Blau

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"Ich bin so froh, dass du lebst." Manuels Tränen rannen nun seine Wange herab. Der Arzt hatte uns alleine gelassen, nachdem er nochmal meine Werte gemessen hatte. Auch Schmerzmittel hatte er an meinen Tropf gehangen. Sicher ist sicher, meinte er. "Was ist genau passiert?", fragte ich.
Manuel wischte sich seine Wangen trocken. Sofort platzierte er seine Hand wieder auf meiner Stirn. Er wollte mir sicherlich Geborgenheit geben. Und es funktionierte. Wenn er seine Hand wegnahm, wollte ich sie wieder dort liegen haben. "Dein Körper wurde so durch die Luft gewirbelt. Du bist einfach regungslos liegen geblieben. Ich dachte, das war's mit dir. Ich bin zu dir, hab dich gepackt und habe dich bis zum ersten Graben gezogen. Dabei habe ich selbst einen Schuss in die Schulter bekommen. Im ersten Graben hat dann Robert geholfen, dich weiter weg zu tragen. Ich konnte nicht mehr." Er brach ab und ließ seinen Kopf hängen, damit ich seine Tränen nicht mehr sah. "Wieso humpelst du?" Er atmete tief durch. "Als die erste Bombe kam, ist ein Holzteil auf uns gelandet. Eine Schraube hat sich in meinen Muskel geborrt." Ich schluckte. Das alles Klang so furchtbar. "Wie geht's dir damit?" Jetzt hob er seinen Kopf wieder an und lachte kurz auf. "Das du dir darüber so einen Kopf machst. Mir geht's gut Schatz. Ich bin so unfassbar froh, dass du wohlauf bist." Er erhobt sich vom Stuhl und küsste meine Stirn. "Küss mich", hauchte ich dann. Manuel hielt inne. Sah verzweifelt in mein Gesicht. "Was ist?" Ich bekam Angst. War mein Gesicht entstellt? Es schien, als würde er nach Worten suchen. "Was ist mit meinem Gesicht?", fragte ich also erneut. Das erste Mal, seit ich wach war, klang meine Stimme fest. "Deine Wange und dein Mund haben etwas abbekommen. Du musstest genäht werden und dein Mundwinkel ist noch nicht ganz verheilt. Ich will keine Keime in die Wunden bringen." Er setzte sich wieder auf seinen Stuhl. "Ich würde dich so gerne Küssen, Schatz. So gerne." Sein Kinn zitterte. Er zwang sich wiedermal, nicht zu weinen. "Schatz", murmelte ich nur und schloss die Augen. Der leichte Schmerz beim lächeln, ignorierte ich.

(...)

Am nächsten Tag kam Manuel erst später. Er brachte mir einen Pfannkuchen mit.
Als er es klein schnitt, um mir die Stücke in den Mund zu stecken, kam mir eine Frage in den Kopf. "Wie lange bist du vom Training freigestellt?" Manuel hob den Kopf, sah mich kurz an und schaute dann zurück zum Teller. "Für eine lange Zeit. So wie du." Er piekste mit der Gabel ein Stück auf und steckte mir es in den Mund. "Wegen deinem Bein?", schmatzte ich. Der Pfannkuchen schmeckte so gut. Es war wohl der Beste, den ich je gegessen hatte. "Nein." Er wartete, bis ich runtergeschluckt hatte, um mir das nächste Stück in den Mund zu stecken.

Er sah so besorgt aus, während er das tat. "Was ist los?" Manuel senkte die Gabel. "Wir sind in Blau." Ich stockte. Mir fiel der Mund auf. Wie war das möglich? Manuel seufzte.
Er beantwortete meine Frage, ohne das ich sie ausgesprochen hatte. "Deine Verletzungen waren zu stark und kompliziert, weswegen du nach Blau gebracht wurdest. Ich durfte mit dir mit. Damit habe ich jedoch dafür gesorgt, dass Rot mich nicht mehr duldet." Jetzt drückte er mir die Gabel in den Mund. "Und du, du wirst wohl nie wieder zu Rot gehen können. Wir sind Unbestimmte, nach der Zeit hier."

Beyond/KürbistumorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt