Kapitel 6

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Der Abend war überraschend gut verlaufen, viel besser, als ich erwartet hatte. Jack und ich saßen uns gegenüber an dem kleinen Tisch im Restaurant, der gedämpfte Lichtschein fiel auf uns und erzeugte eine fast intime Atmosphäre. Ich hatte immer noch ein wenig dieses nervöse Kribbeln in mir, doch das Gespräch mit Jack war angenehm, fast natürlich. Wir hatten angefangen, das Spiel „20 Fragen" zu spielen, um uns besser kennenzulernen – eine lockere Möglichkeit, die Dinge aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Doch bei der ersten Frage stockte ich kurz.

„Warum hast du mich und viele andere gemobbt?", fragte ich vorsichtig. „Warum sollte ich überhaupt mit dir etwas anfangen wollen, nachdem du mir das Leben so schwer gemacht hast?"
Die Worte fielen mir nicht leicht, aber ich wollte wissen, was er dazu zu sagen hatte. Jack sah mich für einen Moment schweigend an, als ob er meine Worte abwägen wollte. Schließlich senkte er den Blick und seufzte.

„Es tut mir leid", sagte er schließlich leise. „Ich war einfach ein Idiot. Ich dachte, das wäre der einzige Weg, um dazuzugehören. Aber ich hab's völlig falsch gemacht und vor allem dich verletzt. Es war nie meine Absicht, dir das Leben schwer zu machen."

Seine Antwort war ehrlich, das konnte ich in seiner Stimme hören, und trotzdem blieb ein Teil von mir misstrauisch. Aber ich wollte ihm zuhören, also nickte ich und versuchte, die Wut und das Misstrauen, das ich noch immer in mir trug, zu unterdrücken.

„Was machst du in deiner Freizeit so?" Jack stellte die nächste Frage, um das Thema zu wechseln, und ich merkte, wie ich mich wieder entspannte.

„Wahrheitsgemäß?" fragte ich, leicht lachend, als ich ihn ansah. „Es ist zwar traurig, aber ich bin... hobbylos. Aber, na ja, ich zeichne hin und wieder. Nicht so oft, dass ich es als richtiges Hobby bezeichnen könnte. Es ist einfach etwas, das mir hilft, den Kopf freizubekommen." Ich zuckte mit den Schultern, als ich den letzten Satz sagte. Es fühlte sich seltsam an, so ehrlich zu sein, aber irgendwie befreite es mich auch.

„Und du?" fragte ich dann, als ich damit fertig war, über mich zu reden.

„Also", Jack grinste ein wenig, als er meine Frage beantwortete, „ich bin im Fußballteam der Schule. Das ist definitiv mein Hobby. Und ich spiele auch noch Gitarre. Musik hilft mir, den Kopf freizubekommen, genauso wie Fußball."

„Spielst du in einer Band oder nimmst du Unterricht?" fragte ich sofort, obwohl es nicht meine Runde war. Ich konnte einfach nicht anders, es war spannend, mehr über ihn zu erfahren.
„Nee", er schüttelte den Kopf, „ich hab's mir selbst beigebracht. Habe nie Unterricht genommen. Ist wahrscheinlich nicht die beste Methode, aber so funktioniert's für mich."

„Hast du ein Vorbild, wenn es um Musik geht?" fragte ich neugierig, um mehr über seine Musikvorlieben zu erfahren.

„Klar", sagte Jack, „ich bewundere Künstler wie John Mayer und Eric Clapton. Die können echt was. Aber mein eigener Stil ist eher ein Mix aus verschiedenen Sachen."

Ich nickte. „Klingt cool", murmelte ich. Dann fiel mir etwas anderes ein, was mich schon länger interessierte.

„Was war der verrückteste Moment in deinem Leben?" fragte ich und sah ihn neugierig an.
Er dachte kurz nach, bevor er mit einem schiefen Grinsen antwortete: „Hmm, wahrscheinlich als ich bei einem Schulfest auf der Bühne stand und ein Lied gespielt habe. Es war das erste Mal, dass ich vor einer größeren Gruppe aufgetreten bin, und ich dachte, ich würde gleich vom Stuhl kippen."

Ich lachte, „Das klingt echt gruselig. Aber gut, dass du es trotzdem gemacht hast."

„Ja, mittlerweile ist es gar nicht mehr so schlimm", sagte er und zuckte mit den Schultern. „Was ist mit dir? Was war dein verrücktester Moment?"

Ich dachte kurz nach und zuckte dann mit den Schultern. „Vielleicht als ich mal versehentlich in einen falschen Bus gestiegen bin und fast in eine andere Stadt gefahren wäre. Zum Glück hat der Fahrer mich rechtzeitig bemerkt."

„Das ist ja echt verrückt!", lachte Jack. „So etwas könnte mir auch passieren."

„Ja, echt verrückt", stimmte ich zu. Ich bemerkte, dass das Gespräch so natürlich lief, als wären wir schon lange Freunde. Es war nicht mehr unangenehm, und es fühlte sich nicht an, als ob wir uns nur unterhielten, weil wir es mussten. Es war echtes Interesse, und das war... seltsam. In gewisser Weise war es neu für mich.

„Glaubst du an Schicksal oder Zufall?" fragte Jack, und ich überlegte kurz.

„Schicksal? Hm, ich denke, alles passiert aus einem Grund, auch wenn man es manchmal nicht sofort versteht. Aber ich glaube auch, dass wir unser Leben selbst in die Hand nehmen können."

Ich sah ihm in die Augen und spürte einen Funken in mir auflodern.
„Da hast du vollkommen recht", sagte er nachdenklich. „Ich glaube nicht, dass alles festgelegt ist. Aber manchmal, wenn man etwas richtig will, dann kommt es irgendwann, wenn man hart genug dafür kämpft."

Ich nickte zustimmend. Es war gut, diese Dinge zu teilen. Es fühlte sich an, als würde eine Verbindung zwischen uns wachsen. Als wir über das Thema Schicksal weiter sprachen, merkte ich, wie die anfängliche Spannung immer mehr verschwand. Die Fragen wurden persönlicher, und ich begann, die Züge von Jack zu sehen, die ich vorher nie bemerkt hatte – die verletzlichen Seiten, die sich hinter seiner Fassade verbargen.

Wenn du dir etwas wünschen könntest, was wäre es?" fragte ich plötzlich, und ich konnte sehen, dass Jack die Frage etwas überraschte. Er schien zu überlegen, dann antwortete er ehrlich:
„Ich denke, ich würde mir wünschen, dass ich all die Fehler, die ich gemacht habe, rückgängig machen könnte. Besonders bei dir, Luke."
Ich blinzelte, überrascht von seiner Offenheit. „Du hast dir wirklich Gedanken gemacht, hm?" sagte ich leise. Es war irgendwie berührend.

„Ja", er nickte und sah mich an. „Ich will nicht der Typ sein, der du früher von mir gekannt hast. Ich will wirklich etwas Besseres sein. Für mich, aber auch für die Leute um mich herum."
Ich wollte etwas antworten, doch es kam mir die nächste Frage in den Sinn. „Was denkst du über uns?", fragte ich. „Ich meine, nach allem, was passiert ist, was denkst du über uns?"
Er zuckte mit den Schultern und sah mich direkt an. „Ich denke, wir könnten eine Chance haben, wenn du mir wirklich vertraust. Ich weiß, ich habe viel falsch gemacht, aber ich will es besser machen."

Ich fühlte mich für einen Moment überfordert. Da saß er also, der Junge, der mich früher gequält hatte, und zeigte mir eine Seite von sich, die ich nie erwartet hätte. Ich konnte es kaum fassen, aber irgendwie verstand ich ihn in diesem Moment mehr als je zuvor.

Wir beendeten das Spiel schließlich, und ich merkte, wie viel lockerer ich mich fühlte. Es war, als hätten wir den Grundstein für etwas Neues gelegt, eine Grundlage, auf der wir etwas aufbauen konnten. Als wir das Restaurant verließen, hielt Jack mir die Autotür auf, und ich spürte sofort, wie mein Herz schneller schlug. Es war eine einfache Geste, aber sie ließ mich rot werden. „Danke", sagte ich leise, während ich ins Auto stieg.

Die Fahrt zu meinem Haus verlief ruhig, und während wir durch die Straßen fuhren, fühlte ich mich irgendwie ganz bei mir. Es war fast surreal, wie sich der Abend entwickelt hatte. Vielleicht war es wirklich der Anfang von etwas Neuem. Vielleicht konnte ich Jack wirklich eine Chance geben, und vielleicht war er auch nicht mehr derjenige, der er früher war.




Mein Leben als Omega (bxb,Mpreg)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt