KAPITEL 36

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Schweigen. Unerträglich langes Schweigen. Das ist das einzige Wort, das mit einfällt um diese Situation zu beschreiben. Was habe ich hier bitte angerichtet? Ich bin so dumm. Vorher war doch alles gut, aber dann komme ich mit meinen dummen Gedanken und alles ist hin. Warum muss ich immer alles mit meinen Worten kaputt machen? Hätte ich nicht einfach für mich behalten können was ich denke?

Vorsichtig werfe ich einen Blick zu Namjoon, bloß aus dem Augenwinkel, aber was ich sehe, lässt mich innerlich aufschreien. Er ist komplett in sich zusammengesunken. Obwohl er versucht, aufrecht und gerade zu sitzen, sind seinen Schultern gekrümmt und er hat den Kopf eingezogen, als hätte er Angst, gleich Prügel zu bekommen. Er sieht aus wie ein kleines, verängstigtes und verletztes Kind. Schuldgefühle nagen an mir. Ihn so verletzt zu sehen, erinnert mich wieder an den Tag, an dem er mir von der Sache mit seinem Vater erzählt hat. Und das habe ich angerichtet. Wie konnte ich? Wie? Vorsichtig strecke ich meine Hand nach ihm aus. Als ich langsam über seine Wange streiche, zuckt er zusammen und reißt die Augenweit auf. Warum? Denkt er, ich würde ihn schlagen, weil er nicht geantwortet hat oder nicht weiß, was er sagen soll? Wurde er früher dafür geschlagen?

Langsam werden seine Gesichtszüge entspannt und er presst sein Gesicht gegen meine Hand und greift mit seiner rechten Hand nach meiner Linken. Er klammert sich an meine Hand, als müsse er Mut für etwas fassen, dass ihn unglaublich schwer fällt. Ich bekomme Angst. Ich habe zwar gesagt, es wäre besser, wenn er sich von mit trennt und eine Andere findet, aber das will ich doch eigentlich gar nicht. Was ich will ist lernen, Vertrauen zu fassen und stärker zu werden. Ich will Namjoon komplett vertrauen, weil ich ihn liebe. Aber was, wenn er sich wirklich trennt? Das würde mich runterreißen, und wahrscheinlich würde ich nicht wieder hochkommen. Aber ich möchte auch nicht, dass Namjoon das Gefühl haben muss, mich nicht verlassen zu dürfen, weil ich ihn brauche. Er soll glücklich werden und - so schwer er mir fällt das überhaupt zu denken - wenn das nicht geht mir mir an seiner Seite, dann soll das vielleicht einfach nicht sein. Wenn das mit uns nicht klappt bin ich vielleicht wirklich nicht für die Liebe gemacht.

Namjoon öffnet den Mund und schließt ihn wieder. In seinen Augen erkenne ich, dass er mit sich selbst kämpft. Er weiß nicht, was er sagen soll und das jagt mir mehr Angst als seine Haltung oder sein verängstigter Blick. Namjoon sagt immer was er denkt; nach Worten zu ringen passt nicht zu ihm. Die Frage kommt so schnell, dass ich ein paar Sekunden brauche, um sie zu verarbeiten. "Liebst du mich nicht?" bringt er hervor und atmet tief durch.

Was? Ob ich ihn liebe? Natürlich tue ich das. Ich habe ihm zwar gesagt, sich von mir zu trennen wäre besser für ihn, aber doch nur um ihm zu zeigen, dass ich will, dass er glücklich wird. Weil ich ihn liebe. Tränen schießen in meine Augen und überwältigen mich. Denkt er wirklich, dass ich ihn nicht liebe...?

"Namjoon... Warum denkst du das? Wie kommst du darauf, dass ich dich nicht liebe?" flüstere ich und weiche zurück, als er mit seiner Hand die Tränen von meiner Wange streichen will. "Du... Willst das ich mich von dir trenne. Du meinst, dass du nicht die Richtige für mich bist. Du denkst, dass ich ohne dich besser dran bin. Was soll ich denn bitte denken?" fährt er mich an. Ich schaue auf meine Finger. Seine Wut ist durchaus berechtigt und doch bin ich es nicht gewohnt. Er ist sauer, das bedeutet, dass wir uns auf ganz dünnem Eis befinden. Ich muss jedes meiner Worte ganz genau abwägen, sonst ist alles kaputt.

"Ich liebe dich, Namjoon. Das tue ich wirklich. Aber du kennst doch meine Geschichte. Der größte Teil meiner Familie ist tot und der Rest der noch lebt tut so, als kenne er mich nicht. Jungkook hat mich verraten und mir das Herz gebrochen. Allen Leuten, denen ich vertraue, brechen mir früher oder später das Herz." versuche ich zu erklären. "Ich möchte dir aus tiefstem Herzen vertrauen, aber ich habe eben auch Angst davor. Wir beide haben eine schreckliche Vorgeschichte. Und genau deswegen verdienst du jemanden, um den du dir keine Sorgen machen musst. Ich wünschte wirklich, ich könnte dieser Jemand sein, aber ich denke, dass kann ich nicht. Zumindest jetzt noch nicht. Aber das ich dir sage, dass du ohne mich besser dran bist, heißt nicht, dass ich dich nicht liebe. Gerade weil ich dich liebe sage ich dir das alles. Du bist der tollste Mensch den ich kenne. Du bist klug, hübsch, witzig, faszinierend und einfühlsam. Verstehst du nicht, dass du jeden Meschen haben könntest? Ich verstehe einfach nicht, warum ich dir all diese Scherereien wert bin. Liebe ist etwas, was man nicht kalkulieren kann. Du weißt nie, wann dir jemand das Herz brechen könnte und wann du vollkommen zufrieden bist. Mit dir zusammen zu sein ist wundervoll, sogar noch viel schöner, als ich es je sagen könnte. Aber gerade weil es so wundervoll ist, verstehe ich nicht, warum mir das alles jetzt erst zu Teil wird. Warum nicht früher? Warum nicht bevor Jungkook mir das Herz gebrochen hat oder bevor ich meine Mutter verloren habe? Warum jetzt, wo ich nicht mehr in der Lage bin, vollständig zu vertrauen? Vielleicht kann ich es lernen. Vielleicht auch nicht. Ich hoffe es, weil ich dich wirklich mehr liebe als ich je zuvor etwas oder jemanden geliebt habe."

Ich habe alles gesagt, was mir einfiel. Und kein einziges Wort davon war eine Lüge. Ich weiß nicht, ob ich vertrauen kann, aber ich werde es zumindest versuchen, um Namjoons Willen, damit ich ihm zeigen kann, dass es mir wirklich ernst ist. Es wird ein langer Weg werden und wahrscheinlich werde ich nach allen zwei Schritten nach vorne wieder einen zurück machen, aber das ist es wert. Irgendwann werde ich schon am Ziel ankommen. Bleibt bloß noch zu hoffen, dass Namjoon das mitmacht und durchhält.

Save me? [Namjoon x Reader]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt