Die Front

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Manuel und ich lagen zusammen auf eine Pritsche gequetscht. Wir wollten die letzte Nacht zusammen verbringen. Uns war es egal, dass die anderen aus unserer Gruppe es sahen. Ein Gemeinschaftszelt. Doch die meisten schliefen. Es war dunkel. Manuel streichelte seit Minuten meinen Arm auf und ab und starrte in die Luft. "Weißt du, was ich gerne machen würde?", flüsterte er. "Nein, was?" Ich küsste sein Schlüsselbein. "Weglaufen." Er sagte es so leise. Vermutlich hatte er Angst, dass ein anderer es mitbekommen könnte. "Du willst deine Pflicht aufgeben und Unbestimmt werden?" Ich war verwirrt über seine Gedanken. Er war sonst so Pflichtbewusst. "Ich will nicht sterben. Das ist das Ding." Ich merkte, wie er seinen Kopf drehte und gegen mich Atmete. Er sah mich an. Jedoch war es zu dunkel, um etwas zu erkennen. "Ich auch nicht." Mir war es dennoch nie in den Sinn gekommen, die anderen im Stich zu lassen. Wie verlockend es auch Klang, es ginge nicht. "Wir sollten schlafen. Wer weiß wie spät es ist", murmelte Manuel dann. "Gute Nacht", wünschte ich und küsste ihn nochmal. Vielleicht war es dieses Mal wirklich das letzte Mal.

(...)

Wir stiegen wieder in die Busse. Mein Herz schlug mir in die Ohren hinein. Mein Gewehr hatte ich mir, so wie die anderen, zwischen die Beine geklemmt. Beladen war ich mit Munition und einem Messer. Auf meinem Kopf trug ich einen Helm. Ich fühlte mich unwohl. Meine Unterlippe war schon ganz wundgekaut.

Die Straße war holprig. Der Bus wankte hin und her und in der Ferne hörte man Schüsse. Meine Beine fühlten sich an wie Pudding. Dafür war ich nicht bereit. Wieso waren Manuel und ich nicht einfach abgehauen? Ich schloss meine Augen und lehnte meinen Kopf an. Es waren vielleicht unsere letzten Minuten.

Der Lärm wurde immer lauter und meine Hände immer schwitziger. Als der Bus hielt, ging alles ganz schnell. Wie Soldaten, die es schon ihr Leben lang getan hatten, machte einer den Bus auf und wir stürmten raus. Ich hängte mich an Manuel. Ich wollte mich nicht zu weit von ihm entfernen.
Wir liefen den erdigen Boden entlang, leicht geduckt, bis zum nächsten Schützengraben. Es war der Erste. Der Harmloseste. Weiter vorne war das Risiko höher getroffen zu werden.

"Ich will hier weg", rief ich zu Manuel rüber, der sich neben mich auf den Boden gekniet hatte. "Das geht jetzt nicht." Er sah mich mit leuchtenden Augen an. "Das hier ist Ernst, Patrick." Er legte Munition in seine Waffe ein. Ich machte es ihm nach.
Der Rothaarige aus unserer Gruppe, krabbelte gerade neben uns den Graben hoch. "Wir können vorrücken", schrie er zwischen den lauten Knall einer Granate. Ich holte tief Luft, ehe ich ihm folgte. Doch Manuel griff mich am Hosenbund und zog mich ruckartig zu sich. Ich fiel fast um. Er hielt mich jedoch fest und presste seine Lippen auf meine. Ein unwirklicher Moment. Über uns fielen Schüsse. Neben uns. Weiter weg starben vielleicht gerade Menschen. Leute von uns oder Leute aus dem anderen Land. Auch nur Arme aus der Bevölkerung, die ihr Leben ließen, nur weil Politiker sich nicht einig wurden.

Manuel beendete den Kuss genauso schnell, wie er gekommen war. "Pass auf dich auf." Es folgte ein weiterer kurzer. "Bitte sterbe nicht." "Kommt." Es war der Rothaarige, der uns rief. Manuel ging an mir vorbei, ohne ein weiteres Wort. Verblüfft lief ich ihm hinterher. Raus aus dem Graben, rein in die Schussbahn. In der Hoffnung zum nächsten Graben vorzurücken.

Beyond/KürbistumorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt