No Love

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Als ich am nächsten Morgen aufwachte,bereute ich meine Entscheidung, Jimmy alles erzählt zu haben, sofort.„Hoffentlich hält er seine Klappe" dachte ich im Stillen. Ich stand leise auf, um ihn nicht zu wecken. Zog mich an und verschwand im Bad. Eine gefühlte Ewigkeit starrte ich mich im Spiegel an. Ich bin blass geworden. Mein Gesicht wirkte fahl und eingefallen. Meine braunen Augen stachen riesengroß hervor. Dunkle Ringe zeichneten sich unter diesen ab. Ich konnte nicht begreifen, wie schnell mein wohlbehütetes Leben vorbei war. Ich kam noch nie wirklich mit meinen Eltern klar. Es ging ihnen immer um Macht und Geld. Das verstand ich einfach nicht. Mir gab dieses Leben im Reichtum nichts. Nur einfältige Leute, die gesellschaftliche Ereignisse, teure Klamotten und protzige Autos im Kopf hatten. Ich drehte mich die komplette Zeit nur im Kreis und war dauerhaft unglücklich. Keiner meiner sogenannten Freunde wollte mich aufnehmen, als ich von daheim abgehauen bin. Alle wollten ihren Ruf wahren.Doch seit ich hier im "Ghetto" war, ging es mir besser. Ich konnte endlich wieder atmen. Ich hatte das Gefühl ich war das erste Mal in meinem Leben frei. Es gab nur eine Person, die ich jeden Tag schmerzlich vermisste: Meine kleine Schwester.

Durch ein Klopfen an der Badezimmertür wurde ich aus meine Gedanken gerissen. „Alex, wir wollen heute auch noch ins Bad." kam Jimmys gedämpfte Stimme durch die Tür. Ich machte mich schnell fertig und schlüpfte aus dem Bad. Wir frühstückten zusammen, dabei war ich jedoch andauernd darauf bedacht mit Jimmy Augenkontakt zu vermeiden. Ich wollte kein Mitleid in seinen Augen sehen. Ich zog Lily eine Jacke an und brachte sie anschließend in den nahegelegenen Kindergarten. Danach ging ich ins Restaurant. Meine Kollegen merkten, dass etwas nicht stimmte. Statt mich auszufragen, versuchten sie mich jedoch mit allen möglichen Unsinn abzulenken. Ich liebte diese Kerle dafür.

Gut gelaunt kam ich von der Arbeit zurück. Im Trailer waren alle versammelt. Ich hatte das Gefühl, Jimmy hatte seine Klappe gehalten, denn alle waren wie immer. Proof umarmte mich zur Begrüßung. Mit ihm verstand ich mich neben Jimmy am Besten. Er war immer gut drauf, sowie die Jungs aus dem Restaurant. „Es ist Freitag Abend, Kleine, zieh dir was Heißes an, wir gehen ins Shelter." Dabei leuchteten seine Augen. Ich hatte keine Ahnung, was das „Shelter" war, aber ich war mir sicher heute nirgendwo hinzugehen zu wollen. „Nee du, lass mal! Wir können Lily hier nicht alleine lassen." „Keine Ausreden heute Alex! Jimmy hat Lily schon zur alten Miss Dunfyer gebracht. Komm, ich hab auch Zeug für dich dabei." Mit diesen Worten zog mich Lisa ins hintere Schlafzimmer. Es war kein Entkommen. Ich gab auf und zog die Sachen an, die sie mitgebracht hatte. Eine enge Jeans und ein schwarzes Top, das man am Rücken zuband. Freizügig, aber in Maßen,damit konnte ich leben. Dann schminkte sie mich. Ich wartete ungeduldig. Da wir keinen großen Spiegel hatten, konnte ich ihr Werk nicht bewundern, aber an sich war es mir auch egal, wie ich ausschaute. Ich hatte nicht vor, lange zu bleiben. Wir gingen wieder zu den Jungs. Ich lief hinter Lisa her, als ich jedoch vor ihnen stand, verstummten die Gespräche und alle starrten mich an. Es war mir verdammt unangenehm. Warum starrten die denn so? Sofort bereute ich meine Entscheidung. Ich zog mir meine Jacke an und seufzte.„Können wir jetzt los oder was?" Zum Glück setzten sich alle in Bewegung. Wir zwängten uns alle in Jimmys Auto und fuhren los.

Als wir an dem Club ankamen waren schon eine Menge Leute vor dem Club. Sie unterhielten sich und rauchten zusammen. Wir bahnten uns den Weg zum Eingang, vorbei an Gruppen von ausschließlich schwarzen jungen Menschen. Die Mädels schauten alle aus, als würden sie auf den Strich gehen. Viel zu kurze Kleider und viel zu hohe Schuhe, in denen sie nicht laufen konnten. Ich musste leise lachen. Ihre Gesichter erinnerten mich an Clowns mit den stark geschminkten Lippen.  Als wir am Eingang ankamen, stand dort eine Gruppe von schwarzen jungen Männern und zwei schwarzen Frauen, die meine Freunde abfällig von oben herab anschauten. „ Uhhh, unsere Loosergang kommt ins Haus." Die Gruppe lachte. Ich merkte wie meine Freunde sich versteiften. Die Jungs schoben Lisa und mich beschützerisch nach hinten und gingen bedrohlich auf die Gruppe zu. Sie standen sich nun alle angriffslustig gegenüber. Auf einmal bemerkte ich ein bekanntes Gesicht. „Oh mein Gott, Clarence!" Jimmy versuchte mich wieder hinter sich zu drücken,doch ich schlängelte mich an ihm vorbei und fiel meinem alten Freund um den Hals. Clarence war genauso überrascht wie ich und umarmte mich fest zurück. „Kleine, was machst DU denn HIER? Und vor allem mit diesen Loosern?" Ich löste mich aus der Umarmung und schaute ihn wütend an. „Hör auf, sie so zu nennen."zischte ich. Er zwinkerte mir nur belustigt zu.  Seine Freunde lachten. Als ich keine Reaktion von mir gab, zuckte er mit den Schultern und ging kommentarlos in den Club. Wir folgten ihnen.

Im Club war es laut und stickig. Die zwei Gruppen spalteten sich auf und ich setzte mich mit Jimmy und den Anderen an einen der wenigen freien Tischen. Sofort kam die Frage woher ich Papa Doc, wie sie Clarence nannten, kannte. Ich sagte schulterzuckend „Von früher". Zum Glück beließen sie es dabei. Laute Rap Musik dröhnte aus den Boxen und viele Leute bewegten sich rythmisch dazu auf der Tanzfläche. Meine Freunde bestellten sich Bier. Ich wollte allerdings nichts trinken,ich wollte tanzen. Also fragte ich in die Runde , ob jemand Lust hätte mit mir auf die Tanzfläche zu gehen. Die Jungs waren wenig begeistert, doch Lisa bot sich sofort an. Sobald wir anfingen zu tanzen, vergaß ich alles um mich herum. Ich bewegte mich zu dem Beat und hatte seit langem richtig Spaß. Als ich nach einiger Zeit zu Jimmy schielte, merkte ich, wie er mich fasziniert beobachtete. Ich musste lächeln. Lisa und ich blieben jedoch nicht lange allein. Clarence gesellte sich mit seinen Freunden zu uns. Meine Freundin verzog sich sofort angewidert, ich blieb jedoch. Nachdem ich ein paar Songs mit Clarence getanzt hatte, zog er mich zur Bar. „Also, was genau machst du hier in diesem gottverdammten Viertel?" fragte er mich neugierig, während er sich ein Bier bestellte. Ich bestellte mir nun auch einen Gin Tonic, mein Lieblingsgetränk. Ich war überrascht über die Preise hier, es kostete fast nichts. „Ich bin von daheim abgehaun und wohne jetzt bei Jimmy." „Krass" kam von ihm. Ich musste über seine Reaktion lachen. „Pass auf, hier kennen mich alle unter Papa Doc. Es weiß keiner woher wir uns kennen und das soll auch so bleiben ok?" Er sah mich eindringlich an. Ich nickte. Ich hätte gerne gefragt, wieso er daraus ein Geheimnis macht. Ich merkte aber, dass dafür gerade nicht der richtige Zeitpunkt war. Dann schaute ich wieder zu unserem Tisch. Jimmy war gerade in einer hitzigen Diskussion mit einem blonden Mädchen vertieft, das ich davor noch nie gesehen habe. Kurz darauf stand er auf und verschwand nach außen.Ich entschuldigte mich bei Clarence und folgte ihm. Außen entdeckte ich Jimmy sitzend auf seiner Motorhaube. Ich setzte mich neben ihm. Er blickte nicht auf. Nachdem wir eine Zeit lang schweigend nebeneinander saßen, fragte ich ihn leise: „Alles klar bei dir?" Er antwortete nicht, sondern zog seine Kapuze nur tiefer in sein Gesicht. Ich bekam das Gefühl nicht los, dass er weinte. Also nahm ich seine Hand und drückte sie. Zu meiner Überraschung drückte er meine Hand zurück. Ich legte meinen Kopf auf seine Schulter und schloss die Augen. Mit der Zeit beruhigte er sich. Unsere Hände waren noch immer ineinander verschränkt. Er fühlte sich so warm an. Mein Herz begann immer schneller zu schlagen und ich genoss diesen intimen Augenblick. Auf einmal hörte ich eine schrille Frauenstimme vor uns: „ Nimm deine Hände von meinem Mann weg, du verdammte Bitch!" Ich öffnete die Augen und sah das blonde Mädchen von vorhin vor mir. Sie stand direkt vor uns. Von nahen betrachtet war sie hübsch, aber keine Schönheit. Sie hatte ebenso blaue Augen wie Jimmy. Allerdings war sie viel zu stark geschminkt. Ihre rote Lippen schauten aus wie von einem Clown. Bei der Vorstellung musste ich kichern. Im nächsten Moment gab sie mir eine schallende Ohrfeige. Meine Wange brannte, aber ich konnte nicht aufhören zu lachen. Das war alles so absurd. Ich habe mit dieser Person noch nie ein Wort gewechselt und trotzdem knallte sie mir eine. Jimmy sprang auf und stellte sich zwischen uns. „Kim, verpiss dich!" „Warum hältst du mit dieser Schlampe Händchen, du verdammter Freak." erwiderte die blonde Frau wütend. Jimmy zog mich von seinem Auto hinunter und Richtung Clubeingang. Er ließ diese Kim einfach stehen. Sie schrie uns noch irgendetwas hinterher, dann waren wir wieder im Club. Er ging schnurstracks zu unseren Freunden, verkündete, er würde heimfahren, schnappte sich seinen Autoschlüssel und schob mich wieder zum Ausgang. Auf dem Parkplatz war von Kim nichts mehr zu sehen. Die Autofahrt nach Hause verlief schweigend.

Tragic EndingsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt