Schüsse, schreie, explosionen

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Ich starrte auf die Uhr. Der Zeiger zuckte immer weiter. Drehte sich einmal rum. Zwei mal. Zwei Stunden war er weg. Er sagte eine. Ich kaute mir auf der Unterlippe herum. Ob etwas passiert war? "Tick tack tick tack." Mir war langweilig. Jedes Geräusch, welches aus dem Flur hier rein gelang, lauschte ich. Einmal hörte ich eine Frau weinen. Ich vermutete, das ihr Mann, Kind oder Elternteil den Kampf gegen eine Krankheit oder einer Verletzung verloren hatte. Ich bekam Gänsehaut. Manuel hätte sicher auch so bitterlich geweint wie die Frau auf dem Flur, wenn ich gestorben wäre.

(...)

Ich hörte Schüsse. Schreie. Explosion. Erde, die niederrieselte. Ich sah Rauch. Ich musste husten. Noch mehr Schreie. Noch ein lauter Knall. Dann schmerzen. Überall schmerzen. Welche, die ich noch nie gespürt hatte. Es roch fürchterlich. Mir wurde schlecht. Gleichzeitig schwindelig. Ich wusste nicht ob der Geruch schuld war oder die Schmerzen. Dann spürte ich einen Schlag. Nicht nur am Kopf. Auf dem gesamten Körper. Ich sah an mir herunter. Meine Gliedmaßen waren verdreht. Mein Bein offen. Aus ihm floss Blut. Man sah die Muskeln, die Knochen. Der Knochen der durchgebrochen war. Verschmutztes offenes Fleisch. Mein Fleisch, welches da offen lag. Ich musste mich übergeben. Aber aus meinem Mund kam kein erbrochenes, sondern helles Blut. Reines Blut floss mir aus dem Mund. Es hörte gar nicht mehr auf.

Während ich dort lag, blut erbrach und sich vor schmerzen alles drehte, spürte ich plötzlich Hände an meinem Kopf. Eine Illusion. "Patrick!"  Eine weinerliche Stimme drang in meine Ohren. Ich konnte sie nicht deuten. Ich hustete. Das Blut schleuderte mir aus dem Rachen. "Oh Gott." Wieder diese weinerliche Stimme. "Patrick!" Nun war sie klarer. Ich versuchte meine schwammige Sicht zu kontrollieren. Leicht hob ich meinen dröhnenden schweren Kopf an und blickte in ein Augenpaar, welches mir so vertraut war. "Patrick. Ich bring dich hier weg."

Keuchend schlug ich meine Augen auf. Ich spürte den Schweiß auf meiner Stirn. Mein nasses Haar drauf kleben. Mein Körper zitterte vor Anspannung und mein Magen brannte. Er drehte sich förmlich. Doch als ich mich umsah, sah ich wo ich war. Ich erkannte die weißen Wände. Den leeren Stuhl. Die Geräte. Die Uhr. Ich war im Krankenhaus. In Sicherheit. Mir stiegen Tränen in die Augen. War es das, was ich erlebt hatte? Klägliche schluchzer kamen aus meinem Hals. Die Tränen liefen mir aus den Augen, in meine Ohren und an sie vorbei. Ich verzog mein Gesicht und fing fürchterlich an zu weinen. In meinem Kopf dröhnten weiterhin die Geräusche. Die Schüsse und Schreie. Die Explosionen. Das alles war furchtbar.

Das Gerät, an welches ich noch immer angeschlossen war, fing schnell an zu piepen. Mein Puls, welcher in die Höhe schnellte. Gleich darauf wurde die Tür geöffnet und eine Krankenschwester stürmte zu mir. Sie drehte an meiner Infusion. Schmerzmittel? Dachte sie ich hätte schmerzen? "Tut es weh?" Sie dachte ich hatte schmerzen. Schnell schüttelte ich meinen Kopf. Ich presste meine Augen zusammen. "Die Geräusche."
"Er sagt, er höre Geräusche." "Was für Geräusche, Patrick?" Es war der Arzt, der mit mir sprach. "Schüsse." Mehr brachte ich nicht heraus. Es folgten weiteres wimmern und schluchzen. "Geben sie ihm das Beruhigungsmittel." Ich spürte eine kalte Hand auf meiner Stirn. "Sie sind in Sicherheit. Ihnen passiert nichts mehr." Der Arzt sprach auf mich ein. Ich schluckte krampfhaft mein weinen runter. "Es ist alles gut. Sie sind in Sicherheit." Ich kontrollierte mein Atem. Das Beruhigungsmittel, welches in meinen Blutkreislauf floss, half. Ich öffnete wieder meine Augen und blickte in die meines Arztes. "Sehen sie. Sie sind in Sicherheit." Ein bestätigendes, aufmunterndes Lächeln huschte über seine Lippen. Ich holte tief Luft und nickte.
Es war das erste Mal, dass ich so ein flashback hatte. So eine furchtbare Erinnerung. Vielleicht war es doch nicht so doof, wenn ich zu Klara ja sagen würde. Vielleicht brauchte ich es doch.

Beyond/KürbistumorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt