Lieber tot als ich

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Während der Visite hatte ich den Namen des Jungen erfahren. Ich hatte gelauscht. Er selbst hatte einen gebrochenen Arm und eine Prellung am Kopf. Wie es aussah, durfte er wieder nach Hause.

Als der Arzt sich zu mir stellte und meine Akte las, lächelte er auf. "Bei dir können wir bald den Gips abnehmen und Schienen. Vielleicht noch eine Woche, bis es soweit ist." Er klappte die Akte zu. "Wie geht es dir, Patrick?" Ich zuckte mit den schultern. Die Schmerzen waren akzeptabel. "Ganz gut." Dann kam mir die Idee, bescheid zu geben, ob Klara zu mir kommen könnte. Irgendwer, der mir helfen konnte diese Bilder und Geräusche los zu werden. "Hast du Schmerzen in den Gliedmaßen?" "Nein, eigentlich nicht mehr so wirklich." Er nickte. Die Krankenschwester neben ihm, schrieb sich was auf. "Dann können wir mal schauen, ob wir ihr Schmerzmittel weiterhin reduzieren, ja?" Er lächelte und ich nickte, ebenso lächelnd. "Gut. Margaret, machst du das?" Er redete mit der Schwester, die gleich darauf zu meinem Tropf ging. "Ehm, Ich habe da noch eine Frage. Nein Zwei." Mir steckte ein Kloß im Hals fest. "Die wären?" Der Doktor strahlte. Er machte mir Angst. "Könnte die Psychologin noch mal zu mir kommen? Klara war ihr Name." Das Lächeln des Arztes wurde weniger. "Sicher. Ich werde es durchgeben und einen Zeitraum festlegen." Ich war erleichtert über diese Antwort. "Und die zweite Frage?" Er schrieb sich was auf einen kleinen Zettel. "Werde ich je wieder richtig laufen können?" Der Kloß in meinem Hals wurde größer und raubte mir fast die Luft und die Möglichkeit zu schlucken.
Der Arzt formte seine Lippen zu einem Strich. "Du hast dir deine Beine wirklich sehr verletzt Patrick. Es dauert seine Zeit, bis du es wieder kannst. Schließlich haben sich deine Muskeln zurück gebildet und deine Sehnen und Knochen müssen auch erstmal wieder funktionieren. Du musst eine Reha machen. Erlernen musst du das Laufen."

(...)

Ich hatte meinen Kopf zur Seite gedreht. Ich wollte Manuel nicht in die Augen sehen. Er hatte häufig nachgefragt, wieso ich so war. Was denn los sei und ob er etwas falsch gemacht hätte. Ich verneite alles. Doch er verstand nicht. Und wenn ich ihm das sage, würde er es auch nicht verstehen. Ich wollte diesen Kampf zurück in mein normales Leben nur schnell schaffen. Ich wollte so sein wie alle anderen. Laufen, springen und tanzen. Ohne schmerzen, ohne dabei auszusehen wie der letzte Spast. Meine Augen wurden Nass und vereinzelte Tränen liefen mir heraus. Aus Reflex musste ich schluchzen. 

Gleich darauf hörte ich Manuel, der sich aufgerichtet hatte. Seine Hand legte er auf meine Brust. "Warum weinst du?" Er beugte sich über mich, um mir ins Gesicht sehen zu können. Es war mir peinlich. Er sah mich tagtäglich so. Schwach und hässlich. "Ich wäre lieber tot als ich", brach es dann wimmernd, fast schreiend aus mir heraus. Manuel hob erschrocken seine Hand von meiner Brust. Fassungslos sah er mich an. Und ich starrte ihn mit zugepresstem Mund an. Mein Atem ging schnell. Fast unkontrolliert. Ich hatte ihm meinen schlimmsten Gedanken mitgeteilt. Und es verletzte ihn.

Und dann passierte etwas, was ich nicht gedacht hätte. Manuel legte sich auf meiner Brust ab und weinte. Er weinte so laut und verletzt. Er ließ seinen Frust, schmerz und den Druck, der in ihm herrschte, raus. Alles was ihm zur Last fiel, ließ er raus. Ich legte vorsichtig meinen bandagierten Arm um ihn. Erst nach einer Zeit wurde sein weinen schwächer. Und als es verstummte, hob er seinen Kopf an und sah mich mit blutroten Augen an. Er richtete sich weiter auf und legte seine Hände an meine Wangen. "Sag sowas nicht." Er strich mir die Tränen von den Wangen. "Patrick ich brauche dich. Ich könnte nicht ohne dich. Es wäre das schlimmste für mich, wenn du nicht mehr hier wärst." Wieder flossen ihm Tränen aus den Augen. "Patrick, ich will doch nur mit dir zusammen sein. Da ist es mir doch egal, wie du aussiehst oder bist. Ich bin für dich da, in jeglicher hinsicht. Du schaffst das, wir schaffen das. Ich helfe dir. Egal ob beim essen, laufen lernen oder schlafen oder auf Klo gehen. Mir ist es doch egal, wenn du auf Hilfe angewiesen bist. Dafür bin ich doch da. Ich bin für dich da, Schatz." Er küsste mich. Ein verzweifelter Kuss. Einer der mir noch mehr zeigte, wie frustriert er war. "Patrick ich liebe dich. Egal was noch auf uns zukommt. Ich bin da." Fast schon hektisch strich er mir die Tränen von den Wangen. Noch ein Kuss folgte. Und während unsere Lippen aufeinander lagen, wurde mir klar, dass ich den Kampf weiter kämpfen wollte. Ich wollte ihn gewinnen.

Beyond/KürbistumorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt