44. Kapitel

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"Mit deiner Mutter gibt es noch keine Fortschritte oder?", fragte mich Jonah am Telefon mitleidig.
Ich schüttelte stumm den Kopf, bis mir auffiel, dass sie mich ja nicht sehen konnte, weshalb ich verneinte.
Traurig stand ich am Fenster meines Zimmers und zog den Vorhang beiseite um die untergehende Sonne zu beobachten. Der Horizont hatte sich zu einem dunkelroten, orangegelben Farbgemisch gewandelt und die letzten sichtbaren Sonnenstrahlen fielen in mein Zimmer, sodass ich die winzig kleinen Staubkörner beobachten konnte, die sich ungehindert im Licht bewegten.
"Was werdet ihr tun wenn sich ihr Zustand nicht verändert?"
Ein Seufzen meinerseits.
"Ich weiß es nicht. Solange es ungewiss ist, wird sie wohl in dieser Zelle leben müssen."
Mir war nicht wohl bei dem Gedanken, dass meine Mutter dort unten im Keller, der zu einem Gefängnis ausgebaut worden war, saß und ganz alleine vor sich hin starrte.
Jedoch gab es nichts was ich hätte tun können.
Das Risiko was sie anstellen könnte wenn sie frei wäre war einfach zu groß.
"Besser als frei und unter Eldons Kontrolle!"
Ich stimmte ihr bedauernd zu.
Wenn sich der Geist meiner Mutter noch irgendwo in dem übrigen Körper befand, gab es nichts Schlimmeres was ich ihr antun könnte, als sie unkontrolliert herumlaufen zu lassen.
Als es an der Tür klopfte verabschiedete ich mich schnell von Jonah und legte auf.
"Ich soll Sie zum Treffpunkt mit Celeste Bloodthorn bringen", sagte die Wächterin vor meiner Tür, als ich diese geöffnet hatte und schnell meine Tasche mit den nötigsten Dingen genommen hatte.
Ich hatte schon, bevor ich die Person von der das Klopfen stammte gesehen hatte, gewusst, was mir bevorstand.
Wenn ich auf etwas gar keine Lust hatte, dann war es eine Woche mit dieser Hexe verbringen zu müssen.
Tatsächlich verbesserte sich mit einer weiteren Armee unsere Situation im Krieg erheblich, weshalb ich es durchstehen würde.
Wie schlimm konnte es schon werden?
Ich fragte mich nur was diese Hexe von mir wollte. Es musste einen Grund für ihren außergewöhnlichen Wunsch geben.
Die Tür fiel hinter uns ins Schloss und ich folgte der Wächterin lautlos zu dem Punkt an dem wir uns mit Celeste getroffen hatten.
Die Frau wartete schon an exakt der selben Stelle wie gestern und nahm mich zufrieden in Empfang.
Ihre welligen, roten Haare schwangen mit jeder Bewegung hin und her. Sie trug eine schwarze Lederhose und ein grünes Samtoberteil, das die Farbe ihrer Augen widerspiegelte.
"Folge mir", ordnete sie befehlshaberisch an und ich entschied mich dazu ihrem Befehl unkommentiert Folge zu leisten. Ich wollte mich schließlich nicht mit ihr anlegen.
Zumindest nicht gleich am ersten Tag, an dem ich noch einen einigermaßen guten Eindruck hinterlassen sollte.
Kaum waren wir im Schatten der großen Eichen, in dem sie gestern spurlos verschwunden war, angekommen, packte sie meine Hand und ich verlor plötzlich den Boden unter den Füßen.
Es fühlte sich an als würde ein plötzlich aufgekommener heftiger Sturm wie wild an allen Enden meines Körper reißen und versuchen mich wegzuziehen.
So schnell das schwindelige Gefühl gekommen war, verschwand es auch wieder und ich stand wieder auf festem Boden.
Eine wahre Erleichterung, die kleinen spitzen Steine unter meinen Sohlen zu spüren.
Die Hexe ließ meine Hand los und ich blickte mich verwundert um.
Wir waren an einem ganz anderen Ort.
Es sah zwar nicht allzu anders aus, denn es war weder neblig noch unheimlich wie mein erster Gedanke an das Heim der Hexen gewesen war.
Wir standen am Fuße einer großen, breiten Steintreppe, die hinauf in ein turmähnliches Gemäuer führte, welches etwas Majestätisches ausstrahlte, weshalb ich vermutete, dass dies der Palast der Königin war.
Das Gebäude nahm im Licht der Dämmerung allerdings eine sehr dunkle Farbe an und warf einen langen Schatten, sodass ich Celestes Gesicht nur noch umrisshaft erkennen konnte. Außerdem war es so hoch, dass ich dessen Spitze nicht sehen konnte.
Hinter uns schlängelte sich ein gepflasterter Weg, an dessen Seiten sich ein hoher, langer Zaun befand, der sich in spitzen Zinnen so hoch in den Himmel erstreckte, dass ich mir sicher war, dass niemand darüber klettern konnte.
Um uns herum nichts als Wälder, Felder und Wiesen.
Wo lebten denn die anderen Hexen?
"Beeindruckt?"
Ich meinte eine Mischung aus Hohn und Stolz in ihrer Stimme zu hören.
"Wie sind wir hierher gekommen?"
"Pure Gedankenkraft."
"Das heißt, jeder der an diesen Ort denkt gelangt auch hierher?"
Wenn ich es nicht gerade eben am eigenen Leibe erlebt hätte, hätte ich es mir beim besten Willen nicht vorstellen können.
"Es können ohne uns nur diejenigen an diesen Ort gelangen, die ihn schon einmal gesehen haben."
"Aber was wenn jemand von denen die schon einmal hier waren diesen Ort verrät."
"Das wird nicht passieren."
Sie hatte absolut keinen Zweifel daran, soviel konnte ich aus ihrem Blick lesen.
"Warum nicht?"
"Weil niemand, der nicht zu uns gehört, diesen Ort wieder lebendig verlässt."
Ihre Stimme war scharf wie ein frisch geschliffenes Messer und durchbrach die Stille der Nacht.
Ich zuckte zusammen. Hatte ich mich gerade verhört?
Sie lachte gehässig.
Das würde ja bedeuten - nein, das würde sie doch nicht etwa tun, oder?
"Du wirst mir nichts tun! Das wäre gegen die Abmachung, das...."
In der ganzen Aufregung vergaß ich allerlei Förmlichkeiten, doch das war mir gerade ziemlich egal.
"Beruhige dich, selbst wenn du wolltest, du könntest uns nicht verraten."
Meinte sie damit, dass ich es nicht mit mir vereinbaren könnte oder dass ich dazu in irgendeiner Weise nicht fähig war?
"Und wenn Eldon mich in seine Gewalt bringen würde?"
"Selbst dann nicht. Der Bluteid unserer Vorfahren verhindert derartiges", teilte sie mir mit und ich fragte mich augenblicklich ob sie sich da wirklich so sicher war, oder ob Eldon nicht doch eine Möglichkeit finden würde.
Ich atmete erleichtert auf.
Ich würde also nicht sterben. Zumindest nicht sofort.
Was für eine Erleichterung!
Ich grinste verunsichert und wartete auf ihren nächsten Zug.
Wortlos führte sie mich ins Gebäude, in dem uns ein großer Eingangssaal erwartete. Ohne dass ich Zeit hatte mich umzusehen, zog sie mich weiter einen ellenlangen, schlichten Flur entlang und schob mich urplötzlich durch eine der vielen Türen.
"Hier kannst du schlafen."
"Danke."
Ich verfolgte ihre lautlosen, anmutigen Bewegungen, als sie den Weg wieder zurücklief und schlussendlich um eine Ecke nach links verschwand.

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