Die Vergangenheit

67 7 3
                                    

Ich wälzte mich hin und her, schreckte öfters hoch und fiel darauf wieder in einen unruhigen Schlaf, nur wenige Phasen waren vollkommen Traumfrei. In der anderen Zeitspanne jagte mich der Wolf wieder durch den Wald und ich hörte seltsames Geflüster im Hintergrund, konnte aber nicht bestimmen was sie sprachen. Als ich das nächste Mal erwachte, fiel mein Blick auf meinen Radiowecker der Montag 10:38 Uhr zeigte. Heftig blinzelnd drehte ich meinen Kopf zur Seite um noch ein zweites Mal auf ihn zu schauen, doch es hatte sich nichts geändert. Das konnte nicht sein! Das würde heißen ich hatte über einen Tag geschlafen! Panisch kramte ich nach meinem Handy und starrte ungläubig das Datum an, als ich es gefunden hatte. Oh mein Gott! Es war tatsächlich Montag. Ich ließ mich zurück in meine Kissen sinken und stierte die Decke an.

Nach einer halben Stunde erhob ich mich seufzend und ging langsam nach unten in die Küche. Dort erwartete mich auch schon meine Mutter. Mit einer Tasse Tee in der Hand saß sie an dem kleinen Runden Tisch und tippte etwas auf ihrem Tablett. Unsicher wie es jetzt ablaufen würde setzte ich mich ihr gegenüber und schaute stur auf die Tischplatte. Nach einer Weile schob sie mir auch eine Tasse zu und fing an zu reden: „Schatz ich hoffe du erzählst mir was passiert ist. Ich weiß, dass du so etwas lieber todschweigst, doch wenn das passiert ist was ich vermute, musst du mir die Wahrheit erzählen!" Mit flehendem Blick visierte sie meine Augen an und wartete geduldig bis ich anfing ihr von dem Wolfsangriff zu erzählen. Geschockt hörte sie sich alles an und hielt sich wie immer wenn sie etwas emotional sehr traf die Hand vor den Mund. Nachdem ich geendet hatte herrschte ein bedrückendes schweigen zwischen uns, bis meine Mutter seufzend die Hände an den Kopf stützte und irgendetwas murmelte. Ich glaubte verstanden zu haben:

„Jetzt muss ich es ihr langsam erzählen, ehe sie es von selbst rausbekommt..."

Verwirrt schaute ich meine Mum an. Was wollte sie mir erzählen? Gab es irgendetwas von Bedeutung von dem ich nichts wusste? Als sie nach zehn Minuten immer noch nicht fortfuhr, wurde ich langsam ungeduldig. Ich wollte endlich wissen was hier gespielt wurde! Genau das warf ich meiner Mutter an den Kopf als sie immer noch keine Anstalten machte weiterzureden. Ihr gequälter Blick verriet mir das es ihr nicht leicht viel darüber zu reden, aber wenn jetzt nicht wann dann? Nachdem sie ein paarmal tief durchgeatmet und ihre Teetasse geleert hatte fing sie endlich an zu erklären.

Gespannt lauschte ich ihrer Erzählung: „Ich weiß das das jetzt alles sehr seltsam für dich klingen wird, doch auch mir ist so etwas in der Art schon einmal passiert. Damals war ich gerade mit dir schwanger als es geschah. Es war Winter und ich wollte etwas den frisch gefallenen Schnee bei einem Waldspaziergang bewundern als ich von einem Wolf angegriffen wurde. Wie aus dem Nichts stand er plötzlich vor mir auf dem Weg und knurrte mich an. Ich wich vor ihm zurück bis mir die Bäume den Weg versperrten. Ohne lange zu überlegen griff ich nach meiner letzten Chance, einem Ast. Wie verrückt schwang ich ihn hin und her um den Wolf zu vertreiben, doch dieser wurde anscheinend dadurch nur noch aggressiver. Als ich ihn etwas zu nah kam biss er mir in den Arm. Nach langem hin und her schaffte ich es dann letztendlich ihn zu vertreiben. Ich dachte mir nichts weiter dabei und verband die Wunde zu Hause ganz einfach nur, doch als es mir nach zwei Tagen sehr schlecht ging und die Wunde nicht zu verheilen schien, zeigte ich sie doch einmal deinem Vater. Als Arzt konnte er das schnell abschätzen und verpasste mir eine Spritze. In den laufenden Tagen ging es bergauf bis es vollkommen verheilt war. Siehst du? Es ist besser sich helfen zu lassen, denn so wie ich dich kenne hättest du alles verheimlicht und in dich hineingefressen. Ist das nicht so?"

Zerknirscht schaute ich sie an und gab ihr mit einem kargen nicken recht. Neugierig was sie genau von meinem Vater bekommen hatte fragte ich sofort nach.

"Genaueres kann ich dir nicht sagen, denn es war irgendetwas experimentelles das dein Vater mit ein paar Kollegen im Labor entwickelt hatte. Da ich dir jetzt sowieso alles erzählt hab kann ich dir auch endlich die Wahrheit sagen. Dein Vater hat sozusagen zwei Jobs gehabt, der eine war normal als Arzt im Krankenhaus, jedoch war sein zweiter in irgendeiner Organisation die sich viel mit der Neuentwicklung von Medikamenten und anderen Sachen von denen ich nichts weiß beschäftigten. Deshalb war er schon früher nicht oft zu Hause. Eines Tages, da warst du gerademal drei, bekam ich die traurige Nachricht, dass dein Vater bei einem Unfall im Labor ums Leben gekommen war."

Das war der Punkt wo ich völlig aus der Bahn geworfen wurde, sie hatte nie etwas über meinen Vater erzählt und nun das. Was sollte ich denn bitte davon halten?! Außerdem glaubte ich ihr nicht dass das schon alles war.

Aufgebracht sprang ich von meinem Stuhl auf, sodass er mit einem lauten Knall umkippte.

"Nach all den Jahren erzählst du mir das?! Was willst du mir damit überhaupt sagen? Erzähl mir endlich die ganze Wahrheit!"

Wütend starrte ich meine Mutter an und wartete ihre Antwort ab. Zu meinem Bedauern seufzte sie nur und vergrub ihr Gesicht wieder in ihren Händen. Resigniert verließ ich die Küche, da ich genau wusste dass ich jetzt keine Antwort mehr bekommen würde und lief hinaus. Wohin ich lief wusste ich nicht, ich wollte einfach nur so viel Abstand wie möglich zum Haus aufbauen. Dem Ort wo ich aufgewachsen war, mein sicherer Hafen und doch war dieser Ort mit Lügen belastet. Lügen von denen ich bis heute noch nicht einmal gewusst hatte das sie existierten, die aber mein Leben grundlegend veränderten sollten.

Eine außergewöhnliche Verwandlung #waveaward19Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt