“Wie geht es deinem Bein?“, fragte ich Liz, nachdem ich einen Stuhl neben ihr Bett gezogen hatte. Sie saß widerwillig im Schneidersitz auf dem weißen Laken und betrachtete ihren Verband.
“Ist schon wieder verheilt, aber Dr. Allard will mich nicht gehen lassen. Sie ist der Meinung, dass mein Körper noch zu schwach ist“, berichtete sie schnaubend.
“Du bist auch noch ein bisschen blass“, merkte ich vorsichtig an.
“Unsinn, mir geht es gut!“
Ich seufzte. “Wie du meinst.“
“Wo kam diese Falle nur her? Die war doch gestern Abend auch noch nicht da.“
“Meinst du, die war absichtlich für uns bestimmt?“
“Wenn es wieder dieser Mörder an unserer Schule war, ja. Wir müssen wirklich vorsichtiger sein!“
“Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass jemand von uns so grausam sein könnte.“ Sie nickte um mir zuzustimmen.
“Hast du denn irgendeine Idee wer es sein könnte? Vielleicht weilt auch nur jemand unter uns, den wir nicht kennen und noch nie gesehen haben?“
Ich wollte schon verneinen, doch da fiel mir etwas ein.
“Als ich vergiftet war, hatte ich so einen Traum oder eine Vision in dem Eldon mit einem fremden Mann über mich geredet hat. Er hat Eldon berichtet, dass ich sterbe werde und er seine Aufgabe damit erfüllt hat“, berichtete ich aufgeregt.
“Violet, es ist normal, dass du in solch einer Situation diese Träume hast...“
Ich unterbrach sie: “Es hat sich nicht wie ein Traum angefühlt! Es war als würde das wirklich passieren. Ich weiß, dass es verrückt klingt, aber wenn Vampire, Dryadogen und andere übernatürliche Wesen existieren, kann es ja wohl auch Visionen geben oder etwa nicht?“
“Doch, aber während der Vergiftung waren deine Emotionen viel stärker und ich vermute mal, dass dein Unterbewusstsein diese durch die Träume verarbeiten wollte und dieses Spion-Thema hat dir doch auch zu schaffen gemacht.“
“Ich habe das bisher nur verdrängt, aber jetzt wenn ich mehr darüber nachdenke...ich habe auch Lynne gesehen und sie wusste Dinge, die mein Unterbewusstsein nicht wissen konnte!“
“Ich habe schon davon gehört, dass Menschen die dem Tod sehr nahe sind, tote Angehörige erscheinen und mit ihnen reden können, aber es soll sehr selten sein. Du hast mir nichts davon erzählt.“
“Liz ich habe einen Beweis, dass es nicht nur ein Traum war!“, kreischte ich plötzlich los, sodass Liz mich irritiert ansah und schweigend abwartete dass ich weitersprach.
“Ich habe den Mann neben Eldon noch nie in meinem ganzen Leben gesehen, wie hätte ich also von ihm träumen sollen?“
“Vielleicht ist er dir schon einmal zufällig über den Weg gelaufen, doch du hast ihn nicht bewusst wahrgenommen“, überlegte sie skeptisch, doch ich schüttelte überzeugt den Kopf.
“Violet, ich vertraue dir wirklich, das weißt du doch, aber...“
“Kein aber! Ich bin mir so sicher wie noch nie zuvor!“
“Nehmen wir einfach mal an, das was du sagst stimmt, wie hilft dir das weiter? Ich meine hast du denn einen Anhaltspunkt wie du ihn aufspüren willst?“
Ich wandte enttäuscht den Blick ab. Sie hatten nichts gesagt was in dieser Weise nützlich sein könnte. Oder doch! “Eldon hat ihn nach Transsilvanien geschickt!“
“Findest du das nicht etwas zu viel Zufall?“
“Wieso? Ich fahre nächste Woche sowieso zu Jonah, dann können wir die Suche nach dem Spion gleich damit verbinden!“
“Ich glaube nicht, dass der Typ der Spion ist.“
“Ach Liz das hatten wir doch schon!“
“Er könnte etwas damit zu tun haben, aber der Spion ist mitten unter uns, er kann sich ja nicht einfach unsichtbar machen oder sich ungesehen die ganze Zeit im Gebäude herumtreiben.“
“Wichtig ist trotzdem, dass wir ihn finden!“
“Ich lasse dich da sicher nicht allein hingehen.“
“Du darfst nicht mit, wenn du keinen Austauschschüler hast, Liz und ich kann nicht solange warten, bis du privat hinfahren kannst. Uns rennt langsam die Zeit davon!“
“Du kannst das nicht ohne mich machen!“
“Es tut mir leid dir das sagen zu müssen, aber ich habe keine andere Wahl!“
“Nein, du bist nicht dazu in der Lage das alleine zu machen. Wer passt denn dort auf dich auf, wenn ich nicht dabei bin?“
Jetzt reichte es mir aber, damit ging sie dann doch etwas zu weit.
“Ich bin sehr wohl in der Lage mich selbst zu verteidigen, was du eventuell am Kampf gegen den Blugu gemerkt hättest, wenn du dich nicht woanders herumgetrieben hättest! Außerdem ist Jonah dabei.“
Dachte sie etwa ich schaffte ohne sie nichts oder was?
“Die hilft dir sicher nichts.“
“Was soll das Liz? Du brauchst meine Freundin nicht zu beleidigen, wenn du sie noch nie kämpfen hast sehen. Wenn du das nämlich hättest, würdest du das niemals sagen!“
Ich hatte zwar versucht leise zu reden, doch irgendwann war ich in einen lauteren Ton übergegangen. Ich weiß nicht, was zwischen Jonah und Liz vorgefallen war, aber dies gab ihr noch lange nicht das Recht sie zu beleidigen und schon gar nicht wenn ich dabei war! Sie wusste genau, dass ich mich mit ihr angefreundet hatte.
“Ich kann einfach nicht verstehen was du an der findest!“
Ok, da war eindeutig zu viel.
“Sie hat mich, während wir deinen Opa befreit haben, besser beschützt als es jemand anders hinbekommen hätte. Immerhin hast du es nicht einmal geschafft, mich davon abzuhalten, meine Mitschüler anzugreifen und ich war nun wirklich nicht die Stärke in Person!“
Ich wusste, dass ich ihr damit weh getan hatte, denn sie sah mich verletzt an, bevor sie mich wütend aus dem Raum schmiss, doch ich ging nicht in Reue sondern in Wut. Ich fühlte mich, als könnte ich einen Baum mit bloßen Händen fällen. Sollte ich vielleicht versuchen, um mich etwas abzureagieren. Wieso zerstritt ich mich in letzter Zeit nur so häufig mit den Leuten die mir etwas bedeuteten?
Mit unheimlicher Geschwindigkeit rannte ich zum Waldrand und schlug mit voller Wucht in den ersten Baum, der mir im Weg stand. Anscheinend hatte ich meine Kraft bei Weitem unterschätzt, denn der Baum knallte mit einem lauten Rums auf den Boden.
“Ups“, sagte ich ungerührt und drehte meiner Tat den Rücken zu.
Ich nutzte meine ganze Macht und legte sie in meine Geschwindigkeit, sodass die Welt nur so an mir vorbeischoss. Es war eine sehr befriedigende Art, seine Wut abzubauen und sich zu beruhigen. Selbst der eiskalte Wind, der sich wie Splitter die sich in meine Haut bohren anfühlte, machte mir nichts aus, denn ich schob dieses Gefühl einfach beiseite. Ich wusste nicht, wie lange ich so rannte und ich hatte auch keine Ahnung wo ich mich eigentlich befand, aber es war mir ebenso egal wie die leise Vorahnung, dass sich jemand eventuell Sorgen um mich machen könnte, wenn ich nicht bald zurückkehrte. Gerade gab es nur mich und die Freiheit, welche ich genoss, während die Landschaft nur so an mir vorbeirauschte. Irgendwann verlangsamte ich mein Tempo und ließ mich ins weiche Gras fallen. In der Ferne erkannte ich die kleinen Dächer einer Stadt, während sich sonst um mich herum nur Felder befanden. Ich musste ziemlich weit von der Academy entfernt sein, denn es kam mir rein gar nichts hier bekannt vor. Um den Kopf freizukriegen legte ich mich hin und blickte in den bewölkten Himmel. Meine Gedanken drifteten ab und fanden sich bei Cole wieder. Was er wohl gerade tat? Ich fragte mich, wie er wohl mit seinem Vater umging, wenn er ihn so verabscheute, wie er mir gesagt hatte.
Meine Mutter und ich hatten zwar schon einige Differenzen gehabt, aber ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen wie es war, seinen Vater oder seine Mutter zu hassen weil sie ein Monster waren. Ich glaube ich würde dann doch lieber ganz ohne Eltern aufwachsen! Bisher hatte ich nicht viel darüber nachgedacht, aber Cole musste es echt beschissen gehen. Nur erwähnte er nie etwas davon, sondern versuchte ganz allein damit klarzukommen. Mein Mitgefühl für ihn wurde immer größer, je intensiver ich über ihn nachdachte. Wie war wohl seine Kindheit bei Eldon verlaufen? Es gab so vieles das ich noch nicht über ihn wusste und ich fand, dass wir das bald ändern sollten.
Wie ich so da lag und nach oben starrte, machte sich plötzlich das dumpfe Gefühl in mir breit, welches mir sagte, dass ich zurück sollte, da man nach mir suchte. Verwirrt sprang ich auf die Füße. War das eine mir noch unbekannte Fähigkeit der Vampire, zu wissen wo man gerade sein sollte oder dass man gesucht wird? Vielleicht schickte mir jemand dieses Gefühl? Ich dachte zuerst an meine Mutter, aber sie war kein Vampir, weshalb sie zu so etwas wahrscheinlich nicht im Stande war. Eventuell gehörte es zum Auserwählten-dasein? Ich beschloss mir darüber nicht länger den Kopf zu zerbrechen, sondern mich auf den Heimweg zu machen und rannte los. In der Zeit in der ich sprintete, vergaß ich alles, über das ich zuvor nachgedacht hatte und war darüber nicht gerade enttäuscht. Alles auf das ich mich konzentrierte war das erneute Gefühl der Freiheit und der Grenzenlosigkeit.
Ich hatte kein Zeitgefühl gehabt und wusste dementsprechend nicht wie lange es dauerte, bis ich durch die Eingangshalle marschierte, wobei es mir egal war ob ich Schlammflecken auf dem frisch polierten Boden hinterließ.
Sofort vernahm ich hastige Schritte, die mir sagten, dass eine Person die Treppe hinabpolterte. Ich hoffte, dass es niemand war der zu mir wollte, doch leider wurde ich enttäuscht, als sich jemand auf mich stürzte und mir dabei reichlich blondes Haar in den Mund stopfte.
“Violet, du bist wieder da!“
Ich war zu sehr damit beschäftigt ihre Haar aus meinem Mund zu entfernen, um ihr zu antworten.
“Ich habe mir solche Sorgen gemacht!“ Sie nahm mein Gesicht in beide Hände und befreite mich so ihrem klammernden Griff.
“Warum denn?“
“Hast du mal auf die Uhr gesehen?“
Ich schüttelte den Kopf.
“Du warst den ganzen Vormittag fort, es ist drei Uhr Nachmittags!“
“Oh“, so lange war es mir dann auch nicht vorgekommen.
“Das machst du mir nie wieder, ist das klar?“, befahl sie mit strenger Stimme, die mir keine Wahl ließ ihr zu widersprechen, sodass ich nur brav nickte.
“Wo warst du überhaupt?“
“Ich habe mich mit Liz gestritten und dann bin ich einfach nur noch gerannt. Fort von der Academy, fort von allem.“
Mitleidig legte sie den Kopf schief und sagte mit weicher Stimme: “Liz hat mir schon von eurem Streit erzählt. Ich weiß, dass Vampirgeschwindigkeit sehr berauschend sein kann, ich verstehe das vollkommen, vor allem wenn du mal etwas Abstand gebraucht hast, aber du kannst nicht einfach gehen ohne jemandem Bescheid zu sagen!“
“Tut mir leid, Mum“, nuschelte ich und fühlte mich schuldig, dass sie sich solche unnötigen Sorgen gemacht hatte.
“Ach mein Schatz, ich bin einfach nur froh, dass es dir gut geht.“
Sie nahm mich erneut in den Arm, diesmal jedoch etwas sanfter, sodass ich weder Atemnot erlitt, noch an Haaren im Mund erstickte.
Auch wenn sich mein kleiner Ausflug sehr befreiend angefühlt hatte, brauchte es manchmal doch eine Umarmung seiner Mutter.
Aus dem Augenwinkel erkannte ich eine große, schlanke Person die auf der Treppe zum zweiten Stock stand und das Spektakel mit hochgezogener Augenbraue beobachtete. Lady Devone machte sich nicht Mühe herunter zu kommen um ihre Enkelin zu begrüßen, sondern tippte nur mit zwei Fingern im Takt auf das Treppengeländer, als würde sie auf etwas warten das nicht eintraf.
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The Vampire World
VampireDie 17 jährige Violet Chase wird eines Tages urplötzlich von ihrer besorgten Mutter an eine Vampir Akademie gebracht, welche versteckt in den tiefen Wäldern Englands liegt. Nur dort sei sie sicher. Bevor sie sich überhaupt an ihre neue Umgebung gew...