10. Kapitel

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"Jake wo steckst du?", schrie ich verzweifelt und drehte mich einmal um meine eigene Achse. Er war doch gerade noch da gewesen. Wo war er nur? Plötzlich war meine komplette Orientierung weg. Verzweifelt überlegte ich was ich jetzt tun sollte, denn ich hatte keinen blassen Schimmer wie ich aus diesem Wald herausfinden sollte. Zu meinem Übel erklang genau in diesem Moment hinter mir ein lautes, wütendes Knurren. Ich erstarrte. Ganz langsam drehte ich mich um, nur um daraufhin einen erstickten Schrei auszustoßen. Ich blickte in ein großes Paar gelber Augen, die mich nicht weit entfernt aus einem Busch heraus beobachteten.
Ich konnte in der Dunkelheit des Waldes nicht ausmachen, wem oder was die Augen gehörten. Ein Knacken riss mich aus meiner Trance. Das alles andere als menschlich aussehende Paar Augen des Wesens hatten sich einen Schritt auf mich zu bewegt. Bevor auch nur ein weiteres Mal ein Schrei meine Lippen verlassen konnte, rannte ich auch schon los. Zum ersten Mal war ich Sir Mathis für die vielen Ausdauerrunden um den Trainingsplatz wirklich dankbar. Ich spürte wie das Adrenalin durch meinen Körper schoss und rannte was das Zeug hielt. Dank meiner 'Vampirkräfte' war ich deutlich schneller als Menschen. Die vorbeifliegenden Zweige klatschten mir ins Gesicht und ich hoffte inständig, dass keine Narben zurückbleiben würden. Ich konnte hören, dass ich verfolgt wurde und versuchte alles aus meinen Muskeln herauszuholen, doch langsam machte sich die angestaute Erschöpfung der letzten Tage bemerkbar. Keuchend sprang ich über einen umgestürzten Baum, der mitten in meiner Strecke lag. Als ich in einiger Entfernung einen Weg erkennen konnte, hielt ich darauf zu und erreichte ihn innerhalb kurzer Zeit. Ich vermutete wenn ich mich nach dem Training mal so richtig entspannnen könnte, wäre meine Geschwindigkeit deutlich höher. "Viola?" Ich kam schlitternd zum Stehen und sah Jake an einem Baum lehnen. "Jake! Wo warst du? Wir müssen hier weg, mich verfolgt etwas!" "Was redest du da? Ich war die ganze Zeit bei dir, bis du plötzlich verschwunden bist, als hättest du dich in Luft aufgelöst." Ich konnte deutlich den Ärger, den er versuchte zu unterdrücken in seiner Stimme wahrnehmen. "Das kann nicht sein!" "Ist aber so, und außerdem was sollte dich bitte verfolgt haben oder siehst du was das ich nicht sehe?" Ich lauschte kurz in die Dunkelheit hinein und tatsächlich: das Knurren und das Rascheln waren verschwunden. "Aber...ich versteh das nicht!" Jake sah mich mit spöttischem Ausdruck an. "Da gibt es auch nichts zu verstehen, du hast einfach halluziniert und bist vom Weg abgekommen." Das machte alles gar keinen Sinn, doch ich beließ es dabei, denn ich wusste, dass es zwecklos war noch weiter zu bohren.

