Träume und Abivorbereitung à la YouTuber-Haus

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Träume und Abivorbereitung à la YouTuber-Haus

Auch wenn Taddls Versprechen recht hochtrabend formuliert war versprach er nicht zu viel. Wenn Taddl aufnehmen musste saß Simon (oder ungespielt, wie ich herausfand) bei mir und hörte mich ab. Manchmal auch Felix aka Dner und einmal sogar Izzi, ein etwas kleinerer, muskulöser Junge, mit dunklen, braunen Haaren. Wenn ich in der Küche stand, Frühstück machte oder kochte saß Ardy immer neben mir, selten ohne eins meiner Schulbücher in der Hand. Sogar Caty, Simons Freundin, die eigentlich genug mit ihrem eigenen Studium zu tun hatte, half nach Kräften. Wenn es schon langsam dunkel wurde und der Himmel klar blieb brachte Taddl mir das Longboard fahren bei. Manchmal gingen wir alleine raus, manchmal ging Ardy mit. Mir ist klar, dass sich das nicht anhört wie eine perfekte Vorbereitung auf die Wichtigste Prüfung meines Lebens, aber... Irgendwie es war es das doch. Die Fragen waren so beiläufig, dass ich sie mittlerweile schon im Schlaf beantworten konnte. Gleichzeitig lenkten sie alle mich jedoch gekonnt ab. Ich hatte gar keine Zeit Angst zu haben, oder vor Stress zusammenzubrechen. Dafür war ich in der Woche viel zu glücklich. Dementsprechend schlecht ging es mir Samstagabend. Am nächsten Tag würde ich schon vormittags wieder Nachhause fahren müssen. Es war schon einige Stunden her, dass die Sonne hinter dem Häusermeer von Köln versunken war. Die Luft war immer noch warm, doch ein angenehmer, kühler Wind hatte sich in das Labyrinth aus Straßen und Gassen verirrt. Meiner Meinung nach sah ich auf einem Longboard immer noch lächerlich aus, doch Taddl wurde nicht müde mich zu ermutigen. "Du machst Fortschritte!" bemerkte er, als er auf seinem zweiten Longboard gemütlich neben mir her fuhr, während ich mich abmühen musste das Gleichgewicht zu halten. "Ja! Ich muss mich nicht mehr dauernd an dir festhalten um nicht auf die Fresse zu fliegen!" murmelte ich ironisch, doch musste mitten im Satz abbrechen um irgendwie wieder ins Gleichgewicht zu kommen um nicht sofort auf den Asphalt zu landen. Plötzlich hörte ich hinter uns das Geräusch eines weiteren Longboards und Ardy rauschte an uns vorbei. "Sorry, dass ich so spät bin, aber ich war mir ziemlich sicher, dass ich euch noch einholen könnte." "Woran liegt das nur?" knurrte ich, aber noch bevor ich etwas anderes sagen konnte fragte Ardy "Wann weist f(x) eine Symmetrie zum Ursprung auf?" Ich musste lächeln und sah auf. Die Antwort kam mir so flüssig über die Lippen, als hätte ich mich mein Leben lang mit nichts anderem beschäftigt. Mit seiner verstellten Stimme sagte Taddl "Du bist echt gut, Mona. Ich hätte das schon längst wieder vergessen!" Wir mussten lachen. Diese Stimme hatte ich erst diese Woche zum ersten Mal gehört. Irgendwie hatte ich das Gefühl erst jetzt wirklich den Jungen kennenzulernen, in den ich mich verliebt hatte. Der größte Teil von ihm war doch YouTuber und LetsPlayer. "Ich mach jetzt ein Bild für Insta!" verkündete Ardy "Ist es ok für dich, wenn du drauf bist, Mona?" "Ja, klar. Meine Eltern würden sowieso nicht auf die Idee kommen auf Insta nach Bildern von mir zu suchen!" "Ich dachte damals meine Eltern wären streng gewesen, aber du tust mir richtig Leid!" Ich schaffte es wie durch ein Wunder neben ihm zu fahren ohne das Gleichgewicht zu verlieren. "Man gewöhnt sich daran. Am meisten Angst habe ich allerdings vor meinem Vater. Ich weiß nicht was er tun würde, wenn er wüsste was ich jetzt gerade mache... Um ehrlich zu sein wird mir schon schlecht wenn ich nur daran denke." Taddl fuhr neben mich und legte mir beschützend den Arm um die Schulter. Genau in diesem Moment öffnete sich die Gasse und gab den Blick auf den nächtlichen Kölner Dom frei. Bis jetzt hatte ich dieses riesige Gebäude nur am Tag gesehen, dementsprechend überwältigt war ich von dem Anblick. Es war eines der schönsten Dinge, die ich je gesehen hatte und das wichtigste war: In diesem Moment konnte ich an nichts anderes denken, als mich mit meinem Zeichenblock auf die noch leicht warmen Steine zu setzen und diesen Anblick für immer auf Papier zu fesseln. "Ich werde Künstlerin." "Was?" Taddl und Ardy sahen sich verdutzt zu mir um. "Taddl, du hattest Recht! Ich kann mich den Rest meines Lebens nicht durch Berge von Akten graben. Das würde ich nicht überleben! Ich werde Künstlerin, mehr will ich nicht. Egal, was mein Vater sagt!" Das strahlende Lächeln auf Taddls Gesicht ließ mein Herz etwas höher schlagen. Ich war mir sicher die richtige Entscheidung für mich getroffen zu haben. "Schaut jetzt möglichst bescheuert!" rief Ardy und zog sein Handy heraus. Er riss mich so abrupt aus meinen Gedanken, dass ich jetzt wirklich das Gleichgewicht verlor. Taddl versuchte noch mich irgendwie fest zu halten, doch dadurch fielen wir nur beide auf die harten Steine. "Mona, alles in Ordnung?" Erschrocken sprang Ardy von seinem Longboard und rannte zu uns herüber. "Und ich bin dir egal, oder wie?" rief Taddl während er begann sich aufzurappeln. "Ja DU machst morgen ja kein Frühstück!" antwortete sein Kumpel prompt und wir mussten wieder lachen. Wirklich weh tat mir momentan auch nichts, trotzdem blieb ich einfach neben Taddl liegen und hoffte, dass diese Nacht nie vorübergehen würde. "Bei mir ist alles ok." seufzte ich und setzte mich auf. "Sag bitte, dass du noch kein Bild gemacht hast!" Grinsend hob er sein Handy hoch und zeigte eins der peinlichsten Bilder, die es von mir gab. Eigentlich war das Foto an sich richtig lustig mit Ardys Selfie im Vordergrund und mit Taddl und mir im Hintergrund - mitten im Fall. "Oh Gott!" ich vergrub mein Gesicht in den Händen. "Bitte lösch das!" "Ich denke nicht dran!" lachte Ardy und machte einen schnellen Schritt zur Seite, als ich aufsprang um ihm das Smartphone aus der Hand zu nehmen. "Das kommt jetzt sofort auf Insta!" "Nein!" riefen Taddl und ich im Chor, aber er ignorierte es einfach. "Longboarden mit den Brudis. " las er vor, während er mir gekonnt auswich. " @taddltaddl" kicherte er "#Longboarden #Brudis #Megafail ..." Mittlerweile konnte ich es selbst nicht mehr ernst nehmen und setzte mich einfach auf die Stufen vor dem Dom. "Ich hasse dich, Ardy!" lachte ich und bemerkte plötzlich wie mir etwas warmes das Bein hinunterlief. Verwirrt krempelte ich meine Jeans hoch und schon nach ein paar Sekunden waren meine Finger voller Blut. "Oh... Ich..." verwirrt starrte ich auf mein aufgerissenes Knie. Die Wunde war tiefer, als ein normales, aufgerissenes Knie und Blutete auch stärker. Wie hatte ich es eben nicht bemerken können? "Mona? Was..." Taddl stand auf und kam auf mich zu, doch als er das Blut sah verstummte er. "Oh, Fuck!"

