56. Kapitel

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“Es dauert nicht mehr lange bis Eldon zum letzten Kampf aufbricht, er lässt die Dryadogen härter trainieren als eh und je. Seine Sicherheitsmaßnahmen haben sich verschärft, sodass wir wieder um einiges vorsichtiger sein müssen!“, berichtete der ältere Mann, über welchen mir Isaiah zugeflüstert hatte, dass er Theodore Chapel hieße und der Anführer der Bruderschaft wäre.
“Ich bin dafür, dass wir Eldon einfach direkt und unerwartet angreifen, das wird er nicht kommen sehen“, schlug einer der Männer aus der hinteren Ecke vor.
Ich musterte den Mann. Sein Gesicht war von unzähligen Narben überzogen, die in der Dunkelheit an Falten erinnerten und sein blondes Haar war ziemlich kurz rasiert, im Gegensatz zu seinem Bart.
“Das werden wir auch, sobald die Zeit gekommen ist“, antwortete Theodore geduldig.
“Ich meine jetzt! Er wird es nicht erwarten“, entgegnete der andere jedoch überzeugt von seiner Idee.
“Es wäre ziemlich blöd, sich vor Eldons Angriff zu zeigen und unsere Auslöschung zu riskieren“, warf Niamh mit einem spöttischen Grinsen ein, woraufhin sich der Blick des Mannes verdunkelte.
“Wenn man zu unfähig ist, dann ja“, giftete er angriffslustig zurück, sodass Niamh böse zu Grinsen anfing.
“An deiner Stelle wäre ich vorsichtig!“
“Ich will eine Abstimmung!“
Theodore Chapel verdrehte die Augen und fragte gelangweilt: “Wer ist dafür, dass wir Eldon sofort angreifen?“
Niemand bis auf den Mann, der den Vorschlag gebracht hatte, meldete sich. Als er das Ergebnis sah, knurrte er wütend und lehnte sich beleidigt zurück.
“Geht das hier immer so zu?“, fragte ich Cole flüsternd, woraufhin dieser die Schultern zuckte.
“Kommt drauf an, wer zum Treffen kommt.“
Ich nickte und bestellte mir etwas zu Trinken, als ein Kellner vorbeikam.
Mein Hals fühlte sich seltsam trocken an, als hätte ich schon länger keine Flüssigkeit mehr zu mir genommen.
“Am besten wäre es, wenn wir weiterhin verborgen bleiben würden und am Tag des Angriffs Violet den Weg freimachen würden“, sagte nun Eliphas, der hier wohl seine Königin vertrat.
“Wir kämpfen also auf dem Schlachtfeld, so dass es Eldons Armee nicht kommen sieht, wenn wir uns gegen sie wenden“, stimmte Theodore zu.
Mir war von Anfang an klar gewesen, dass ich Eldon eines Tages gegenüber stehen würde, doch es hier zu hören, jagte mir doch einen kalten Schauer den Rücken hinunter.
“Bist du dir sicher, dass du Eldon bezwingen kannst?“, sprach mich eine Frau neben Theodore direkt an.
Bevor ich etwas sagen konnte, antwortete Niamh: “Natürlich. Unterschätze niemals eine Frau!“
Die andere Frau lächelte: “Den Fehler werde ich nicht noch einmal machen.“
Was hatte sie wohl erlebt, um zu diesem Schluss gekommen zu sein?
Als ich mich umsah bemerkte ich, wie mich Eliphas stumm musterte. Ich hob fragend die Augenbrauen, doch er unterbrach den starren Blickkontakt erst, als ihn jemand von der Seite ansprach.
Wieso war Celeste nicht zu diesem Treffen erschienen oder war es ihr zu gefährlich?
“Was hat die Kanzlerin nun eigentlich vor?“, fragte mich Theodore plötzlich, nachdem sich der Geräuschpegel im Raum deutlich gehoben hatte und er unauffällig näher gekommen war.
“Wieso?“
Ich hasste es, wenn Leute mir eine Frage stellten und ich keine Ahnung hatte wovon sie redeten. Dann kam ich mir immer so vor, als hätte ich etwas Wichtiges verpasst.
Was meist leider auch der Fall war...
“Na, jetzt wo sie keinen Spion mehr hat meine ich“, erklärte der Anführer der Bruderschaft seine Frage, doch ich runzelte nur noch verwirrter die Stirn. Von was redete der? Woher wusste der überhaupt von Ray? Geschweige denn davon, dass er sie nicht mehr ausspionieren würde, denn soweit ich das mitbekommen hatte, tauchte er dort noch ab und zu auf um nicht aufzufliegen.
Der Mann räusperte sich, als er merkte, dass ich ihm nicht folgen konnte.
“Du weißt noch nichts davon? Ray wurde entlarvt und umgebracht, bevor er sich aus dem Staub machen konnte.“
Ich riss erschrocken die Augen auf. Hatte ich mich gerade verhört?
“Was!?“
“Einer der Dryadogen brachte ihn mit einem Pflock zur Strecke, sodass er tot ins Wasser fiel. Sie haben sich nicht einmal die Mühe gemacht, seine Leiche zu bergen.“
Das durfte nicht wahr sein! Wieso starb in letzter Zeit jeder um mich herum? Wenn ich noch nichts davon wusste, konnte meine Oma auch nichts wissen, oder?
Ich würde ganz sicher nicht derjenige sein, der ihr das erzählte, sonst würde sie noch von dem Treffen hier erfahren und ich wusste nicht wie viel sie auf einmal verkraften konnte.
Ich fuhr mir immer noch schockiert durch meine silbernen Haare.
“Wann?“
“Vor ein paar Stunden, kurz bevor dieses Treffen begann.“
Cole sah mich mitfühlend an und legte stützend eine Hand auf meinen Rücken, als er sagte: “Das ist nicht gut! Wer wird es ihr sagen?“
Ich machte eine hilflose Geste und antwortete: “Wenn sie es nicht schon erfahren hat...Ich brauche frische Luft!“
“Soll ich mit?“
Ich schüttelte dankbar aber ablehnend den Kopf, denn ich brauchte eine Minute Zeit für mich alleine und stand auf.
Schnell lief ich auf den Balkon zu, den ich erst jetzt entdeckt hatte und schloss die Balkontür leise hinter mir.
Erschöpft lehnte ich mich gegen die Hauswand neben der Tür und atmete hörbar aus.
Wieso ausgerechnet Ray? Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass er tot sein sollte! Vielleicht lag dies aber auch einfach nur daran, dass ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hatte.
Ich sah sein lebenslustiges Lachen vor meinem inneren Augen aufblitzen und spürte einen schmerzhaften Stich in der Brust, wenn ich daran dachte, dass ich dieses freudige Gesicht nicht wiedersehen würde.
Hatte er Familie gehabt? Kinder vielleicht?
Er hatte zwar nie etwas Derartiges erwähnt, doch man konnte sich trotzdem nicht sicher sein.
Aber dass sie ihn nicht aus dem Wasser gezogen hatten, sodass er wenigstens ein anständiges Begräbnis erhalten konnte...Ich wusste einfach nicht wie ich mit dem Tod einer weiteren mir wichtigen Person umgehen sollte.
Als plötzlich jemand mit der Zunge schnalzte, zuckte ich ertappt zusammen und mein Kopf schoss in die Richtung der Geräuschquelle.
Ein Mann, nicht viel älter als ich, stand auf dem Geländer des Balkons und hielt sich an der Hauswand fest um nicht rückwärts nach hinten runterzufallen.
Soweit ich dies in der schon eingetretenen nächtlichen Dunkelheit erkennen konnte, hatte er kurzes, rotbraunes Haar, welches etwas unordentlich zur Seite gekämmt war. Obwohl von Kämmen eigentlich nicht die Rede sein konnte.
Falls er überhaupt einen Kamm benutzt hatte.
“Was tust du da?“, fragte ich und betrachtete ihn skeptisch.
“Erwischt! Ich habe wohl etwas gelauscht.“
Er zuckte die Achseln und hob dabei die Arme, wobei er offensichtlich vergessen hatte, dass er sich damit an der Wand festhielt, sodass er schwankte und mit seinen Händen sofort wieder nach einer Möglichkeit zum Festhalten suchte. Nachdem er diese gefunden hatte, sprang er leichtfüßig vom Geländer herunter und setzte sich stattdessen darauf.
“Wer bist du?“, fragte ich nach dieser kurzen Unterbrechung weiter, woraufhin er den Kopf schief legte.
“So neugierig...süß!“
Ich verzog angeekelt das Gesicht und drohte damit, jemanden zu rufen und ihn somit zu verpetzen.
“Aber das wirst du nicht tun“, meinte er selbstsicher und sah mich herausfordernd an.
“Wieso nimmst du das an?“
“Weil ich dich kenne, kleine Violet...“
Ich spielte mit dem Gedanken ihn einfach stehen zu lassen und wieder reinzugehen, doch wenn mir etwas passieren sollte, konnte ich immer noch schreien, weshalb ich stehenblieb und beleidigt erwiderte: “Erstens, woher kennst du meinen Namen und zweitens bin ich nicht klein!“
“Wenn du nicht willst, dass ich dich jetzt weiterhin so nenne, hättest du mir das nicht sagen dürfen.“
Wieso ging der Typ davon aus, dass ich nicht gleich nach innen ging und er mich nie wieder sehen würde?
Mein Wunsch nach öfteren Begegnungen hielt sich tatsächlich sehr in Grenzen.
“Das wird mir langsam etwas unheimlich...“
Sein Grinsen versiegte und er meinte entschuldigend: “Verzeih mir, mein Charme gegenüber Vampiren ist etwas eingerostet!“
Ich nickte als würde das alles erklären und fragte: “Wie kommt es, dass dich niemand gesehen hat und  was willst du überhaupt hier?“
“Wie ich schon sagte, Neugierde ist nicht die glorreicheste Eigenschaft, die jemand besitzen kann“, gab er ernst zurück.
Hatte Cole bei einer unserer ersten Begegnungen nicht auch so etwas Ähnliches gesagt?
“Ok....ich gehe jetzt rein!“
Als ich mich umdrehen wollte, sprang er vom Geländer und hielt mich auf: “Warte! Du musst Celeste Bloodthorn etwas von mir ausrichten!“
“Warum sagst du ihr das nicht selbst?“
“Sag ihr, dass der Rabe zurück ist!“
“Was für ein Rabe?“, fragte ich irritiert.
“Das spielt keine Rolle. Richte es ihr einfach aus, ok?“
Ich stöhnte, denn meine Lust als Bote missbraucht zu werden, war eher bedingt ausgeprägt.
“Von wem soll ich ihr überhaupt sagen, dass die Nachricht kommt?“
“Sie wird wissen von wem, wenn sie es hört.“
Er ging zum Geländer, drehte sich einmal kurz zu mir um, um mir zum Abschied zu winken und sprang schließlich vom Balkon.
Entsetzt rannte ich zu der Stelle und blickte hinab, doch es war keine Spur von dem Typen. Großartig!
Ohne länger darüber nachzudenken, betrat ich wieder das Haus und sagte den anderen, dass es für mich an der Zeit war, aufzubrechen.
Cole entschuldigte sich mehrmals, dass er mich nicht nach Hause begleiten konnte, da er hier noch ein paar Dinge zu erledigen hatte.
Ich konnte Jonah nicht ansehen, ob sie erfreut oder traurig darüber war, dass wir zurückgingen. Wahrscheinlich war es ihr egal.
Sie schnappte sich ihre Jacke, drehte sich um und wäre fast gegen Niamh gekracht, da diese ihr den Weg versperrte.
“Wärst du so freundlich und würdest mir aus dem Weg gehen?“
Mehr ein Befehl als eine Bitte.
“Und was wenn ich hier einfach stehen bleibe?“, keifte Niamh zurück, sodass Jonah schnaubte.
“Dann werde ich dich halt eigenständig entfernen!“
Niamh prustete los: “Das will ich sehen!“
Jonah machte einen Schritt auf sie zu und fragte gefährlich leise: “Ja?“
Die meisten wären bei ihrem drohenden Gesichtsausdruck schon längst verschwunden.
Niamh hingegen zuckte nicht einmal mit der Wimper. “Ja!“
Jonah kniff warnend die Augen zusammen, während Niamhs amüsiert fliederfarben funkelten.
“Ähm, Leute...“, versuchte ich auf mich aufmerksam zu machen und zwängte mich an den beiden vorbei. Als sie keine Reaktion zeigten, sondern sich weiterhin rebellisch anstarrten, packte ich Jonah am Handgelenk und zog sie hinter mir her, die Treppe hinunter, bis wir das Haus verlassen hatten.
Über der Tür hing eine kleine Lampe, die die Gasse etwas erleuchtete, sodass ich wenigstens nicht über meine eigenen Füße stolperte.
“Du wusstest nichts von Niamh oder?“, fragte Jonah nach einer Weile vorsichtig.
“Sah meine Reaktion für dich so aus, als hätte ich davon gewusst?“
“Eher nicht, nein.“
Während wir so unauffällig wie möglich die Stadt durchquerten, erzählte ich Jonah von dem seltsamen Mann auf dem Balkon und worum er mich gebeten hatte.
“Wirst du es ihr ausrichten?“
“Ich weiß nicht, es schien dringend zu sein“, überlegte ich laut.
“Dann lass uns gehen!“
“Heute noch?“
“Warum nicht? Was soll schon passieren?“
Sie hatte Recht. Vielleicht war es ja wirklich etwas wichtiges gewesen und je länger ich wartete, desto mehr lief ich Gefahr, es zu vergessen. Auch wenn ich nicht wusste, warum er Celeste seine Nachricht nicht einfach selbst überbringen konnte!

Im Hexenreich angekommen, blinzelte ich kurz, um das schwindelige Gefühl abzuschütteln.
Wir waren an die Stelle gegangen, an der mich Celeste in ihr Reich gebracht hatte und dann hatte ich mir einfach vorgestellt dort zu sein, bis wir schließlich angekommen waren.
Als ich mich umdrehte, um zum Palast zu gehen, starrten mir zwei blaue Augen entgegen.
“Sieh mal einer an, was wollt ihr denn hier?“, fragte Eliphas nicht gerade sehr erfreut über unseren Anblick.
“Mit Celeste reden“, gab ich zur Antwort, womit er sich offenbar zufrieden hab, denn er deutete uns an, ihm zu folgen und lief Richtung Palast.
Sobald wir in den Thronsaal gekommen waren, erhob sich die Königin der Hexen und hob fragend die Augenbrauen.
Auch Libby war anwesend und legte freudig das Buch zur Seite, als sie uns hereinkommen sah.
“Was verschafft uns die Ehre?“, fragte sie lächelnd und wartete bis wir sie erreicht hatten. Eliphas verschwand lautlos durch eine weitere Tür.
Schnell erzählte ich den beiden von dem sonderbaren Mann und richtete Celeste aus, worum er mich gebeten hatte.
Ihr Gesicht wurde steinhart, als ich geendet hatte und fragte mich: “Hast du auch nur den leisesten Schimmer mit wem du dich da heute unterhalten hast?“
“Nein...“
Hatte ich das nicht soeben erklärt?
Sie starrte mich an und wir fuhren alle herum, als die Tür mit einem lauten Knall aufflog und der Mann vom Balkon ins Licht, welches der prunkvolle Kronleuchter an der Decke in den Raum warf, trat.
Celeste verkrampfte sich merklich und zischte: “Frey!“
War das sein Name?
Auch Libby sog erschrocken die Luft ein.
War der Mann gefährlich oder warum waren beide so erschrocken?
Frey blieb stehen, als er nicht mehr weit von uns entfernt war und grinste fröhlich, als sein Blick auf Celeste fiel.
“Hallo Schwester.“

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