Müde schob ich mich in mein Zimmer und tastete nach den Lichtschalter. "Im Dunkeln ist es doch viel schöner, findest du nicht auch?" Mir entfuhr ein Schrei, da ich derart in Gedanken versunken gewesen war und nicht damit gerechnet hatte jemandem in meinem Zimmer vorzufinden. "Himmel Cole! Musst du mich so erschrecken", fuhr ich ihn halb aufgebracht halb froh, dass er es war, an. "Nein aber es macht Spaß." "Du mich auch Cole, du mich auch", zischte ich ihm entgegen und schaltete endlich das Licht an. "Das lag übrigens auf deinem Bett, ich hätte mich fast draufgesetzt. Hübsches Teil", grinste er anzüglich und hielt dabei meinen BH, den ich heute morgen achtlos aus dem Schrank geworfen hatte, zwischen zwei Fingern. "Oh mein Gott Cole! Du bist widerlich!" Schamesröte stieg mir ins Gesicht, als ich im meine Unterwäsche aus der Hand riss und in meine Komode stopfte, wohlbedacht seinem Blick auszuweichen. Als sein Lachanfall abebbte fragte er: "Seit du den Raum betreten hast wollte ich dich schon fragen warum du aussahst, als hättest du einen Geist gesehen, aber ich konnte deine Unterwäsche doch nicht einfach so kommentarlos liegen lassen!" Er unterdrückte einen weiter Anfall seines Lachens bevor er mich erwartend ansah. "Ich..", stotterte ich unschlüssig und fragte mich, ob ich ihm von vorhin erzählen sollte, immerhin hatte mich Jake schon für verrückt erklärt, da brauchte das nicht auch noch Cole von mir denken. Doch der Drang mein Erlebtes jemandem mitzuteilen übermannte mich und ich begann: "Ich war im Wald hinter der Schule laufen und ich hatte die ganze Zeit das Gefühl beobachtet zu werden, aber ich dachte ich bilde mir das nur ein. Doch dann ist Jake plötzlich verschwunden und ich habe etwas mit riesigen gelben Augen gesehen das mich angeknurrt hat und dann bin ich natürlich wortwörtlich um mein Leben gerannt. Irgendwann stand Jake wieder vor mir und behauptete, ICH hätte mich plötzlich in Luft aufgelöst und hätte mir das unheimlich Ding nur eingebildet."
Cole brauchte einen Moment um das eben Erfahrene sacken zu lassen, bevor er zu einer Antwort ansetzte: "Das ist in der Tat merkwürdig und ich zweifle keineswegs an deinem Urteilsvermögen, Violet, aber es ist schon etwas fraglich wie jemand oder besser gesagt etwas auf das Gelände gelangen könnte." Wenn er mir jetzt auch keinen Glauben schenkte, erklärte ich mich endgültig für übergeschnappt. "In Anbetracht der Tatsache, dass du dich an den Wächtern vorbeigeschlichen hast und soeben in meinem Zimmer stehst, dürfte sich das Eindringen in das Schulgelände wohl kaum als besonders schwierig gestalten und warum nennst du mich immer Violet und nicht Viola wie alle anderen?!" "Ich an deiner Stelle würde mich nicht unterschätzen und dein richtiger Name klingt doch viel schöner, findest du nicht?" Entgegen meines Erwartens sah er nicht gekränkt aus, obwohl ich ihn ja soeben indirekt beleidigt hatte. Wenn ich es mir recht überlegte lag er gar nicht so falsch. Viola klang irgendwie...würde die Oma meiner Freundin so heißen, war der Name passender. Ich meine, meine Oma sah ja dadurch, dass sie ein Vampir war, deutlich jünger aus. Ich fragte mich was meine Mutter nur an diesem Namen fand, obwohl ich zugeben musste, dass ich bisher noch kein einziges Mal darüber nachgedacht hatte. "Ehrlich gesagt will ich auch gar nicht wissen wie du die Wächter umgehst und an mein Fenster kommst ohne entdeckt zu werden." "Eines Tages werde ich es dir zeigen." Mittlerweile hatte er es sich auf dem Sofa bequem gemacht und starrte nachdenklich vor sich hin. Ich grübelte ob ich der Schulleitung oder meiner Mutter etwas von dem Wesen erzählen sollte, denn schließlich bedeutete dies, dass die Sicherheit der Schule gefährdet war, aber der negative überwiegende Punkt war, dass da ja noch Jake war und dem würde ganz sicher mehr Glauben geschenkt als mir - immerhin war er schon von klein auf an der Schule. Letzten Endes würde eh niemand auf meiner Seite stehen, da es bestimmt nicht einen einzigen Beweis für meine Aussage gab. Ich nahm nur nebenbei wahr, dass Cole sich erhoben hatte und seinen Mantel glattstrich. Erst als er das Fenster aufzog war ich wieder voll anwesend. "Heute etwa kein Training?", fragte ich enttäuscht. "Ich muss da noch was regeln..." "Und was?" "Neugier ist der Katze Tod", gab er als Antwort. Wie bitte?! Erstens war ich keine Katze und zweitens hatte ich gehofft, dass er mir, nachdem er so oft bei mir auftaucht, wenigstens ein bisschen Vertrauen entgegen bringen würde. "Hab ich ja noch nie gehört", schoss ich beleidigt zurück. "Du lebst einfach noch nicht lange genug." Und weg war er. Ich seufzte. Wenn ich doch nur mehr über ihn wissen würde, könnte ich ihn auch besser einschätzen.

"Morgen Viola, hast du schon die Neuigkeiten gehört?" Liz kam sofort auf mich zugerannt, als sie mich den Speisesaal betreten sah und hüpfte nun aufgeregt an meiner Seite zu unserem Stammplatz. "Was denn?" "Na der Herbstball!" "Was wovon redest du?!" Sie verdrehte die Augen und deutete auf ein Plakat an der Wand, auf dem Herbstball am 28.10. Eintritt ab 16, in roter Farbe stand. "Das ist jedes Jahr, habe ich mir sagen lassen. Und wir werden da auf jeden Fall hingehen!" "Aber ich brauche doch noch jemanden mit dem ich hingehen könnte..." "Du findest schon jemanden! Alec hat mich vorhin schon gefragt, sonst hätte ich mich als deine Freundin als Begleitung zur Verfügung gestellt." Ich nickte und genoss nachdenklich mein Frühstück. Irgendwie bezweifelte ich, dass ich eine Begleitung finden würde - wer sollte mich denn fragen? Dann würde ich einfach Alex fragen, ob sie hingeht, oder ich würde Zuhause bleiben und mir einen schönen Abend alleine machen. Zu lange hatte ich mich schon nicht mehr verwöhnt, obwohl dies aufgrund des harten Trainings längst überflüssig war. Ich spürte die blauen Flecken von vorgestern immer noch und der Muskelkater in meinen Beinen schmerzte von Beginn an.

Im Unterricht versuchte ich so gut wie möglich mitzukommen, was sich allerdings nicht immer als ganz einfach herausstellte, da manche Lehrer einfach zum Einschlafen langweiligen Stoff machen. Gerade hatten wir Englisch, was ich noch einigermaßen verstand, und dass die Lehrerin, im Gegensatz zu den anderen ganz nett war, verbesserte dies erheblich. Wenigstens behandelte mich keiner bevorzugt, nur weil ich die Enkelin der Schulleiterin war. Auf der anderen Seite wurde ich immer noch herablassend angestarrt, sobald ich den Raum betrat, aber das konnte ich größtenteils ignorieren. "Ich will einen zweiseitigen Aufsatz über das Thema von heute...Bis morgen!" Ok das mit dem nett nehme ich zurück, dachte ich. Blöderweise hatten wir schon genug zu tun und ich musste heute auch noch zu Sir Mathis. Ich stöhnte innerlich auf bei dem Gedanken an den kalten, herzlosen Wächter, der mir das Blut in den Adern gefrieren ließ, sobald er mir einen seiner Mörderblicke zuwarf.

Wie ich befürchtet hatte, waren die Übungen wieder einmal eine Qual, denn ich fiel jedes Mal hin, wenn ich versuchte seine Bewegungen nachzuahmen. Er konnte sich schneller bewegen als ich denken konnte. Dies war auch der Grund, dass ich ihn zu spät auch mich zustürmen sah und mein Gesicht Bekanntschaft mit seinem Fuß machte. Schmerzerfüllt zuckte ich zusammen und sank auf den halbnassen Asphalt. "Schwäche!", brüllte er und sah aus, als wolle er mir ins Gesicht spucken, weil er das Wort verabscheute. "Fuck you", murmelte ich vor mich hin. "Was?!" "Nichts", sagte ich nun etwas lauter, damit er mich verstand. Ich wollte nicht wissen, was passiert wäre, wenn er mich richtig gehört hätte.

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