Abgesehen von einigen Spitzen, die mir Mark an diesen Tagen noch während des Unterrichts zugeworfen hatte, verging der restliche Schultag relativ ereignislos. Morgen ist Freitag, danach kommt das Wochenende.
Das Wochenende ist für eine Vielzahl von Schülern immer die schönste Zeit der Woche. Man musste nicht im Unterricht erscheinen, konnte den ganzen Tag mit seinen Freunden verbringen, abends auf Partys gehen und ordentlich die Sau rauslassen.
Ich hingegen wusste bereits jetzt, dass ich in meinem Bett liegen und ein Buch lesen würde. Oder einen Film schauen. Vielleicht würde ich auch einen Spieleabend mit meinen Eltern veranstalten.
Schon häufig wurde ich in letzter Zeit von meinen Eltern gefragt, warum ich eigentlich nur unter der Woche etwas mit meinen Freunden unternehmen würde. Am Wochenende hätten wir soviel mehr Zeit. Wir könnten ins Kino gehen oder ich solle doch mal ausgewogen feiern gehen. Ich war immer der Meinung, das meine Eltern - allen voran mein Vater - niemals seine Zustimmung dafür geben würde. Er handelte jetzt schon wie mein persönlicher Bodyguard. Wenn er mal eine Nacht nicht wüsste, wo ich bin oder was ich treibe würde er doch verrückt werden.
Ich hatte mich getäuscht. Ob es daran lag, dass meine Mutter mit ihm gesprochen hatte, wusste ich nicht.
Ohnehin konnte ich mich bei meinen Eltern wirklich nicht beklagen. Sie gaben sich die allergrößte Mühe mit mir, unterstützten mich und wollten nur das Beste für mich. Selbstverständlich konnte ich nicht immer meine Dankbarkeit zum Ausdruck bringen, aber dafür hatten sie vollstes Verständnis. Zu Weihnachten konnte ich keine großen Geschenke machen und auch zum Geburtstag waren es eher Kleinigkeiten, die ich ihnen schenkte. Für meine Eltern bedeutete das aber schon viel, immerhin sparte ich mir das alles durch mein eigenes Taschengeld zusammen.
Sie beteuerten auch immer wieder, dass ich ihnen nichts schenken bräuchte. Ich soll mein Geld zusammenhalten und mir irgendwann etwas Großes davon kaufen. Ich selbst hatte aber kein Ziel oder größeren Wunsch. Mir war es wichtig, dass ich meine Eltern entsprechend glücklich machen könnte - auch wenn sie immer wieder sagten, dass es sie schon glücklich machte, wenn ich mich in der Schule bemühte und an sie denken würde.
Warum ich am Wochenende nichts unternahm, dürfte klar sein. Wohin? Und mit wem? Nur alibimäßig auf die Straße gehen und mir die Nacht um die Ohren schlagen, damit meine Eltern keinen Verdacht schöpften, war mir zu riskant. Also habe ich mir eine andere Ausrede einfallen lassen: Viele meiner Freunde würden am Wochenende Zeit mit ihren festen Freunden oder Freundinnen verbringen und da wäre ich eher ein Klotz am Bein. Das stimmte sie einigermaßen zufrieden, auch wenn das natürlich das nächste, heikle Thema aufwarf.
"Wann würdest du denn mal einen Freund mit nach Hause bringen?" hatte meine Mutter mich gefragt. Mein Vater hatte auf die Frage eher skeptisch reagiert. Er war froh, dass ich mit den Jungs nicht allzu viel am Hut hatte. Er sah nur die Tatsache, dass man mich verletzen könnte und er diesem jemanden dann irgendwann den Arsch aufreißen müsste. Auch hier sah die Antwort natürlich anders aus: Die Jungs wollten mit mir nicht viel zu tun haben. Der Grund, den ich meinen Eltern auftischte war aber eher, dass es bisher keinen Jungen gab, der mich wirklich faszinierte.
Auch das war gelogen. Manchmal fragte ich mich, ob ich all meine Lügen in meinen Abschiedsbrief schreiben sollte, um den guten Eindruck von mir zu zerstören, nachdem ich ins Jenseits gegangen bin. Meine Eltern wären sicherlich enttäuscht, würden aber bestimmt auch sehr viel Verständnis zeigen. Ich hatte schließlich meinen Grund, warum ich log. Ich tat das auch nicht, um meine Eltern zu verärgern, sondern damit sie sich keine Sorgen machten. Vielleicht war ich auch etwas egoistisch bei meinem Verhalten, aber ich tat das ganz sicher nicht mit böser Absicht oder grundlos.
DU LIEST GERADE
Still Human - Immer noch Mensch | ✔
Teen FictionSophie hasst die Schule, hasst ihr Leben, hasst die Menschen. Der Grund: Mobbing. Seit ihrem Schulwechsel scheint sie keinerlei Anschluss zu finden. Es ist, als hätte sich die ganze Welt gegen sie verschworen - und je länger sie in diesem Trott gefa...