05.|| Glück

332 10 0
                                    

Der Vorfall in Shiganshina  war bereits einige Tage her. Die Flüchtlinge wurden erstmal in einem  Lebensmittelspeicher untergebracht, dort sollten sie vorerst leben, bis  man weiß wie es weitergehen soll. Antonia fand in Elisabeth eine Art  Mutterersatz und Elisabeth sah Antonia als Enkelin, die sie nie hatte.  Sie kümmerten sich umeinander wie eine Familie. Doch nicht jeder war so  glücklich wie die beiden. Täglich herrschte Streit, durch die weiterhin  bestehende Lebensmittelknappheit. Die Soldaten waren allmählich  überfordert mit den ganzen Flüchtlingen, weshalb sie angeregt über eine  Lösung des Problems sprachen. Kurzerhand wurde entschieden, einen  Großteil der Flüchtlinge als Arbeiter auf Äckern abzukommandieren. Diese  sollten den Boden fruchtbar machen, um die Lebensmittelknappheit zu  lindern.

Es war Winter. Der Schnee fiel in Massen von Himmel und  die Arbeiter versuchten sich verzweifelt vor der Kälte zu schützen.  Antonia stand, mit dem Mantel von Elisabeth bekleidet, auf dem Acker und  schlug mit der Spitzhacke auf den gefrorenen Boden ein. Sie und ein  paar anderen, mussten den Boden lockern. Später würden andere Samen  sähen. Was das genau bringen soll, war Antonia ein Rätsel. Es war Winter. Der Boden war gefroren, was soll da denn schon groß wachsen? Dass sie auf den Äckern arbeiten sollten, hat sie damals noch mit großer Verständnis empfangen. Aber jetzt, im Winter findet sie es zwecklos. Der  Vorfall war nun knapp ein halbes Jahr her, trotzdem lebten fast alle  Flüchtlinge noch im Lebensmittelspeicher. Manche hatten das Glück, dass  sie Familienmitglieder hatten, welche sie aufgenommen haben. Arbeiten taten auch nicht alle Flüchtlinge. Die alten und kranken mussten nicht  auf den Äckern arbeiten, wenigstens musste deswegen Elisabeth nicht hier  stehen. Sie würde sich den Tod holen und das wollte Antonia  keinesfalls. Ein lautes Klingeln ließ sie zusammenzucken, sie blickte  auf und seufze erleichtert. Ihre Schicht war zu Ende und sie durfte  wieder ,Heim'.

„Du bist ja ganz durchgefroren, komm her Schatz", begrüßte Elisabeth sie. „Schon okay Oma, mir gehts gut",  die beiden gingen in einen Gemeinschaftsraum. Dieser war ursprünglich  eine Art Scheune gewesen, jedoch haben die Flüchtlinge es umgestaltet  und abisoliert. Sonst wäre es verdammt kalt dort und viele würden an  einem Kältetod sterben. Elisabeth zog ihr den Mantel vom Körper und hing  ihn an einen Nagel, welcher in das Holz einer Säule geschlagen wurde. Die  beiden setzen sich an ein kleines Kaminfeuer, welches der ehemaligen  Scheune eine friedliche Atmosphäre verlieh. „Hast du Hunger? Eben haben Soldaten die Rationen verteilt, ich hab deine gleich mitgenommen", sagte sie und reichte ihr eine Schüssel mit Suppe und eine Scheibe Brot. „Danke", sagte Antonia und fing an die Suppe zu verzehren. Die noch warme Suppe wärmte sie von innen auf. „Kindchen ich muss dir was erzählen", fing die alte Frau freudig anzusprechen. „Setz dich auf die andere Seite, sonst versteh ich dich nicht", erklärte Antonia und Elisabeth sah sie entschuldigend an. Sie stand auf und setzte sich auf die linke Seite ihrer Enkelin. „Schieß los", forderte die braunhaarige sie auf. Elisabeth sah sie aufgeregt an. „Nun ich hab eine Arbeit gefunden!", verkündete sie. „Eine junge Frau hat mir angeboten in ihrem Laden zu arbeiten und da hab ich gleich zugestimmt!", erwartungsvoll sah sie Antonia an. Diese machte große Augen. „Ach du meine Güte, das sind ja tolle Neuigkeiten!",  jubelte sie und schloss Elisabeth in eine Umarmung. Diese erwiderte sie. Antonia stellte die leere Schüssel ab. Sie blickte hinter sich und  sah drei Kinder mit einem alten Mann an einem Tisch sitzen. Sie kannte  nur einen von ihnen und das auch nur vom sehen her, soweit sie sich erinnern kann, hieß er Eren. Eren war damals der Junge, der gegen den Soldaten rebellierte. Da hat Antonia ihn als Idioten beschimpft, was sie heute immer noch macht. Klar die Soldaten sind nicht besonders freundlich, das weiß sie auch selbst. Aber man sollte Respekt vor den Menschen haben, die einem zu essen und  eine Unterkunft bieten. Antonia erschrak, als das einzige Mädchen von den dreien ihren Blick auf die richtet. Die beiden sahen sich kurz in  die Augen, jedoch wandte Antonia ihren Blick ab. Das Mädchen war ihr  ungeheuer.

Die braunhaarige blickte durch ein Fenster hinaus. Es  war dunkel, aber durch das Mondlicht sah man die Schatten der  umliegenden Gebäude. „Ich gehe schlafen",  verkündete sie und Elisabeth nickte. Die grauhaarige wandte sich an  eine andere alte Dame, die neben ihr saß und fing ein Gespräch mit ihr an. Antonia stand auf und ging in eine Ecke, in der zwei Decken und ein  Haufen Heu lagen. Mit dem Geld, welches sie auf dem Acker verdiente,  hatte sie sich und ihrer Oma zwei decken gekauft, damit sie es  wenigstens etwas bequemer hatten. Elisabeth hatte sich ebenfalls sehr  gefreut, als sie mit den Decken zurückkam. Antonia zog ihre Schuhe aus  und wickelte das Tuch, welches um ihren Kopf gebunden war ab. Ihr Ohr war von Narben bedeckt, was sie dazu zwang es ab zubinden.  Sie fühle sich unwohl, wenn Leute sie darauf Ansprachen und sie gibt  auch ungern zu, ein Handicap zu haben. Allerdings stört das Tuch beim Schlafen, deswegen nahm sie es dafür ab. Sie legte sich auf ihren Platz, gähnte nochmal herzhaft und schloss dann ihre Augen.

„Schatz? Schatz bist du es?", eine Stimme drang an ihr Ohr. Antonia öffnete ihre Augen und sah in das Gesicht ihres Vaters. „P-Papa? Bist du es wirklich?", ungläubig sah sie ihn an. „Ja mein Liebling ich bin es",  antwortet er und grinste sie an. Er trug seine Uniform, die Flügel der  Freiheit prangten auf seinem Rücken und Oberarmen. Seine schwarzen Haare  waren wie immer zerzaust und mit seinen breiten Schultern sah man ihn  schon von weitem. Auf Antonias Gesicht liefen Tränen hinab, ohne zu zögern, sprang sie ihm in die Arme und ihr Vater fing seine Tochter lachend auf. „Warum weinst du den kleines?",  fragte er und drückte sie fest an sich. Die braunhaarige legte ihren  Kopf auf seine Schulter und durchnässte seine Kleidung mit Tränen. „W-Weil du T-Tod bist Papa...", schluchzte sie. „Oh ich bin nicht Tod", sagte er und Antonia hob ihren Kopf, um ihm in die Augen zu sehen. „Doch bist du, ich hab dich doch gesehen!", rief sie. „Ich bin nicht Tod....ABER DU BIST ES",  erschrocken sah sie ihn an. Die schwarzen Haare wurden länger und  verfärbten sich in ein dunkles Braun. Sein weit aufgerissener Mund wurde  größer, so wie der Rest von seinem Körper. Die Kleidung riss und flog in fetzten hinweg. Antonia versuchte sich aus seinem Griff zu befreien, Panik überkam sie. Sie sah in das Gesicht ihres ,Vaters'  und blickte in die hässliche Fratze des Titanen von damals. Wie damals  war sie fest in seinem Griff eingeschlossen und konnte sich nicht  befreien. Der Titan führte sie zu seinem Maul, um sie endlich in  Einzelteile zerkleinern zu können. Sie roch seinen Atem, Tod und  Verwesung. So wie damals ging es ihr durch den Kopf. Er legte sie in sein Maul und biss sie mit einem Kräftigen Hieb entzwei.

Keuchend  und mit schwerem Atem schreckte sie aus ihrem Schlaf auf. Panisch  blickte sie sich um. Sie war im Lebensmittelspeicher. Kein Titan. Nur  Elisabeth, sie und andere Flüchtlinge. Sie ist nicht gefressen worden.  Das war alles nur ein Traum. Nur. Ein. Traum.

Tatakai- gebrochene Feder Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt