Kapitel 6 - Beste Freunde

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Aaron

Mein Handy, trotz zersplittertem Display, da ich es quer durch mein Auto geworfen habe, funktioniert scheinbar noch, denn es vibriert in meiner hinteren Hosentasche. Ich schaue auf das zerbrochene Display und sehe Kaydens Namen. Mit großen Augen schaue ich herab zu Ally, die so viel kleiner ist als ich, und zu mir nach oben sieht. Ihr Augen sehen mich an wie die eines Rehs, das in die Scheinwerfer eines herannahenden Autos schaut. Vermutlich grübelt sie immer noch darüber nach, ob es so eine gute Idee ist, bei mir zu bleiben. Aber ich will sie bei mir haben, was auch immer das heißen mag.

„Es ist Kayden", sage ich und einerseits will ich mit ihm sprechen, andererseits nicht. Der Sturm in meinen Gedanken ist ruhiger geworden, aber noch lange nicht zum Stillstand gekommen.

„Geh ran! Er ist dein bester Freund", flüstert Ally, also habe sie Angst, dass irgendetwas zerbricht, wenn sie lauter spricht. Ich nicke und drücke mit meinem Daumen auf den grünen Hörer meines Displays.

„Hey, Bro. Du hast angerufen. Wir waren bei Carleens Tante Edda auf dem Geburtstag. Schnaaarch." Ein dumpfer Schlag ist zu hören, gefolgt von einem lauten „Au" von Kayden. Ich kann ein Lächeln nicht unterdrücken und sehe die beiden vor mir, wie Carly ihm mit der Faust auf den Oberarm schlägt.

„Das gibt einen blauen Fleck, Babe."

„Dann benimm dich gefälligst und rede nicht so über meine Tante! Du warst doch so interessiert an ihren Porzellanpüppchen." Ich lache laut auf und höre Kayden schnauben.

„Aber nur, weil sie so gruselig aussahen. Wie Chucky die Mörderpuppe. Hättest du sehen sollen, Bro." Carly lacht im Hintergrund, als glaubte sie Kayden kein Wort.

„Warum hast du angerufen?" Das Lächeln stirbt auf meinen Lippen und die Realität klopft erneut mit aller Wucht an.

„Kann ich kurz mit Ally vorbei kommen?", frage ich nur und schlucke. Kayden scheint zu spüren, dass etwas nicht stimmt und seine Stimme wirkt sofort viel ruhiger, als er sagt: „Ja klar. Wir sind hier." Ich rechne es ihm hoch an, dass er mich nicht nach Ally fragt. Kayden kennt mich seit dem Kindergarten und schon immer hatten wir eine Verbindung zueinander, die kaum jemand nachvollziehen kann. Ich war an seiner Seite, als seine Mutter an Krebs erkrankte und starb und er stand an meiner Seite, als meine Großmutter starb, die ein wichtiger Teil meines Lebens war. Kayden würde es nie zugeben, aber er ist ein großer Softie - ein Herz wie ein Teddybär. Die Menschen, die ihm wichtig sind, beschützt er mit allem, was er hat. Ich weiß, dass ich mich immer auf ihn verlassen kann und andersherum ist es genauso.

Nach dem Gespräch, fahren wir beide jeweils mit unserem Auto zu Kayden und Carlys Wohnung. Als wir die Treppen hinter uns gelassen haben und Ally an die Tür ihrer ehemaligen Wohnung klopfen will, halte ich sie zurück. Tränen sind kurz davor, mich erneut zu übermannen und ich weiß nicht, ob ich bereit bin, meinen besten Freunden so gegenüber zu treten.

Ally dreht sich zu mir um und nimmt meine Hand in ihre, vorsichtig mit dem Daumen über meinen Handrücken streichelnd. Sie scheint sofort zu wissen, warum ich zögere, denn ihr Blick ist verständnisvoll und aufmunternd.

„Das sind deine besten Freunde. Keine Sorge! Wir sind alle für dich da. Ich bin bei dir." Ich schaue zu ihr herab und mein Herz zieht sich zusammen. Sie hat recht. Ich nicke ihr zu und sie klopft vorsichtig an die Tür.

Es dauert keine drei Sekunden, da schwingt die Tür auf und Kayden steht neben Carly, beide mit besorgtem Gesichtsausdruck. Allein der Anblick von beiden reicht aus und ich breche vor ihnen zusammen, die Tränen strömen nur so über mein Gesicht.

„Oh Aaron", sagt Carly und wirft ihre schlanken Arme um meinen Hals. Sie drückt mich feste an sich und ihre Hand streicht beruhigend über mein Haar. Ich zittere und spüre, wie Ally mir zart über den Rücken streicht. Vorsichtig löst sich Carly von mir.

„Komm her! Setzt euch erst mal hin und dann erzähl, was passiert ist." Ich nicke nur und lasse mich von ihr auf die Couch ziehen, in dessen weiche Kissen ich mich fallen lassen. Ally will sich gerade in den Sessel neben der Couch setzen, aber ich ergreife ihre Hand und ziehe sie auf den Platz neben mich. Alle Blicke richten sich überrascht auf mich, aber es ist mir egal. Ally beruhigt mich. Sie weiß, was vorgefallen ist und ich brauche sie jetzt bei mir. Was auch immer das zu bedeuten habe. Darüber mache ich mir später Gedanken.

Ich fange an zu erzählen, wie die Polizisten bei mir klopften und mir die Nachricht vom Tod meiner Eltern berichteten und wie ich auf Ally traf. Als ich fertig bin, sitzt Carly neben mir und weint und auch Kaydens Augen sind feucht. Meine Eltern standen den beiden sehr nahe und ich sehe, wie die Neuigkeiten sie trifft. Carly schluchzt laut, ehe sie sich die Augen mit einem Taschentuch trocknet und Kayden seine Arme um sie legt.

„Es tut mir so Leid, Aaron. Was immer wir für dich tun können, sag es nur und betrachte es als erledigt. Wir sind für dich da," sagte Kayden und ich nicke ihn dankbar an.

„Ich wollte es euch nur wissen lassen. Ich bin ehrlich gesagt einfach nur komplett kaputt. Ich kann es kaum erwarten, diesen Tag hinter mir zu lassen."

„Das verstehen wir. Bitte melde dich, wenn wir dir irgendwie helfen können." Carly sieht mich mit geröteten Augen an und versucht sich an einem Lächeln, was ihr kaum gelingt. Ich drücke sie noch einmal an mich, gebe ihr einen Kuss auf die Schläfe und nehme Ally an die Hand, ehe ich mit ihr die Wohnung verlasse.

Wir fahren beide zu meiner Wohnung und parken vor dem alten Gebäude, das trotzdem noch jede Menge Charme besitzt. Ally parkt direkt hinter mir und gemeinsam gehen wir die Treppen rauf und betreten meine Wohnung. Ally war noch nie hier und sie beginnt sofort von rechts nach links zu sehen.

„Fühl dich bitte wie zu Hause. Ich muss meine Schwester anrufen und ihr die Nachrichten überbringen." Bei dem Gedanken dreht sich mir der Magen um, aber es muss gemacht werden. Ally nickt und drückt mit ihrer zarten Hand meinen Oberarm.

„Ruf mich, wenn du mich brauchst."

AaronWo Geschichten leben. Entdecke jetzt