KAPITEL 42

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"Okay, okay. Jetzt beruhig dich erst mal." bringt Yoongi überfordert hervor und kniet sich neben mich. "Alles wird gut. Du hast doch gesagt, dass er betrunken ist, er hat es sicher nicht mal gemerkt und auch nicht gewollt."

Ich nicke leicht, um ihm wenigstens zu zeigen, dass ich zuhöre, auch wenn seine Worte nicht ganz zu mir durchdringen und ich ihnen bis dato auch nicht wirklich glauben kann.

Kann oder wollen?

Meine Augen werden groß. Diese Stimme habe ich lange nicht mehr gehört. Tief aus meinem Hinterkopf ertönt sie plötzlich und pflanzt mir diesen albernen Gedanken in den Kopf. Warum meldet sie sich plötzlich? Ich dachte, ich hätte endlich meine Ruhe vor ihr.

"Was nun?" fragt Yoongi plötzlich.

Ich drehe meinen Kopf zu ihm. "Was meinst du damit?" frage ich verwirrt. Ja, was nun? Ich werde zum Hotel gehen, mich auf das Sofa legen, nachdenken und dann am nächsten Morgen Namjoon fragen, was das Ganze sollte.

"Naja, er hat dich verletzt. Willst du jetzt zu ihm zurück?" fragt er und sieht mich an, als hätte ich schon längst verstehen müssen, was er von mir will.

"Ja, natürlich. Ich kann ja jetzt schlecht wieder nach Hause fahren."

"Nein, das kannst du nicht. Aber du hast gerade einen netten Typen kennengelernt, der dich, wenn du denn wölltest, sicher bei sich übernachten lassen würde." sagte er und verschränkte die Arme vor der Brust.

Ich halte kurz die Luft an, um mich zu beruhigen. Dann stoße ich sie wieder aus und denke über Yoongis Aussage nach. Er hat Recht. Ich will nicht zu Namjoon, nach dem, was er getan hat. Auch wenn das sicher nicht die richtige Entscheidung ist, denn ich kann ja nicht immer weg laufen, wenn etwas schief läuft. Trotzdem, für diesen Moment, jetzt gerade, will ich nicht zu Namjoon.

Da ist Yoongi die einzige Alternative, und noch dazu keine schlechte, weil ich ihn wirklich mag. Aber auf der anderen Seite...wir Namjoon mir verzeihen können, wenn ich bei einem Mann übernachte, den ich erst seit einer Stunde kenne?

Ich kaue auf meiner Unterlippe, um besser nachdenken zu können. Und was, wenn ich Morgen sofort zurück zum Hotel gehe und mit Namjoon rede? Und ihm jetzt schreibe, dass ich die Nacht wo anders verbringe?

Er wird sauer sein, aber das bin ich auch. Er wird damit klar kommen müssen.

"Okay." antworte ich und nicke Yoongi zu, ehe ich meinen Körper dazu bringe, sich aufzurappeln und nicht wieder zu Boden zu stürzen. Ich ziehe mein Handy hervor, um Namjoon zu schreiben, dass Morgen früh wieder da sein werde, aber entscheide mich einer plötzlichen Eingebung folgend anders. Vielleicht ist das gehässig oder einfach nur gemein, aber das ist mir im Moment egal. Im Moment ist mir alles egal.

Statt Namjoon zu schreiben, schreibe ich Tae und schalte dann mein Handy aus. Ich will nicht, dass Namjoon mich erreicht. Soll er sich ruhig Sorgen machen.

"Gut. Komm mit." sagt er und winkt mich hinter sich her, dann bahnt er sich einen Weg durch die Menge bis durch eine Tür und in einen Flur. Die Geräusche der Menge und die Musik brechen abrupt ab, sodass ich allein mit meinen Gedanken zurück bleibe.

Bin ich Namjoon wirklich so unwichtig, dass er sein Handy und obendrein noch ein fremdes Mädchen über mich stellt? Bin ich ihm zu wenig, oder langweilig geworden? Sucht er sich jetzt eine andere Beschäftigung, weil in unser Beziehung Probleme auftreten?

"Geht's dir gut?" fragt Yoongi, der mich besorgt mustert. Ich lasse mir Zeit mit der Antwort, um die richtigen Worte zu finden, während ich Yoongi dabei beobachte, wie er einen Schlüssel aus seiner Hosentasche hervorkramt und damit einen Spind aufschließt. Zum Vorschein kommt ein Rucksack, den er schultert und eine Jacke, die er sich über den Arm hängt. Bevor er den Spind wieder zumacht, bleibt sein Blick an einem Bild hängen, dass an der Tür hängt.

Es zeigt ihn und einen Jungen mit orangenen Haaren, die sich küssen und glücklich lächeln. Yoongi fängt sofort an zu grinsen wie ein Honigkuchenpferd und seine Augen fangen an zu funkeln. Dann knallt er die Tür des Spindes zu und dreht sich zu mir um.

"Und?" fragt er mit hochgezogener Augenbraue.

"Was und?"

"Na, wie geht's dir jetzt?" hilft er mir auf die Sprünge.

"Ich sag's dir, wenn du mir verrätst, wer das da auf dem Bild war." schlage ich vor.

Er verdreht die Augen und versucht, sich ein Grinsen zu verkneifen. Seine Augen nehmen einen sanften Ausdruck an. "Das war mein Verlobter. Du wirst ihn gleich kennenlernen. Er wartet sicher schon." antwortet er.

"Achso. Er sieht nett aus." mutmaße ich.

"Er ist nett. Und er akzeptiert mich, trotz meiner Vergangenheit. Ich liebe ihn über alles." flüstert er.

"Süß. Und um auf deine Frage zurückzukommen... Ich weiß es nicht. So, wie es jemandem gehen kann, der seinen Freund dabei beobachtet hat, wie er ein anderes Mädchen geküsst hat. Ich fühle mich irgendwie...leer. Und kaputt. Nicht müde, aber psychisch am Ende. Macht das Sinn?" antworte ich mit gesenktem Kopf.

"Ja, das macht Sinn. Kann ich irgendwas tun?" fragt er.

Ich schüttle den Kopf. "Nein. Das wird sicher wieder. Ich...kann es ja nachvollziehen. Er war betrunken. Und verträgt Alkohol nicht besonders gut, im Gegensatz zu all seinen Freunden." scherze ich.

Yoongi lächelt. "Ja, so einen Freund hatte ich auch mal, bevor Jimin und ich...weggezogen sind." sagt er lächelnd.

Save me? [Namjoon x Reader]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt