weg und verschränkt die Arme vor der Brust. Ihr Temperament fasziniert mich auf der einen Seite, aber auf der anderen Seite ist es total anstrengend damit umzugehen. Sie schafft es immer mich zu verletzen mit dem was sie macht. Tessa hatte recht. Sie ist richtig schlecht, wenn es darum geht eine Beziehung zu führen. Obwohl ich noch nicht mal weiß, ob wir eine haben. Wahrscheinlich eher nicht, wenn ich Tessa frage. In ihren Augen ist das ganze sicher nur ein kleiner Spaß, aber wenn es so wäre, wieso wäre sie dann überhaupt hier? Wenn es ihr egal wäre, dann würde sie nicht hier sitzen und sich darüber aufregen, dass es ihr nicht reicht, dass wir uns nur heimlich sehen können. Wenn sie nur Sex aus sein würde, dann wäre es ihr Recht. Ich bin verwirrt. Das bin ich immer, wenn es um sie geht.

„Bullshit", schimpft sie laut. „Du hast anfangs gesagt, dass du mich entweder ganz oder gar nicht willst und nicht halb. Mit diesem heimlich Getue ist es nur halb. Dann können wir doch gleich damit aufhören.."

„Tessa", unterbreche ich sie, da mir auffällt, dass sie gerade dabei ist sich in Rage zu reden.

Ich weiß nicht, wozu das führen könnte. Leider muss ich zu geben, dass sie recht hat. Das was wir tun ist irgendetwas zwischen haben und nicht haben. Es ist mies. Ich würde so gerne allen dieses wundervolle Mädchen vorstellen. Ich bin immer davon ausgegangen, dass es Tessa nicht stören würde, dass niemand davon erfahren darf. Schließlich ist es ihr doch egal was andere von ihr denken. Außerdem würde sie bestimmt nicht wollen, dass wir in der Öffentlichkeit Händchen halten oder uns küssen. Dafür ist sie nicht der Typ.

„Ich dachte immer, dass dich das nicht stören würde", murmele ich und weiß nicht was ich machen soll.

Ich würde sie so gerne in den Arm nehmen und nie wieder los lassen, aber ich fürchte mich davor, dass sie mich wieder abblitzen lassen könnte. Das kann ich heute nicht auf noch verkraften.

„Weißt du was, hören wir doch einfach auf mit diesem Scheiß und beenden das was zwischen uns ist", schlägt sie vor.

Ehe ich ihr widersprechen kann, steht Tessa auf und geht in Richtung Flur. Wie kann sie nur? Kann sie das ernsthaft von mir verlangen, wo sie doch diejenige war, die mit all dem angefangen hat. Sie hat mich zuerst geküsst und ist auf der Klassenfahrt in meinem Zimmer aufgetaucht. Es ging alles von ihr aus.

Ich spüre, wie mir Tränen über die Wangen laufen, als ich Tessa in den Flur folge und ihr Handgelenk festhalte, um sie am gehen zu hindern. Ich will nicht, dass sie durch diese Tür verschwindet und alles aus ist, als wäre nie etwas zwischen uns gewesen.

„Tessa, bitte. Geh' nicht", flehe ich sie unter Tränen an.

„Vergiss es einfach Lydia. Die ganze Sache war eine blöde Idee. Zeitverschwendung", wirft sie mir an den Kopf und reißt ihren Arm weg.

Ich stehe wie angewurzelt da und sehe zu, wie sie aus meiner Wohnung verschwindet und die Tür hinter ihr ins Schloss fällt. Irgendetwas in mir zerfällt gerade. Mit dem Ärmel meines Pullovers wische ich mir die Tränen aus dem Gesicht, aber es bringt nichts, da mehr folgen. Damit habe ich nicht gerechnet, als Tessa gemeint hat, sie wolle über etwas wichtiges reden. Wie konnte ich nur so dumm sein und denken, dass es ihr auch etwas bedeutet? Für sie war es eine Zeitverschwendung, die sie selbst gesagt hat.

Ich gehe ins Schlafzimmer und lasse mich dort auf mein Bett fallen und ziehe mir die Bettdecke über den Kopf. Natürlich trägt das nicht dazu bei, dass ich mich besser fühle. Es ändert nichts an der Situation. Jetzt liege ich einfach nur heulend im Bett, anstatt im Flur zu stehen und die Wohnungstür anzustarren. In dem Moment als sie gegangen ist, ist mir etwas klar geworden. Ich habe mich in sie verliebt. Ich habe mich in Tessa Davis verliebt. Was ein großer Fehler ist.

Silent kissesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt