Meine Erfahrungen sagten mir, dass die Unterrichtsstunden am Freitag grundsätzlich länger waren. Sie zogen sich ins Ungewisse, weil man darauf lauerte, endlich ins Wochenende zu dürfen. Da konnte man auch schon mal das Gefühl haben, dass der Englischunterricht statt einer Stunde, drei Stunden ging und das ein Video im Philosophieunterricht mehr als 30 Minuten dauerte.
Einen bitteren Beigeschmack hatte dieser Freitag jedoch: Die nächste Woche würde garantiert kommen. Und mit ihr würde Mark am Mittwoch an diese Schule zurückkehren. Ich glaubte nicht daran, das irgendjemand an dieser Schule erwartete, das der Schläger geläutet sei. Seine Mutter hätte ihm vermutlich die unterschiedlichsten Strafen verpasst, um seine Zeit zu Hause so unangenehm wie möglich zu gestalten, aber ein neuer Mensch würde nicht vor uns stehen.
Im Gegenteil: Er wäre immer noch der Alte und würde genau da weitermachen, wo er aufgehört hatte.
Ob man es inzwischen geschafft hätte, ihn bei der Therapie anzumelden, wusste ich nicht. Das würde Mark am Mittwoch wohl selbst erzählen. Und wie immer wenn er sein großes Mundwerk öffnete, würde ich nur mit einem halben Ohr zuhören, weil ich wusste, das nur Unfug aus seinem Mund herauskam. Wenn ich mich anstrengte, konnte ich ihn sogar komplett aus meinem Leben ausschließen. Es erweiste sich nur grundsätzlich als schwierig, weil er jedes Mal freiwillig die Konfrontation mit mir suchte. Ganz einfach weil ich ein leichtes Opfer war, wenn ich nicht mit Kyra zusammen war.
Zuhause beendete ich meine Hausaufgaben und legte mich schließlich aufs Bett. Eigentlich hatte ich gehofft, das dieser Tag sein Ende fand, damit ich auf die Party hinfiebern könnte. Es war mir nicht einmal so wichtig, das Haus der Schillers von Innen zu sehen. Mir ging es in erster Linie darum, mit Lucas sprechen zu können, mit ihm tanzen zu können und ein für alle Mal unser Verhältnis zu klären. Der Kuss an der Brücke ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Es war mir wichtig zu wissen, was ich dort hineininterpretieren konnte.
Ich wusste das der Grad zwischen Enttäuschung und Glück ziemlich schmal war. Er könnte den Kuss an der Brücke als Ausrutscher abtun, er könnte mir aber auch seine Liebe gestehen. In beiden Fällen würde ich anders mit dem Fakt umgehen. Ich würde ihn aber nicht persönlich angreifen. Wenn er sich nicht in mich verliebt hätte, dann würde ich damit umgehen können. An meine Gefühle für ihn würde das aber nichts ändern. Sollte er mir jedoch seine Liebe gestehen, würde ich auf der Stelle mein Glück mit ihm kundtun wollen.
Ich nahm mir trotzdem vor, mit Vorsicht an diese Angelegenheit heranzugehen. Zum Glück wäre Kyra auch dort. Sie würde mir den entsprechenden Rückhalt geben und im Zweifelsfall eingreifen. Dennoch wollte ich ihr nicht den gesamten Abend zur Last fallen. Auch sie sollte ihren Spaß haben und die Möglichkeit besitzen, neue Leute kennen zu lernen. Im Endeffekt bräuchte ich sie vor allem dafür, den Stein ins Rollen zu bringen. Ich konnte mich nicht immer auf ihre Hilfe verlassen und im Falle Lucas hatte sie mir schon mehr als genug geholfen. Nicht nur das sie mir das gesamte Partyoutfit zusammengekauft hatte, sie hatte auch noch das Geschenk besorgt und mir ihre Hilfe versichert - mehr ging wirklich nicht.
Das Lucas am heutigen Tag keinen Kontakt zu mir gesucht hatte, beschäftigte mich. Ich tat das nicht unbedingt als bestes Zeichen ab, wollte ihn aber auch nicht bedrängen. Es bestand ja durchaus die Möglichkeit, dass er einfach nur seine Gefühle und Gedanken sortieren wollte und er das am Besten konnte, wenn er mir aus dem Weg ging. Ich konnte nicht leugnen, dass ich trotzdem gerne ein Statement von ihm gehört hätte. Zwingen konnte ich ihn aber nicht.
Eine Kontaktpause hielt ich trotzdem für den größten Fehler, den man machen konnte. Deshalb beschloss ich, ihn zumindest bei Facebook anzuschreiben. Eigentlich hätte ich ihn gerne angerufen, seine Stimme gehört, aber wir hatten noch keine Nummern getauscht. Bei Kyra und mir ging das deutlich schneller. Ich hoffte darauf, dass wir das auf der Party nachholen würden. Je nachdem, wie sich unser Beziehungsstatus in diesen Stunden entwickeln würde.
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Still Human - Immer noch Mensch | ✔
Novela JuvenilSophie hasst die Schule, hasst ihr Leben, hasst die Menschen. Der Grund: Mobbing. Seit ihrem Schulwechsel scheint sie keinerlei Anschluss zu finden. Es ist, als hätte sich die ganze Welt gegen sie verschworen - und je länger sie in diesem Trott gefa...