Kapitel 11 - Terrorisiert

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Ich bin beflügelt. Nicht im wahrsten Sinne des Wortes, aber die Nachrichten von Lucas am Vorabend haben es mir leichter gemacht, am Montag aus dem Bett aufzustehen, als mein Wecker mich unsanft aus den Federn holte. Ich spürte, dass für mich ganz neue Wochen anbrechen würden.

Und zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch gar nicht, wie recht ich damit behalten sollte - nur leider nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte.

Meine Eltern hätten mich am frühen Morgen für verrückt erklärt, als ich bereits nach zehn Minuten pfeifend aus meinem Zimmer kam und den ungeliebten Montag begrüßte. Ich konnte sehen, wie Mama und Papa ihre Blicke wechselten und fragend die Augenbraue in die Höhe zogen, als ich mich an den Frühstückstisch begab und mein Müsli mit Milch anrührte. Mein Handy legte ich neben mir auf den Tisch, ohne wirklich zu erwarten, dass Lucas mir noch einmal schreiben würde.

"Alles in Ordnung? Hast du über Nacht Drogen genommen?" fragte mein Vater als sei ich ein Junkie, der all seine Glücksgefühle nur aus den Drogen nimmt.

"Nein, Papa. Ich bin einfach noch ungeschminkt." grinste ich fröhlich vor mich hin, als der volle Löffel in meinen Mund wanderte.

"Ach so. Und ich dachte schon, man hätte meine Tochter entführt und gegen einen perfekten Roboter getauscht." Papa verdrehte grinsend die Augen, ich warf ihn einen gespielt wütenden Blick zu.

"Du hältst mich also nicht für perfekt?" wollte ich gespielt genervt wissen.

"Doch, natürlich." er zwinkerte.

Meine Mutter fand unsere Unterhaltung belustigend, grinste, während sie sich ihrem Frühstück widmete. Zwischen mir und meine Eltern gab es eigentlich nur lockere Gespräche - mal vom Vortag abgesehen, dass aber auch nur daraus resultierte, dass sie sich Sorgen machten. Wer könnte es ihnen verübeln? Ich habe mir darüber keine weiteren Gedanken gemacht und es gab auch keinen Grund, wütend auf meine Eltern zu sein.

Tatsächlich waren sie die einzigen Menschen, bei denen ich das Gefühl hatte, ich selbst sein zu können. In der Schule hielt ich mich immer zurück. Ich traute mich nicht, irgendetwas zu sagen, aufmüpfig zu wirken oder mal einen lockeren Spruch zu bringen, auch wenn ich fast der Meinung war, dass es mir helfen würde, mich zu integrieren. Die Befürchtung, für Schlagfertigkeit nur noch mehr bestraft zu werden, war jedoch immer existent. Ich hatte wenig Lust darauf, mich dafür fertig machen zu lassen, dass ich gelernt habe zu reden.

Meine Mitschüler haben schon oft bewiesen, dass sie keinen wirklichen Grund brauchten, um mich fertig zu machen. Wenn ich anfing, gegen ihre Sprüche anzugehen, hätten sie hingegen einen tatsächlichen Grund. Das war eine Sache, die ich nicht riskieren wollte. Zumal Mark noch nie wie eine Humorbombe gewirkt hatte.

"Soll ich dich wieder mit zur Schule nehmen, Sophie?" mein Vater fragte, nachdem ich mein Frühstück nahezu verschlungen hatte.

"Nur, wenn es dir keine Umstände macht, deine nicht ganz so perfekte Tochter mitzunehmen." stichelte ich gegen seinen Spruch von eben.

"Na gut, dann muss ich mir das wohl nochmal überlegen." stichelte er zurück und zwinkerte mir zu.

Ich steckte ihm zum Spaß die Zunge raus und begab mich erst auf mein Zimmer, um mir Sachen für den heutigen Tag rauszusuchen, dann ins Badezimmer, um mich entsprechend fertig zu machen. Schon im Badezimmerspiegel konnte ich eine ungewohntes Glück in meinem Gesicht erkennen. Ich fühlte mich wohl - pudelwohl, um genau zu sein. Und daran war nur dieser Junge Schuld, dem scheinbar egal war, wer ich bin oder wie die anderen Schüler zu mir standen. Zumindest haben seine bisherigen Versuche, sich mir zu näheren, mir gezeigt, dass er offen für eine Unterhaltung mit mir war.

Still Human - Immer noch Mensch | ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt