37. Kapitel

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Nachdem wir uns einigermaßen von dem Schock erholt hatten, obwohl ich bezweifelte, dass man sich überhaupt davon erholen konnte, dass einer deiner engsten Freunde gestorben und wieder auferstanden war, leisteten wir einen Schwur niemals, unter welchen Umständen auch immer, jemandem davon zu erzählen. Wir wussten, dass irgendwann schließlich alles an Licht kam, unsere Lippen jedoch waren mehr als versiegelt. Wir schlichen lautlos in Jonahs Zimmer und fielen totmüde auf unsere Betten. Leider machten mir meine Gedanken, die mir haufenweise im Kopf herumschwirrten einen Strich durch die Rechnung. Ich konnte den Anblick von Mr. Hatmans Leiche und die Reaktion seiner Frau einfach nicht verdrängen. So langsam realisierte ich überhaupt erst, dass wir einfach weggelaufen waren und seine Frau und Tochter zurückgelassen hatten. Wie hatte ich mich nur darauf einlassen können?
Was wenn sie im Nachhinein auch noch getötet worden waren?
Soweit wollte ich gar nicht erst denken!
Ich hatte mich wie ein Feigling verhalten und damit andere in Gefahr gebracht.
Zudem war eine meiner besten Freundinnen vor einer Stunde noch tot gewesen. Wie hatte bloß alles so auf die schiefe Bahn geraten können? Ich hatte doch nur eine schöne Woche mit Jonah verbringen wollen und dabei ein paar Nachforschungen anstellen wollen. Dass es allerdings so aus dem Ruder laufen und gefährlich werden würde, hatte ich nicht gedacht.
Als mir irgendwann sogar das Denken zu anstrengend wurde, schlief ich endlich ein und fiel in einen, zu meinem Glück, traumlosen Schlaf.

“Du siehst ziemlich fertig aus, alles gut bei dir?“, fragte mich Alex am nächsten Morgen, als Jonah und ich in die Halle zum Frühstücken kamen. Wir tauschten einen kurzen Blick, bevor ich bemüht freundlich bejahte. Ich war letzte Nacht mehrmals aufgewacht und hatte nicht genug Schlaf erhalten, was man vor allem an den dunklen Ringen unter meinen Augen erkennen konnte. Jonah dagegen sah vollkommen ausgeruht aus. Aber das war mehr als gerecht, wenn man bedachte, dass der ganze Ausflug gestern meine Idee gewesen war. Nachdem wir uns Essen geholt und uns an einen freien Tisch gesetzt hatten, lies ich meinen Blick durch den Raum wandern. Ich beobachtete, wie ein mir unbekannter Mann eintrat, der mich stark an einen Wächter erinnerte und leise etwas zu Lady Harrison sagte. Diese riss erschrocken die Augen auf und im selben Moment ertönte eine laute Sirene. In der Halle brach das reinste Chaos aus und Jonah erklärte mir, dass dies der Feueralarm war. War etwa ein Feuer ausgebrochen oder was?
Lady Harrison erhob sich und sorgte damit für etwas Ruhe als sie sprach: “Keine Panik, wir gehen jetzt alle gesittet nach draußen und versammeln uns auf dem Platz vor der Academy, während die Wächter versuchen das Problem wieder in den Griff zu bekommen!“
Von Sittlichkeit konnte hier allerdings nicht die Rede sein, denn jeder stürmte wie von einem Geist verfolgt nach draußen. Ich lief neben Jonah und Alex her und war über meine eigene Ruhe sehr verblüfft. Aber schlimmer als gestern Nacht konnte es eh nicht mehr werden.
Meiner Meinung nach zumindest nicht.
Auf dem Platz angekommen erkannte ich schon den schwarzen, dichten Rauch, der über dem Gebäude des Schlaftrackts qualmte.
“Nein! Meine ganzen Sachen! Kannst du es nicht aufhalten? Mit deinen Kräften oder so?“, quitschte Jonah plötzlich los, als sie sah, dass auch ihr Zimmer vom Feuer nicht verschont geblieben war.
“Sehe ich aus wie eine Hexe?“, fragte ich stattdessen.
“Kommt auf die Sichtweise an“, antwortete sie schulterzuckend.
Ich besaß zwar ein paar Kräfte, jedoch war ich immer noch ein Vampir und kein Magier.
Wir standen nutzlos herum und sahen zu, wie die Feuerwehr eintraf und Mühe hatte das Feuer in den Griff zu bekommen.
Ich spürte die Hitze der immer höher steigenden und heller leuchtenden Flammen im Gesicht und starrte nur fassungslos auf das Gebäude.
Mein Blick wurde nur einmal kurz unterbrochen, als uns Lady Harrison mit leicht zitternden Lippen fragte, ob bei uns alles in Ordnung war und wir beruhigend nickten. 
Die Zeit verging viel zu langsam, bis der Brand endlich einigermaßen unter Kontrolle geraten war und das Feuer langsam gelöscht wurde.
Glücklicherweise war nur der Schlaftrakt betroffen gewesen, jedoch wurde uns der Zutritt auch zum Rest der Academy strengstens verwehrt, bevor nicht die Brandursache gefunden wurde.
Ich zog mir fröstelnd die Ärmel meines Pullovers über die Hände. Ohne die heißen Flammen war es ziemlich kalt hier außen.
“Ich werde jetzt mal meine Strafe antreten, es bekommt gerade sowieso keiner mit“, sagte Jonah plötzlich nachdem wir lange Zeit schweigend nebeneinander gestanden waren.
Da ich ihr nur irritiert mein Gesicht zuwendete, erklärte sie mir: “Wegen der Wette, hast du die etwa schon wieder vergessen?“
Das hatte ich tatsächlich.
“So sehr ich auch meinen Spaß daran hätte, ist jetzt ein ziemlich schlechter Zeitpunkt. Schau dir Lady Harrison doch an, sie ist ein umher wanderndes Wrack!“
Jonah seufzte genervt, war aber glücklicherweise von ihrem Vorhaben abzuhalten.
Einige Zeit später fuhr ein dunkler Wagen vor und Lady Devone stieg aus.
Ihr Gesichtsausdruck hatte nichts Fröhliches an sich. Im Gegenteil, sie sah alles andere als zufrieden aus, als sie die von schwarzem Ruß bedeckten Überreste des Schlaftrakts musterte.
Sie wandte sich langsam ab und schritt auf dem gepflasterten Weg auf uns zu.
In irgendeiner Weise beruhigte mich ihre Anwesenheit, sodass sogar das Zittern etwas nachließ.
“Hättest du nicht etwas besser auf deine Schule aufpassen können, Elisa?“
Ich wollte schon sagen, dass dies nicht fair war und es an jeder beliebigen Schule hätte passieren können, aber Lady Harrison setzte selbst zu einer Antwort an: “Mit Ray läufts wohl grad nicht so gut was?“
Mir stockte der Atem. Dass die sich traute sowas zu sagen, woher wusste sie überhaupt davon?
Dafür erntete sie auch den tödlichsten aller Todesblicke.
Ich würde gerade wirklich nicht in ihrer Haut stecken wollen!
“Ich weiß, dass du mir bei lebendigem Leibe die Haut abziehen könntest Alice.“
“Ich wollte dich nur noch einmal daran erinnern“, sagte Lady Devone gefährlich ruhig.
“Aber du wirst es nicht tun!“
Lady Harrisons Gesicht wandelte sich von Verzweiflung in ein optimistisches Grinsen, während sie an ihrer senfgelben Strickjacke herumfummelte.
“Was macht dich da so sicher?“
“Dafür magst du mich viel zu sehr.“ Lady Harrison hob entschuldigend die Schultern.
“Wohl wahr, pass bloß auf, dass sich das nicht noch ändert!“
Es schien als kannten sich die zwei schon eine ganze Weile.
“Lady Devone, Lady Harrison, wir haben die Überreste einer Mhande im Ort des Brandursprungs gefunden“, teilte den beiden Schulleiterinnen ein Mann im weißen Anzug mit, der wohl zu den Forensikern gehörte, die vorhin angereist waren.
Lady Devone hob wissend den Kopf, während Jonah und ich den Mann fragend anstarrten. Wer oder was war eine Mhande?
“Wie ist es möglich, dass die durch die Sicherheitsschleusen kommen konnte?“, fragte Lady Harrison und strich sich verzweifelt die Haare hinters Ohr.
“Was ist das überhaupt?“, stellte ich die Frage, die Jonah und mich quälte.
“Mhande sind eine Art Feuerwesen, die sich explosionsartig entzünden können und damit alles in Brand setzen, was in ihrer Nähe ist“, erklärte mir meine Oma gütigerweise.
“Ist das Ding dann noch drin?“
“Nein, sie sterben bei der Explosion.“
“Warum tun sie es dann überhaupt wenn es sie das Leben kostet?“
“Das weiß niemand so genau. Zudem sind sie eigentlich sehr dumm, was wiederum die Frage aufruft, wie die Mhande aufs Gelände gelangen konnte.“
“Es muss letzte Nacht jemand raus sein, dem sie hereingefolgt ist“, mutmaßte Lady Harrison und ich zuckte zusammen. Jonah und ich waren die Nacht über weg gewesen! Was wenn wir letztendlich für das ganze Feuer verantwortlich waren?
Der Blick in Jonahs Augen ließ mir klarwerden, dass sie genau das Selbe dachte.
Lady Devones Blick fiel auf mich. Sie konnte doch nichts davon wissen, oder? Wenn jemand davon erfuhr würde man mich nie wieder ohne Aufpasser irgendwohin lassen!
Aber konnte ich zulassen, dass sie vielleicht jemand anderen verdächtigen würden?
Was sollte ich nur tun?
Meine Oma sah mich immer forschender an, als wüsste sie ganz genau, dass sich mein Gewissen und meine Angst um mein Ansehen innerlich den wohl größten Kampf des Jahrhunderts lieferten.
Wie würde das wohl aussehen, wenn publik wurde, dass sie die Enkelin der Kanzlerin nachts rausgeschlichen hat, bei einem Mord anwesend war und ihr schließlich zu allem Unglück auch noch eine Mhange gefolgt war, welche schlussendlich fast die komplette Academy niederbrennen hätte können?
Definitiv nicht gut!
Dennoch würde ich unseren Schwur nicht brechen, nicht solange wir nicht gezwungen waren.
Außerdem wollte ich nicht, dass meine Oma anfing mich zu hassen, nur weil ich einen oder vielleicht auch mehrere dumme Fehler begangen hatte. Wobei vermutlich letzteres überwog.
Ich schlug meine Lieder nieder um ihrem Blick zu entgehen. Es wurde langsam etwas unheimlich, wie sie kein einziges mal blinzelte, sodass ich das Gefühl hatte sie könne meine Gedanken lesen.
Wenn sie dies gerade wirklich getan hatte, war sie wenigstens so nett nichts zu erwähnen. Sobald ich den Blick abwendete, durchzuckte Lady Devone ein leichter Ruck und sie blinzelte, als käme sie gerade wieder in der Realität an.
Ich hoffte gerade inständig, dass sie nicht in meinem Kopf gewesen war.
“Was passiert jetzt?“, unterbrach Jonah meine stummen Hoffnungen.
“Ich fürchte ich muss euch heimschicken bis das hier geklärt und geregelt ist“, antwortete Lady Harrison mit wehmütiger Stimme.
“Jetzt gleich?“
“Elisa du organisierst, dass jeder seine Kinder abholt und kümmerst dich um das hier“, ordnete Alice Devone an und nickte in Richtung Academy.
“Ich weiß was ich zu tun habe, Alice“, sagte die Schulleiterin der Monteville Academy lächelnd.
Lady Devone nickte und wandte sich daraufhin mir zu: “Violet du kommst mit mir, auf nach Hause.“
Die Sachen die ich mitgenommen hatte, waren jetzt höchstwahrscheinlich eh nur noch Asche, sodass ich ihr sofort zum Wagen folgte.

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