Joe hatte das Zimmer nicht mehr verlassen, seit er die Nachricht vom Tod seines Vaters erhalten hatte. Er lag noch immer zusammengerollt auf dem Bett und hatte seine Lage über Stunden so gut wie nicht verändert. Tiny hatte tagsüber mehrmals nach ihm gesehen, sich zu ihm gesetzt, ihn gestreichelt und versucht, mit dem jungen Mann zu sprechen, doch erfolglos: Er lag und atmete; damit schien das Maximum des Möglichen bereits erreicht.
Joe hatte keine nennenswerten Gedanken oder Gefühle, während er auf diese Weise vor sich hin stierte, nur diese Unfähigkeit, sich zu rühren, sich zu äußern oder irgendetwas zu unternehmen.
Und da es nichts gab, was er tun konnte, ließ Tiny Joe zunächst in Ruhe.
Schließlich kam die Nacht. Tiny kroch zu dem jungen Mann ins Bett und legte einen Arm um ihn. Joe fühlte es kaum, doch er ließ geschehen.
Schließlich schlief Tiny ein und auch Joe fiel für einen Moment in einen leichten Schlaf, von dem er nicht hätte sagen können, wie lang er gedauert hatte.
Als er wieder erwachte, war immer noch stockfinstere Nacht. Er öffnete die Augen, doch er konnte absolut nichts sehen, hatte jedoch das grauenhafte Gefühl, die Schlafzimmerwände kämen rasant auf ihn zu. Und schlagartig wurde auch die Atemluft knapp.
Trotzdem er schreckliche Angst hatte, blieb Joe noch eine Weile im Bett liegen, bis er schließlich spürte, dass er es einfach nicht mehr aushielt.
Tiny erwachte von Geräuschen im Zimmer. Als er die Augen öffnete, erblickte er Joe, welch Vorhänge und Fensterläden aufgerissen hatte, wie er im dürftigen Licht der Sterne verkrampft dastand und keuchend und würgend atmete. Er war so weit aus dem Fenster gelehnt, dass es fast so aussah, als wollte er springen. Verwirrt stand Tiny aus dem Bett auf und trat hinter ihn. Als er den jüngeren Mann lediglich sanft an seinen Armen berührte, zuckte dieser heftig zusammen und begann zu zittern.
Tiny verstand nicht, was hier vor sich ging und Furcht ergriff ihn. Er berührte Joe zart an den Schultern und flüsterte, dass alles wieder gut werden würde, doch der junge Mann schien seine Anwesenheit überhaupt nicht zu wahrzunehmen.
In seiner Hilflosigkeit riss Tiny seine Zimmertür auf und rief nach Kathryn, welche gegenüber wohnte. Diese reagierte nicht sofort, also rief er lauter und nach dem dritten Mal wurde endlich Kathryns Tür geöffnet. Sie kam hereingerannt und mit ihr auch Shy, welche ihr Zimmer zwei Türen weiter hatte und durch die Schreie ebenfalls wach geworden war. Kathryn entzündete eine Öllampe und wollte wissen, was vor sich ginge:
„Ich weiß es nicht." entgegnete dieser ängstlich: „Als ich aufgewacht bin, war er schon in diesem Zustand."
Auch Kathryn war ratlos und tat, was Tiny bereits erfolglos probierte hatte: Sie sprach beruhigend auf Joe ein und streichelte ihn sanft, doch er zitterte und hyperventilierte weiterhin.
Nun mischte Shy sich ein und erklärte:
„Vergesst es. Das bringt gar nichts. Der Junge weiß gar nicht, dass wir da sind. Lasst mich mal!"
Energisch und ohne Rücksicht auf deren Gefühle, schob die winzige Frau Kathryn und Tiny beiseite, drehte Joe zu sich um, und sprach ihn sehr laut an:
„Hey, Junge. Beruhige dich, hörst Du!"
Keine Reaktion!
Nun kniff Shy, ganz ihrem Gefühl vertrauend, Joe einmal kurz und heftig in den Arm, woraufhin das Gesicht des jungen Mannes sich schmerzhaft verzog und er das krampfhafte Atmen vergaß. Wachheit und Leben kehrten in seinen Blick zurück:
„Was...?" fragte er verwirrt und blickte von Shy zu Tiny und Kathyn. „Was ist passiert?"
„Du hast uns allen ganz schön Angst gemacht, Junge!" antwortete Shy: „Du hattest einen Anfall oder so etwas."
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Die Leute von Millers Landing
AcciónWir schreiben das Jahr 1903. Es gibt da ein besonderes Haus am Stadtrand des kleinen Örtchen Millers Landing im Staate Pennsylvania. Die Leute die dort leben sind Außenseiter. Man meidet sie, weil sie Prostituierte sind, Homosexuelle, oder die Nachf...