Den Rest der Nacht verbrachten wir in der Notaufnahme. Die Wunde war so tief, dass sie genäht werden musste doch sonst war alles in Ordnung. Da wir zu Fuß da waren musste ich mich den ganzen Weg bis zu ihm nachhause auf ihn stützen, aber zu keiner Sekunde empfand ich so starken Schmerz, dass es mir auch nur eine Träne ins Auge getrieben hätte. Taddl war da. Mehr brauchte ich nicht. "Und mit dir ist sonst wirklich alles in Ordnung?" "Zum hundertsten Mal: Ja! Taddl, ich bin kein kleines Kind, dass gleich losflennt wenn es hinfällt!" "Mona, du bist nicht einfach hingefallen! Das musste genäht werden." Ich musste grinsen und versuchte vorsichtig mein verletztes Bein wieder zu belasten. Es funktionierte. Langsam ließ ich seine Schulter los und machte ein paar Schritte alleine. "Ganz ehrlich." brummte Taddl, während er mir hinterher sah. "Momentan fühle ich mich in meiner Männlichkeit leicht in Frage gestellt..." Ich musste mir krampfhaft die Hand auf den Mund pressen, um nicht mit meinem Lachen die ganze Umgebung aufzuwecken. Außerdem war ich mir sicher, dass Simon und Felix noch mitten in der Aufnahme steckten und ich wollte sie nicht stören, denn wir standen jetzt genau vor der Haustür. "Das hatte ich nicht vor." sagte ich, als ich mich wieder gefasst hatte, doch noch mit einem leichten kichern in der Stimme. Taddl zog den Schlüssel aus der Hosentasche, aber noch bevor er aufschloss spürte ich, wie seine grau- blauen Augen an mir hängen blieben. Dann küsste er mich. So leidenschaftlich wie noch nie. "Ich trage dich aber die Treppe hoch!" hauchte er in mein Haar "Sonst fühle ich mich noch schlechter." Als wir am nächsten Tag unterwegs zum Bahnhof waren konnte ich wieder so weit normal laufen, dass meine Eltern nicht bemerken würden, dass ich mich überhaupt verletzt hatte. Eine Stunde bevor der Zug kam standen wir schon am Bahnsteig. "Und was machen wir jetzt noch, bis der Zug kommt?" fragte ich nach einem langen Kuss. Natürlich hatte ich nichts dagegen den Rest der Stunde hier zu stehen und ihn einfach nur zu küssen. Ich hätte den Rest meines Lebens nur hier stehen können, solange nur Taddl bei mir blieb. "Hier irgendwo müsste eine Fotokabine sein... Ich hätte gerne ein anderes Bild von uns, außer das im freien Fall." Damit verbrachten wir den Rest der Stunde und die Fotos waren es Wert! Wir machten so viele, bis wir kein Geld mehr hatten. Dann kam der Zug. Ein letzter Kuss, Dann schlossen sich die Türen zwischen uns. Mein Herz fühlte sich an, als wollte es aus meiner Brust herausspringen und zu Taddl zurück fliehen. Mit diesem schmerzendem Herz in der Brust fiel mir auf, dass ich morgen Abi schreiben würde. 

Ein Sturz entferntWo Geschichten leben. Entdecke jetzt