Der Unterricht war in Transsilvanien leider genauso langweilig wie Zuhause auf der Rosehill Academy. Dass sie zudem mit dem Stoff etwas weiter waren als wir, steigerte meine Motivation nicht besonders und ich war froh als wir endlich das Klassenzimmer verlassen konnten. Jonah vermied meist den direkten Kontakt zu ihren Mitschülern und Lehrern und ich konnte sehen, dass sie bis auf ein paar Vampire, mit den anderen nicht sonderlich viel zu tun hatte.
Ich erkannte mich darin nur allzu deutlich wieder.
Am Abend nach dem Essen zogen wir uns auf ihr Zimmer zurück und richteten uns für den Aufbruch.
Ich zog meine Stiefel und die dickste Jacke an, die ich mitgenommen hatte.
"Übertreib doch nicht gleich so, wir brauchen höchstens eine halbe Stunde, dann sind wir da", sagte Jonah besserwisserisch.
"Das glaube ich nicht. Auch nicht wenn wir rennen, es hat gefühlt ewig gedauert bis wir mit dem Bus am Wald vorbeiwaren", protestierte ich um meinen überzogenen Aufzug zu rechtfertigen.
"Was wetten wir?"
"Wenn ich gewinne, wirst du Lady Harrison in einem Gespräch, bei dem ich anwesend sein werde, nebenbei mitteilen wer dein aktueller Crush ist und warum."
Eigentlich war das nur als völliger Spaß gemeint, denn ich war mir sicher, dass Jonah das sofort ablehnen würde, doch sie antwortete wider Erwarten: "Geht klar und wenn ich gewinne, fragst du Maleski nach ihrem Liebesleben!"
Ich biss mir zögernd auf die Lippe.
Ich hatte Jonah am Telefon von Maleski erzählt und ich wünschte nun ich hätte es nicht getan, doch ich konnte damals schlecht wissen, dass sie dies schamlos gegen mich ausnutzen würde. Das Risiko, dass ich verlor war mir allerdings schon etwas zu hoch.
"Die würde mich ohne zu zögern erstechen!"
"Umso besser."
"Haha", machte ich ironisch und verzog das Gesicht zu einer spottenden Fratze.
"Komm schon, hast du etwa Angst?", fragte sie und hielt mir ihre rechte Hand hin.
Leider war genau das der Fall, doch diese Genugtuung würde ich ihr sicher nicht geben, weshalb ich ohne groß nachzudenken einschlug und mich im nächsten Moment schon dafür hasste als Jonah anfing hämisch zu grinsen.
"Lass uns gehen, jetzt sind alle im großen Saal oder in der Bibliothek um für den Unterricht morgen vorbereitet zu sein", schlug Jonah nach einiger Zeit vor und hängte sich ihre Tasche um. Wir hatten uns extra schwarze Sachen angezogen um weniger aufzufallen und Jonah trug sogar einigermaßen normale Schuhe ohne Absätze.
Da ihr Zimmer im Erdgeschoss war, konnten wir ohne große Mühe durch das Fenster nach draußen steigen. Wir nutzten unsere Schnelligkeit und ich sauste hinter meiner Freundin her, die sich zuvor genauestens informiert hatte wo wir hin mussten. Innerhalb einer halben Stunde blieb sie plötzlich stehen und sah sich verwirrt um.
"Was ist?"
"Es muss hier irgendwo sein, ich war mir ganz sicher!"
Doch um uns herum waren nur Bäume und weite Feldflächen zu sehen.
"Wir sollten weiter am Waldrand suchen, der Typ wohnt hier, ganz sicher!"
Wir liefen geradeaus weiter und ich hoffte, dass sie sich wirklich nicht getäuscht hatte und das Haus hier irgendwo in der Nähe war.
Auf einmal knackste ganz nahe im Wald ein Ast und wir wirbelten herum. Jonah zog ihren Dolch heraus und ich griff nach meinen Klingen.
"Ist da jemand?", rief ich laut was mir einen höhnischen Blick von Jonah einbrachte.
"In Filmen sterben die immer genau nachdem sie diesen Satz gerufen haben. Es wäre also deine Schuld wenn morgen die zerstückelten Überreste unserer Leichen gefunden werden."
"Psst, da ist was!", versuchte ich sie zur Ruhe zu bringen, denn vor uns bewegte sich eindeutig etwas zwischen den Bäumen.
"Das meinte ich...", sie brach erstaunt ab, als eine Gestalt aus dem Wald trat und stehen blieb, als sie uns erblickte.
Es handelte sich um eine rothaarige Frau in unserem Alter, die uns nackt gegenüber stand. Wieso hatte sie nichts an?!
Allerdings musste ich mir eingestehen, dass ich manche Dinge schon lange nicht mehr hinterfragte.
"Gefällt euch die Aussicht?", fragte sie amüsiert, da wir sie beide fassungslos anstarrten.
"Geht so", erwiderte Jonah.
"Na vielen Dank auch!"
Sie schüttelte empört den Kopf, sodass ihre schwarzen Locken auf und ab wippten.
"Wer bist du?", mischte nun auch ich mich ein.
Ein kurzes Zögern.
"Xenia."
Bei genauerer Inspektion erkannte ich eine lange, schmale Narbe an ihrer Schläfe, die sich von der Mitte ihrer Wange bis zum Haaransatz zog.
Das sah nicht so spaßig aus und ich fragte mich sofort neugierig, was ihr da wohl passiert sein mochte.
"Gehts auch ein bisschen informativer?"
"Nein." Ihre Lippen lagen ernst aufeinander gepresst, als wolle sie uns den Grund ihres derartigen Auftretens in keinem Fall erzählen.
"Schön. War nett dich kennengelernt zu haben, wir müssen jetzt auch schon wieder weiter", sagte Jonah schnippisch und zog mich mit sich, als uns Xenia aufhielt: "Wartet! Ihr habt nicht zufällig noch was zum Anziehen dabei?"
"Man hat natürlich immer Wechselklamotten mit sich wenn man sich nachts rausschleicht!"
"Hätte ja sein können", schmollte Xenia und ich schüttelte immer noch schockiert den Kopf.
"Was ist mit deinen passiert?", fragte ich, um endlich etwas mehr über sie zu erfahren.
"Ich habe mich weggeschlichen um mit einem Jungen schwimmen zu gehen, allerdings hat der sich als Fehltritt erwiesen, als er mit meinen Klamotten weggerannt ist."
Ich hätte schwören können, in ihren Augen ein verräterisches Funkeln gesehen zu haben, sodass ich mir nicht ganz sicher war, dass sie die Wahrheit sagte.
"Warum bist du ihm nicht einfach gefolgt?"
"Der war längst weg, als ich aufgewacht bin. Ich kann jetzt nicht nach Hause, mein Vater hat bestimmt schon bemerkt, dass ich weg bin. Außerdem wäre es mir lieber wenn mir sein Blick erspart bleiben würde", erklärte sie und deutete an sich hinab.
Etwas unglaubwürdig. Ich war mir nicht einmal sicher, ob sie ein Vampir war, denn sie strahlte irgendetwas aus, etwas altes...doch ein Dryadoge war sie mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit nicht, so viel konnte ich sagen.
"Du kannst meine Jacke haben", bot ich ihr großzügig mein wärmstes Kleidungsstück an und hoffte, dass ich es nicht bereuen würde.
Nachdem sie diese angezogen hatte erinnerte ich mich wieder daran warum wir hier waren und merkte an, dass wir langsam weitergehen sollten.
"Kann ich mit?"
Jonah stöhnte genervt, sie hatte offenbar keine Lust auf die fremde Person vor uns.
Xenia nahm das hingegen als Zusage und klatschte aufgeregt in die Hände. Ich beäugte sie misstrauisch. Ihr Verhalten wirkte leicht aufgesetzt, doch ich konnte mich auch täuschen. Allerdings vertraute ich ihr rein gar nicht und fand es schon ein bisschen gewagt, sie mitzulassen, doch Jonah besaß offensichtlich genug Selbstvertrauen, dass sie zustimmte.
"Wehe du sagst auch nur ein Wort!", warnte Jonah sie.
"Es gehört nicht unbedingt zu meinen Stärken, still zu sein."
"Können wir uns bitte einfach mal auf die Aufgabe konzentrieren und den Typ finden, sonst laufen wir hier morgen noch rum!", mischte ich mich etwas lauter ein, denn die zwei nervten mich jetzt schon.
"Es fällt mir wirklich schwer diese Bürde auf mich zu nehmen, ich weiß nicht ob ich es verkraften werde dies zu sagen", fing Jonah an und betrachtete Xenia kritisch, die meine Jacke noch weiterzumachte.
"Was denn?", fragte ich, da sie ihren Satz nicht beendet hatte.
"Du hast Recht."
Ich verdrehte erneut die Augen und stapfte einfach los, sodass den anderen nichts anderes übrig blieb, als mir zu folgen.
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The Vampire World
VampireDie 17 jährige Violet Chase wird eines Tages urplötzlich von ihrer besorgten Mutter an eine Vampir Akademie gebracht, welche versteckt in den tiefen Wäldern Englands liegt. Nur dort sei sie sicher. Bevor sie sich überhaupt an ihre neue Umgebung gew...