55. Kapitel

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Am darauffolgenden Tag ging ich sofort wieder in die Schule, da ich wusste, dass ich in letzter Zeit sowieso schon viel zu viel Stoff verpasst hatte und wenig Lust verspürte, durchzufallen.
Nach dem Mittagessen machte ich mich dann auch zum Training auf, welches ich mal wieder dringend nötig hatte.
Zudem wollte ich mich endlich wieder richtig auspowern. Ich wusste selbst nicht woher dieser plötzliche Elan kam, doch ich widerstand ihm nicht und traf mich mit Sir Mathis auf dem Trainingsplatz.
Ich war froh, dass dieser nicht die Absicht hatte, mich zu schonen, sondern mich gnadenlos kämpfen ließ.
Im Gegensatz zu mir war er nicht sonderlich zufrieden mit meiner heutigen Leistung, doch er zwang mich trotzdem nicht zu überziehen, sondern beendete pünktlich die Stunde.
Völlig außer Atem ging ich zum Wagen und ließ mich zur Schule zurückfahren.
Ich hatte Jonah heute Morgen schon von meinem Vorhaben, zum Treffen der Organisation zu gehen, erzählt und wider meines Erwartens war sie ziemlich begeistert von der Idee gewesen.
Laut ihr hätte sie jetzt etwas auf das sie sich freuen konnte.
Ich würde ihr diese Freude einfach lassen, denn ich persönlich war mir nicht so sicher was ich davon halten sollte.

Cole hatte uns am Abend des Samstags abgeholt und uns die in die nächstgelegene Stadt geführt. Wir wanderten bis ans Ende der belebten Stadt und bogen in eine dunklere Gasse ein, in der die Häuser auf beiden Seiten so dicht nebeneinander standen, dass wir hintereinander gehen mussten. Wir hatten sehr darauf geachtet, vor den neugierigen Blicken der Bewohner auszuweichen und die Stadt möglichst ungesehen zu passieren.
Wir wollten ja nicht zu viel Aufmerksamkeit auf uns ziehen, nicht dass uns noch jemand folgte.
Als wir zu einem Haus kamen, dessen Tür sich in der Gasse befand, blieb Cole stehen und deutete auf die kleinen eingravierten Buchstaben in der Fläche über der Tür.
Brotherhood of Justice“
Mir war nicht klar gewesen, dass die ein eigenes Haus für ihre Treffen besaßen. Wie lange existierte diese Organisation schon?
Cole drehte den Türknauf, woraufhin sich die Tür ächzend öffnete.
Innen sah es aus wie in einer Kaserne und alles war weniger modern gestaltet, sondern sah aus als existiere es schon sehr viel länger als ich vielleicht angenommen hätte.
“Warum ist das alles so alt hier?“, fragte ich an Cole gerichtete, doch mir antwortete jemand anderes: “Die Bruderschaft existiert bei Weitem länger als Eldons Herrschaft.“
Ein Mann mit hellen braunen Haaren, die ihm bis zu den Schultern reichten, tauchte vor uns auf und lächelte freundlich.
“Das ist Isaiah“, stellte Cole seinen besten Freund vor und die beiden begrüßten sich mit einem Handschlag.
“Endlich lerne ich auch mal den Grund für Coles komisches Benehmen und seine dauerhafte Abwesenheit kennen“, meinte er schelmisch zwinkernd.
“Mir war nicht klar, dass ich dich so vereinnahme“, sagte ich zu Cole, welcher mit einem spöttischen Blick auf Isaiah abwinkte: “Er übertreibt gerne.“
Ich nickte verstehend, während Jonah mit ihren Augen den Raum abscannte.
Sie stockte und starrte auf die kleine Treppe, die nach oben in das nächste Stockwerk führte.
Ich folgte ihrem Blick und runzelte verwirrt die Stirn, als ich Xenia die Treppe herunterkommen sah.
Diesmal in einem kurzen, bauchfreien Top und einem engen Lederrock gekleidet. Ihre schwarzen Haare waren genauso stark gelockt wie in Transsilvanien, doch ihre Augen hatten kein gewöhnliches braun mehr, sondern funkelten fliedern wie zwei Amethysten.
Was tat sie hier?
“Xenia?“, fragte ich, als sie die Treppe hinter sich gelassen hatte und auf uns zukam.
Cole warf mir einen irritierten Blick zu, während Xenia einen leisen Fluch ausstieß.
“Warum hast du nicht gesagt, dass sie kommen?“, fragte sie Cole anklagend und Jonah kniff misstrauisch die Augen zusammen.
“Ihr kennt euch?“
“Natürlich, das ist Niamh, ich hab dir doch von ihr erzählt“, erklärte mir Cole und mir blieb daraufhin der Mund offen stehen.
“Erkläre dich!“, forderte Jonah zischend.
Xenia oder Niamh ging es offensichtlich gehörig gegen den Strich von Jonah herumkommandiert zu werden, doch sie antwortete: “Als du nach Transsilvanien gereist bist, hat sich Cole ziemliche Sorgen um dich gemacht. Er hat es zwar nicht gesagt, doch wir sind so gut wie Geschwister...Jedenfalls hatte auch ich ein sehr schlechtes Gefühl bei der Sache, sodass ich selbst dorthin gegangen bin um mich nach dir umzusehen. Ich brauchte eine Ausrede um euch nicht alleine in das Haus dieses Typen gehen zu lassen, weshalb ich mich meiner Klamotten entledigte und mir irgendetwas ausgedacht habe. Als mir Hatman die Klamotten seiner Frau in die Hand gedrückt hat, wusste ich, dass er die Nacht nicht überleben würde.
Ihr habt ja dann zum Glück selbst erkannt, dass ihr besser gehen solltet, als er tot war. Als du dann unbedingt gegen den Dryadogen kämpfen wolltest, musste ich so schnell wie möglich verschwinden.“ Den letzten Satz richtete sie an Jonah, welche sich alles mit gehobenen Brauen anhörte.
“Warum?“, war das Einzige was ich fragen konnte.
“Man muss vielleicht dazusagen, dass ich kein gewöhnliches Wesen bin. Ich lebe schon seit vielen tausenden Jahren, bis ich auf Isaiah und Cole getroffen bin und diese zu meiner Familie wurden. Ich bin in meinem ganzen Leben keinem anderen begegnet, der auch so ist wie ich. Cole hat meine Art damals als shadewalker getauft, da ich in meiner vollen Form zu so etwas wie einem tiefen Schatten werde, der jeden verschlingt, der sich mir in den Weg stellt. Das ist auch der Grund warum ich nicht mit euch kämpfen durfte, denn sonst hätte ich mich verraten und ich wusste, dass ihr beide überleben würdet, denn ich kann aufgrund der bloßen Anwesenheit anderer den Tod fühlen.“
Cole stieß ein ungläubiges Lachen aus.
“Ich fasse es nicht! Wieso hast du mir das verheimlicht?! Außerdem hättest du dich auch einfach als Vampir ausgeben können und sie nicht alleine lassen müssen.“
Niamh schüttelte ihren Lockenkopf.
“Jonah wusste von Anfang an, dass ich kein Vampir war, hätte ich mich also in einen verwandelt, wären beide misstrauisch geworden. Du hättest es zudem nicht vor ihr verheimlichen können, wenn du davon gewusst hättest, Cole.“
“Warum hast du uns nicht einfach die Wahrheit gesagt?“, fragte ich sauer.
“Hättet ihr mir geglaubt? Cole wäre auch nicht besonders erfreut gewesen wenn er es von euch erfahren hätte!“
Cole stöhnte neben mir genervt auf, verkniff sich allerdings jegliches Kommentar.
“Ich wusste von Anfang an, dass mit dir etwas nicht stimmt“, behauptete Jonah und verlagerte ärgerlich das Gewicht von einem Fuß auf den anderen.
“Ich werde mich nicht entschuldigen“, entgegnete Niamh nur gleichgültig.
“Ich will auch keine Entschuldigung.“
“Gut, dann kann ich ja weitergehen, ich hab schließlich noch andere Dinge zutun“, sagte Niamh, setzte sich in Bewegung und bog nach rechts in einen weiteren Raum ab, in den ich von meiner Position aus nicht schauen konnte.
Cole rieb sich gereizt die Augen und erklärte mir leise, dass Niamh nicht bewusst war, dass man nicht immer auf eigene Faust handeln sollte und sie dies anscheinend andauernd tat.
Es war nicht unbedingt die beste Entscheidung gewesen, die sie je getroffen hatte, allerdings wusste ich auch nicht was für Entscheidungen sie sonst so traf.
Isaiah führte Jonah und mich die Treppe hoch, während uns Cole folgte. Oben angekommen, sah ich mich neugierig um.
Das erste Stockwerk bestand nur aus einem einzigen Raum, in dessen Mitte ein großer, runder Tisch stand, an welchem schon ziemlich viele Menschen saßen. Einige von ihnen standen auch in den verschiedenen Ecken und unterhielten sich angeregt.
Vereinzelt warf uns jemand einen interessierten Blick zu und die meisten grüßten die zwei Dryadogen neben uns.
Während ich meinen Blick so über die Leute schweifen ließ, erkannte ich sogar ein bekanntes Gesicht wieder. Am Tisch saß Eliphas, der gerade an einem Getränk nippte und stumm vor sich hinstarrte.
Bevor ich Ausschau nach weiteren Bekannten halten konnte, erhob sich ein älterer Mann, der einen langen, dunkelblauen Umhang trug und sprach: “Es freut mich, dass ihr alle so zahlreich erschienenen seid! Bitte setzt euch, damit wir beginnen können.“
Er selbst blieb stehen, während sich jeder setzte und Cole uns vier freie Plätze suchte.
“Wir haben heute zwei Gäste unter uns, die uns an diesem heutigen Abend Gesellschaft leisten werden“, informierte er die Mitglieder und nickte in unsere Richtung, woraufhin gefühlt jeder seinen Blick auf uns richtete. Jonah starrte herausfordernd zurück, während ich versuchte, nicht zu lange in die Augen der Anwesenden zu schauen, um nicht allzu viel Aufmerksamkeit zu erregen.
Wobei dies nun vermutlich eh schon zu spät war.
“Was hat dieser nutzlose Blutsauger überhaupt hier zu suchen?“, griff uns ein blonder Mann mit grünem Mantel verbal an und deutete dabei auf mich. Wieso bezog er Jonah in seine Beleidigung nicht mit ein, sie war immerhin auch noch nie hier gewesen!?
Es wurde so ruhig, dass man eine Nadel hätte fallen hören können. Auf einmal schnappte der Mann atemlos nach Luft und griff sich an die Kehle. Er riss die Augen auf und versuchte zu atmen, doch irgendetwas schnitt ihm die Luft weg, sodass sich seine Haut anfing langsam zu verfärben.
Es schien, als habe sich eine unsichtbare Macht um seinen Hals gelegt und drücke diesen zu, sodass er nicht atmen konnte.
“So redest du nicht mit ihr, Freundchen!“, keifte Cole aufgebracht und es dauerte einen Moment bis ich realisierte, dass er es war, der dem Mann die Luft vorenthielt.
Er hatte sich nicht einmal bewegt, sondern fixierte ihn nur wütend mit den Augen.
Nach ein paar Sekunden ließ er von ihm ab und zog seinen Magie zurück, sodass der Fremde sofort eilig nach Luft schnappte und husten musste, als die Luft in seine Lungen strömte.
“Ich wusste nicht, dass sie zu Euch gehört“, presste dieser eine schnelle Entschuldigung hervor, woraufhin Cole nur seine Augenbraue hob.
Wie hatte er das denn angestellt?
Ich fand es schon interessant, dass die Höflichkeiten, was die adelige Rangordnung betraf, selbst hier zu bestehen bleiben schienen.
“Wenn du willst, dass sie dir vertrauen und keine Angst vor dir haben, wäre es wahrscheinlich besser wenn du deine Macht nicht auf diese Weise ausübst“, flüsterte ich meinem Freund gutgemeint zu, denn ich hielt es für nicht sehr klug, wenn uns jeder hasste.
Zumindest nicht gleich nach dem ersten Treffen.
Cole überlegte kurz, bevor er mir sein Gesicht zuwandte und meinte: “Du hast Recht, wir wollen ja nicht den Eindruck erwecken, ich sei wie mein Vater. Besagter hat mir allerdings nie beigebracht wie man sich auf solchen Veranstaltungen angemessen verhält, sondern nur wie man alle dazu bringt einen zu fürchten.
Du wirst mir wohl dabei helfen müssen, zu lernen wie ich mir hier Verbündete hole...wenn du willst.“ Den letzten Teil fügte er nach einer kurzen Pause noch schnell hinzu und blickte mich bittend an, sodass ich zustimmend nickte.
“Nachdem dies nun geklärt ist, können wir endlich beginnen“, meldete sich wieder der ältere Mann vom Anfang zu Wort und das Treffen begann offiziell.

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