Kapitel 18 - Nachbeben

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Der Vorfall zwischen Tim und Mark verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Geschichte hatte in der ersten Stunde nicht stattgefunden. Wie uns befohlen wurde, hatten wir uns nach der körperlichen Auseinandersetzung auf den Schulhof begeben und darauf gewartet, dass wir zum Unterricht reingeholt wurden. 

Aber es passierte nichts.

Selten hatte ich die Klasse so schweigsam gesehen, wie in diesem Moment. Entsetzte Blicke auf dem Boden, leises Getuschel oder junge Menschen die den Vorfall als "Krass!" bezeichneten - das war alles, was in diesen schwierigen Minuten zu hören war. Niemand hatte vorhersehen können, dass Mark derart ausrastet. Zumal Tim nichts verwerfliches gesagt hatte und er seine Aggressionen vollkommen grundlos an seinem ehemaligen Kumpel ausgelassen hatte.

Es klingt vermutlich egoistisch, wenn ich das sage, aber ich bin froh, dass es Tim getroffen hatte und nicht mich. Mal angenommen, Mark hätte wirklich auf mich eingeschlagen, so wie er es bei Tim gemacht hatte - ich wäre bestimmt nicht wieder aufgestanden. Für mich war es noch immer unvorstellbar, dass er es wirklich gemacht hätte, aber zuzutrauen war ihm inzwischen alles. 

Mark war ein Psychopath. Offenbar getrieben von seinem grundlosen Hass auf mich, beängstigt davon, das plötzlich auch seine Freunde gegen ihn agieren, nur weil nicht alle seine Taten gut geheißen worden. Durch Kyra und Lucas hatten sich zwei Leute um mich gescharrt, die mir helfen wollten, dem Mobbing ein Ende zu setzen. Meine Angst war wohl berechtigt, dass es die beiden als nächstes treffen würde.

Für diesen Augenblick nach dem Unterricht war meine Welt dunkel. Meine Gedanken drehten sich im Kreis, ließen mich vollkommen alleine und unterstützten mich zu keinem Zeitpunkt. Ich war am Ende, machte mir unsagbare Vorwürfe und konnte nichts dagegen tun, außer auf dieser Bank zu sitzen und mir immer wieder das Bild vor Augen zu rufen, wie Mark wie besessen auf Tim eingeprügelt hatte und dabei keinerlei Skrupel gezeigt hatte.

Hätte es nicht todesmutige Mitschüler gegeben, die dazwischen gegangen und Mark vom Schlimmsten abgehalten hätten, wer weiß, ob Tim diesen Angriff überlebt hatte. Es machte mir Sorgen, das zwei Kumpels derart aufeinander losgehen konnten. Mark war doch kein Dummkopf. Er wusste, dass er Probleme für seine harte Körperverletzung bekommen könnte. Wenn Tim bereit wäre, diesen Scheißkerl anzuzeigen, dann stünde er irgendwann vor richtigen Problemen. 

Ich konnte mir schon richtig vorstellen, wie Mark zu Hause wieder eine Standpauke erhalten würde. Niemand erwartete, dass mein Mitschüler von der Schule flog, aber eine Suspendierung würde sein Handeln auf jeden Fall nach sich ziehen. Seine Mutter würde zur Schule dirigiert werden, sie müsste sich rechtfertigen und ihr würde wohl nahegelegt werden, ihren Sohn zu einem Antiaggressionstraining zu schicken, um all seine Wut zu bändigen. Ich konnte mir das entsetzte Gesicht von Sandra Thalbach förmlich vorstellen, wenn sie am Telefon vom Schuldirektor zu hören bekommt, dass er einen anderen Mitschüler krankenhausreif geschlagen hatte.

Und es wäre noch schlimmer gekommen, wenn man ihn einfach hätte machen lassen. Thomas Opitz wurde für den Moment als Held der Stunde gefeiert, dass er Tim vor dem Schlimmsten bewahrt hatte. Seine Eltern waren beide bei der Polizei, von daher hatte Thomas Zivilcourage in die Wiege gelegt bekommen. Sobald er in einem persönlichen Gespräch mit Tim die Chance dazu hatte, würde er ihm eine Anzeige nahelegen und sich selbst als Zeuge aufstellen lassen. Und dann war die Scheiße richtig am Dampfen.

Das beklemmende Gefühl in der Klasse sorgte aber nicht dafür, dass wir in der zweiten Stunde nach Hause geschickt wurden. Im Gegenteil: Herr Tabbarius hatte kein Problem damit, uns mit Formeln und mathematischen Gleichungen noch tiefer in die Depression zu führen, als wir momentan schon steckten. Dennoch hatte der Matheunterricht auch eine positive Wendung für uns. Am Ende des Unterrichts schien der Lehrer zur Besinnung zu kommen.

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