57. Kapitel

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“Das ist dein Bruder!?“
Celeste spitzte die Lippen und schloss mit einem Fingerschnippen die Türen zum Thronsaal.
“Halbbruder“, entgegnete sie abwertend.
“Warum so ruppig?“
“Das fragst ausgerechnet du?“
“Gut, ich gebe zu, es war nicht besonders nett von mir, damals einfach zu verschwinden, aber ich gehöre nun mal zu den Redwoods“, erklärte er schulterzuckend während er sich im Saal umsah.
Nett war es wirklich nicht“, meldete sich nun auch Libby zu Wort, deren Stimme seltsam zerkratzt klang.
“Es tut mir leid wenn ich etwas überstürzt gegangen bin, aber nach dem Tod unserer Eltern musste ich fort. Nichts hat mich mehr hier gehalten.“
Nichts...“, widerholte Celeste kalt und starrte Frey so eindringlich an, dass er das Buch, welches er soeben vom Tisch genommen hatte, wie ertappt wieder hinstellte.
“Hier ist kein Platz für zwei Herrscher, Celeste. Ich musste gehen, die Redwoods sind mein Volk!“
“Wir sind deine Familie, falls es dir noch nicht aufgefallen ist.“
“Wieso hälst du an diesem Thema immer noch fest? Du weißt genauso gut wie ich, dass es die einzig richtige Entscheidung gewesen war, zu gehen.“
Frey ließ sich auf Celestes Thron fallen, während diese ihrer kleinen Schwester einen prüfenden Blick zuwarf.
Mein Blick wanderte ebenfalls in Libbys Richtung.
Diese wich sowohl meinem als auch Celestes sorgenvollen Blick aus.
War Libby der Anlass für Celestes Aufruhr?
“Muss eindrucksvoll sein, auf diesem Thron zu sitzen...“
Die Hexenkönigin verschränkte die Arme und ignorierte ihren Bruder.
“Was machst du hier Frey?“
“Ich will es wieder gutmachen.“
“Und wie genau willst du das anstellen?“
Sie klang nicht sonderlich begeistert von Freys Plan.
Ich wunderte mich, dass Libby sich aus dem Gespräch so gut wie raushielt und ihren Bruder nur anstarrte. Von ihrem Gesicht konnte ich keine Gefühle ablesen, sie war offenbar ziemlich gut darin, diese zu verbergen.
“Ich konnte Reginald überzeugen, euch im Krieg zu unterstützen.“
Celestes Kopf zuckte wie durch einen Stromschlag in seine Richtung und sie starrte ihn ungläubig an.
“Die Redwoods wollen sich uns anschließen?!“
“Sie sind nur etwas verrückt, nicht gefühlskalt!“
“Da wäre ich mir nicht so sicher...“
“Ich gehöre auch zu ihnen!“
“Eben.“
Frey lächelte, als sei er stolz auf die Beleidigung seiner Schwester.
Jonah räusperte sich neben mir und alle Augen richteten sich auf sie.
“Ich will ja nicht stören, aber Violet und ich sollten langsam wieder zurück, sonst schicken die noch einen Suchtrupp los!“
Ich nickte zustimmend und hoffte, dass noch niemand unsere Abwesenheit bemerkt hatte.
“Ich gehe auch“, sagte Libby und eilte zur Tür hinaus, durch die auch Eliphas verschwunden war.
“Ich begleite euch zurück“, bestimmte Frey vorfreudig, woraufhin Jonah mir einen genervten Blick zuwarf.
Bevor Frey an seiner Schwester vorbeilaufen konnte, hielt diese ihn am Arm fest und sagte: “Mich hat es nicht gestört, dass du zu deinesgleichen gegangen bist, aber Libby hätte nach dem Tod unserer Eltern ihren großen Bruder sehr gut gebrauchen können!“
Freys Gesicht wurde traurig, als er darüber nachdachte.
“Das habe ich nicht bedacht...“
“Ich weiß, sie war am Boden zerstört. Du hättest ihr wenigstens mal einen Besuch abstatten können!“
“Ich rede mit ihr.“
Celeste nickte betrübt und ließ sachte den Arm ihres Halbbruders los.
“Ich habe dich vermisst, weißt du, auch wenn du es vielleicht nicht glaubst.“
Ich fühlte mich bei dieser Unterhaltung irgendwie fehl am Platz. Als würde ich etwas belauschen, das ich nicht hören sollte.
“Die Streitereien oder was?“
“Ganz genau“, grinste er und umarmte seine Schwester so schnell, dass sie nichts dagegen tun konnte, sondern nur verdutzt dastand, als er daraufhin auf Jonah und mich zuging.
“Warum hast du mich überhaupt hierher geschickt, wenn du eh selbst gekommen bist?“, fragte ich ihn, als er bei uns ankam.
“Weil ich eigentlich nicht geplant hatte, hierher zukommen.“
Mit dieser Antwort musste ich mich wohl zufrieden geben
Wir folgten Frey zur Tür, wo er sich noch einmal umdrehte und zu Celeste sagte: “Die Krone steht dir!“
“Ich weiß.“
Mit diesen Worten fiel die Tür hinter uns ins Schloss und wir entfernten uns vom Palast.
“Du hättest mir eigentlich auch gleich sagen können, dass du Celestes Bruder bist“, warf ich Frey vor, während wir im Dunkeln den Weg entlang wanderten.
“Wo wäre dabei der Spaß gewesen?“
“Ich fand das eher weniger spaßig!“
“Ich habe ja auch von mir geredet, Kleine.“
Ich hob drohend die Faust: “Hör gefälligst auf mich so zu nennen!“
Anstatt mich zu unterstützen, nickte Jonah Frey zufrieden zu. So eine Frechheit. Jetzt fiel mir auch noch meine Freundin in den Rücken!
“Gut gespielt, Hexer!“
“Magier klingt etwas eleganter, findest du nicht auch?“, verbesserte Frey sie.
Bedeutete das nicht im Grunde genommen genau das Selbe?
“Nein“, erwiderte Jonah ungerührt.
“Wie auch immer, ihr solltet euch vielleicht lieber beeilen, es sind gerade Boten unterwegs um die Todesnachricht zu überbringen.“
“Woher weißt du das?“
Er warf mir einen ist-das-eine-ernst-gemeinte-Frage-Blick zu, woraufhin ich zustimmend gestikulierte.
Ich vergaß immer, zu was Hexen alles fähig waren.
“Wir schaffen das auch alleine“, meinte Jonah bissig, als Frey stehenblieb und uns beide Hände hinstreckte.
“Ich will ja nicht, dass etwas schief geht und euch etwas passiert“, lächelte der Magier fürsorglich.
“Was soll dabei schief gehen?“
“Oh, ich hab schon viel erlebt!“
Jonah schüttelte ablehnend den Kopf, ergriff aber doch Freys Hand.
Zögernd biss ich mir auf die Lippe. Ich hatte eigentlich kein großes Bedürfnis allzu schnell zurückzukehren und mitzuerleben wie jemand Lady Devone mitteilte, dass Ray tot war...
Aber ich hatte nach Mums Tod auch jemanden gebraucht, der für mich da gewesen war, auch wenn ich zuerst versucht hatte, alles und jeden von mir zu stoßen.
Nach einem kurzen Moment, nahm auch ich Freys Hand und das mir nur allzu gut bekannte Schwindelgefühl setzte ein, während uns der Boden unter den Füßen entrissen wurde.
Als ich meine Augen wieder öffnete, da ich diese zwischenzeitlich geschlossen hatte, da mir sonst der Wind die Tränen kommen lassen würde, standen wir nicht weit vom Tor der Schule entfernt und Frey war verschwunden.
“Gewöhnungsbedürftiger Typ“, stellte ich mit einem Blick auf die Stelle fest, an der Frey Sekunden zuvor noch gestanden hatte.
“Das ist ein Wort dafür...“, erhielt ich als Antwort und wir machten uns auf den Weg nach Hause.

Nachdem wir leise durch die Eingangstür geschlüpft waren, war es draußen mittlerweile stockdunkel geworden und ich wusste, dass es allein schon deshalb die richtige Entscheidung gewesen war, zu gehen. Der Wald gehörte bei Nacht nicht wirklich zu meinen Freunden.
Ohne weiter darauf zu achten, dass uns niemand sah, machte sich Jonah auf, ins Zimmer zu kommen und sich duschen zu können, während ich zwei Stufen auf einmal nehmend die Treppe nach oben flitzte um Lady Devone aufzusuchen.
Schon von Weitem sah ich die Tür zu ihrem Büro einen Spalt aufstehen, was mir sofort auffiel, da diese normalerweise immer geschlossen war.
Ich spitzte die Ohren und konzentrierte mich, ob ich von hier aus vielleicht ein Gespräch wahrnehmen konnte.
Und tatsächlich: “Wir haben schlechte Nachrichten. Soeben erreichte uns die Botschaft, dass Logers entlarvt und getötet worden war.“
Logers war Rays Nachname, soweit ich das zufällig beim Treffen der Bruderschaft mitbekommen hatte.
Die tiefe Stimme gehörte einem Mann, der nun auf eine Antwort zu warten schien. Doch es kam keine. Nicht einmal ein einziger Laut war zu hören.
“Wir haben alles versucht um seine Leiche zu bekommen, doch wir konnten sie nicht finden“, berichtete der selbe Mann, den ich als Wächter erkannte, weiter.
Immer noch keine Reaktion. Das war gar kein gutes Zeichen!
Laut atmend stürmte ich auf das Büro zu und schlug die Tür beiseite, sodass diese laut krachend gegen die Wand knallte.
Was für ein Auftritt.
Spätestens als ich zwei Blicke auf mir spürte, wusste ich, dass es nicht besonders klug gewesen war so hereinzuplatzen.
Der Mann, dem vermutlich die Stimme gehörte, hatte sich auf einem Stuhl vor Omas Schreibtisch abgestützt und sah mich nun neugierig an.
Oma saß wie immer anmutig auf ihrem Drehstuhl und blickte mehr oder weniger fassungslos drein, was sich jedoch mit einer Spur Argwohn vermischte, als sie mich sah.
“Oma...“ Ich führte meinen Satz nicht zu Ende, da ich ohnehin ratlos war, was ich sagen sollte. Schnell versuchte ich mich zu erinnern, was ich nach Mums Tod für Worte hören hatte wollen, doch seufzte innerlich, als ich daran dachte, dass ich genau nichts hören hatte wollen, sondern einfach nur meine Ruhe.
Lady Devone brauchte einen Moment, nachdem sie zu einer Erwiderung ansetzte, bis sie ihre anscheinend verloren gegangene Stimme wiederfand.
“Wo warst du?“
Ich biss ertappt die Zähne aufeinander und suchte nach einer Ausrede, während ich ihrem Blick auswich. Ich bereute es, mich nicht zuerst meiner verschwitzten Klamotten entledigt zu haben, denn diese verrieten, dass ich mich längere Zeit draußen aufgehalten hatte.
“Du brauchst dir nicht die Mühe zu machen, mich anzulügen, ich kann auch einfach deine Gedanken lesen, weißt du?“
Ich musste sagen, das war eine sehr unerfreuliche Nachricht.
Der Wächter verdrückte sich unauffällig und ich schloss die Tür hinter ihm.
“Du musst mir versprechen, mich nicht umzubringen“, versuchte ich es langsam angehen zu lassen und sie etwas auf den weitern Schock vorzubereiten.
“Da müsstest du dich sowieso ziemlich weit hinten anstellen!“
Ich vermutete mal, dass dies auf Rays Tod bezogen war und ich wunderte mich, wie sie es schaffte keinerlei Regung darüber zu zeigen. Ich selbst hatte mich nach Mums Tod aufgeführt wie eine Irre auf Koks.
Während ich ihr leise erzählte wo ich heute Abend gewesen war, verzog sie keine Miene, sodass ich nicht sagen konnte ob sie merkte, dass ich Frey und den kurzen Abstecher ins Reich der Hexen ausließ.
“Wieso sagst du nichts?“, fragte ich vorsichtig, als sie mich immer noch nur ansah.
“Ich bin mittlerweile an diese Art von Nachrichten gewöhnt.“
Als ihr Kiefer knirschte, wusste ich, dass es ihr trotzdem nicht gefiel.
“Wie geht es dir wegen Ray?“, fragte ich schnell um ihr keine Zeit zu lassen, näher auf die Bruderschaft einzugehen und hätte mich im nächsten Moment schon wieder schlagen können.
Wie konnte ich ausgerechnet das fragen?
Lady Devone verspannte sich, verzog das Gesicht und stand auf um zum Fenster hinüberzugehen.
Doch anstatt dieses zu öffnen, wie ich zuerst vermutet hatte, holte sie aus und schlug mit der Faust gegen die Scheibe, sodass diese zerbrach und ich hören konnte, wie die Scherben draußen auf dem Boden aufkamen, nur um dort erneut in kleinere Teile zu zerspringen.
Erst einige Sekunden nach dem lauten Klirren zuckte ich zusammen und biss mir auf die Zunge.
Das war Antwort genug. 

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