Ace

Reizschwelle

"Eine Frau, die als Kind nur durch einen Zufall überlebt hat..." füge ich murmelnd hinzu und sehe wieder auf das Meer hinaus. Durch das Tempo, dass wir nun aufgenommen haben, spritzt uns Gischt entgegen. Doch ich schließe nur die Augen und genieße die kalten spitzer des Wassers auf meinem Gesicht. "Durch welchen Zufall? Und... War es das, was dich so aufgeregt hat?" fragt Ace und ich fluche innerlich. Hätte ich es nicht leiser sagen können?! Oder überhaupt gar nicht?! Langsam öffne ich die Augen und sehe dann auf meinen rechten Fuß. Zögerlich nickend stimme ich ihm zu. "Das war es... was los war..." sage ich und lasse die Antwort extra schwammig klingen. Ace rückt näher zu mir und dreht sich komplett zu mir. "Also. Was ist denn so schlimm, dass du nicht darüber reden willst?" fragt er und ich bin überrascht über die sanftheit in seiner Stimme! Doch dann schüttle ich den Kopf. "Wie du sagtest. Ich will nicht darüber reden..." meine Stimme ist nüchtern und kalt. Der schwarzhaarige Pirat zuckt ein wenig zusammen, lässt aber nicht locker! "Na los! Sag schon! Dann geht es dir vielleicht besser!" versucht er es wieder und es reicht mir. "Ich habe gesagt dass ich nicht darüber reden will. Und damit PUNKT!" Zische ich zwischen zusammengepressten Zähnen hervor und verkrampfe mich. "Aber-" "NICHTS ABER!" unterbreche ich ihn halb brüllend halb fauchend! Wut steigt in mir auf und meine Nerven sind mit Spinnweben zu vergleichen! Gereizt stehe ich auf, lasse den verdutzten Ace hinter mir und schwinge mich von dem Walkopf hinunter. Stinksauer stampfe ich die Treppen hinunter und verfluche ihn innerlich auf's schlimmste! Nur hin und wieder ist ein gemurmeltes: "Mistkerl", "Volltrottel", oder "Arsch" zu hören.

Ich bemerke in meiner Wut nicht einmal Whitebeard, der schon den Mund aufmachen wollte um etwas zu sagen! Doch da ich ihn nicht wirklich wahrnehme und es anscheinend nichts all zu wichtiges ist, lässt er mich in Ruhe. Ich hingegen verziehe mich an die Reling, entledige mich meines Bogens und des Köchers und setze mich darauf. Die Beine frei über dem Wasser schwingend. Dann wickele ich mich in die Decke von heute Nacht ein und starre auf das Meer. Trotz meiner momentanen seelischen angespanntheit und meiner sehr, sehr, SEHR niedrigen Reizschwelle, beruhigt mich das glitzern der Sonne auf der Meeresoberfläche ein wenig. Auch das Rauschen des Wassers und das klatschen der Wellen an die Wand des Schiffes ist eintönig und so ein wenig entspannend. Hin und wieder kreischt eine Möwe und ich seufze. Dann stülpe ich mir die Decke über meinen Kopf und ich lasse los. Oder ich versuche es! Aber irgendwie, kann ich es doch nicht! Es ist eine Art innere Barriere die mich daran hindert, meinen Gefühle freien Lauf zu lassen. Verwirrt und durch die plötzliche Erinnerung an meine Familie ein wenig zerissen, ziehe ich die Decke enger um mich und fühle mich trotz der mich umgebenden Leute einsamer als nie zuvor. Trotz des emsigen hin und her laufens der Besatzung und Whitebeard, der mich mit Marco beobachtet, fühle ich mich allein. So allein war ich nicht einmal im Wald...

So sitze ich da, bis mir die Mittagssonne auf den Kopf brennt und ich von der Reling steige. Mein Rücken knackt an ein oder zwei Stellen als ich mich ein bischen strecke und umsehe. Whitebeard ist anscheinend unter Deck verschwunden, denn seine Hünenhafte Gestalt kann ich nirgendwo entdecken. Marco steht ein wenig gelangweilt im Schatten, hat seinen Blick aber immer auf mich gerichtet. Über die vielen Stunden hinweg habe ich meinen Kopf leer gekriegt. Mich beruhigt. Gezwungenermaßen! Schließlich habe ich niemanden, an dem ich mich abreagieren könnte! Schweigend bewaffne ich mich wieder, lege die Decke neben das Kissen und gehe dann zu Marco. "Hey. Na? Wieder beruhigt?" fragt er und ich nicke. "Es hat zwar gedauert, aber jetzt geht es wieder. Ohne richtiges Training kann ich mich nicht auspowern. Und eine niedrige reizschwelle ist dann wohl das ergebniss..." versuche ich irgendwie eine rechtfertigung zu finden und meinen kleinen gefühlsausbruch zu erklären OHNE etwas von meiner Geschichte enthüllen zu müssen. Doch Marco scheint dies nicht ganz überzeugt zu haben. Denn als ich mich neben ihn an die Schattige Wand lehne, sieht er mich mit einem Blick an, der mir unbehagen bereitet! "Was denn...?" brumme ich, bekomme von ihm aber nur einen leichten Schubser. "Dass du mich anlügst, finde ich nicht ganz so prickelnd!" meint er nun und ich sehe ihn ein wenig überrascht an. Dass er auf zack ist, habe ich ja schon bei unserer früheren begegnung gemerkt. Aber dass er einen durchschauen kann...! Doch ich bemerke schnell, dass er mich zu nichts zwingen will und ich lasse mich an der Wand zu Boden sinken. Ungefragt setzt er sich neben mich und ich kann seine Körperwärme spüren. Irgendwie beruhigt sie mich und ich seufze. "Ich bin vielleicht nicht nur wegen der fehlenden Bewegung so mies drauf gewesen..." fange ich an und Marco nickt stumm. Es scheint ihm wirklich schon bewusst gewesen zu sein, dass ich etwas anderes auf dem Herzen habe als das Training! Ich kralle mich mit meinen Händen in den Holzboden und entspanne sie wieder. "Ace hat bei etwas nachgefragt, dass einen empfindlichen Punkt bei mir erwischt hat. Und er hat trotz meines Ablehnens nicht aufgehört nach zu fragen. Deswegen bin ich ein bischen... ausgerastet." gebe ich zu und lasse auch hier meine Antwort und damit den wahren Grund schwammig. Seine dunklen Augen sind neugierig auf mich gerichtet, doch er hält sich zurück. Wartet, bis ich auf IHN zukomme! Dieses Gefühl, dass er mir gibt ist seit langem das erste mal, das mir jemand sicherheit gibt. Sicherheit, nicht gleich ausgelacht zu werden. Ohne von Bord geschmissen zu werden. Sicherheit, dass das, was ich ihm anvertraue, auch bei ihm bleibt! "Versprich mich, dass du es niemandem weitererzählst. Klar? Wenn Whitebeard fragt, ist es in Ordnung. Aber sonst niemand!" Sage ich entschlossen und Marco legt mir als Zeichen seines stummen einverständnisses seine linke Hand auf meine rechte Schulter. "Ich..." Nach dem ersten Wort zögere ich schon. Bin mir unsicher, ob es der richtige Zeitpunkt ist. Ob es überhaupt JEMALS der richtige Zeitpunkt dafür ist! Aber wenn nicht jetzt... Wann dann? Ausserdem werde ich sie nach dem absetzen meiner wenigkeit auf der nächsten Insel eh nie wieder sehen! Also atme ich tief durch und fange an zu erzählen. Das erste mal in meinem Leben erzähle ich jemand anderem meine Geschichte!