Meine Familie

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Jetzt sitze ich im Flugzeug, auf dem Weg zu zwei Fremden, bin traurig und wundere mich darüber, dass ich nie etwas geahnt hab. Ich hätte es eigentlich merken müssen. Oder zumindest das etwas faul ist. Ich sehe nämlich niemandem aus meiner Familie ähnlich. Ganz im Gegensatz zu meinen Geschwistern!

Bruno, Nila und Emil. Bruno hat die blonden Haare von seinem Vater und sein Gesicht. Nila die schwarzbraunen Haare ihrer Mutter und eine Mischung aus den Gesichtern ihrer Eltern. Bei Emil kann man noch nicht viel sagen, er ist erst 1, aber er hat die gleichen Haare wie Nila und die gleiche Augen wie seine beiden älteren Geschwister.

Und ich. Ich habe dunkelbraune, gelockte Haare und braun-grüne Augen und sehe überhaupt nicht so aus wie meine Eltern. Sie haben mir immer gesagt ich würde nach Mikas Vater kommen, aber da er vor meiner Geburt gestorben ist, kann ich dazu wenig sagen.

Am härtesten war es für mich die drei kleinen zurückzulassen. Sie sind alle noch zu klein, um zu verstehen warum ihre große Schwester weg muss.

Bruno weiß vielleicht worum es geht. Er ist zwar erst 5, aber dafür ziemlich aufmerksam.

Heute morgen, als ich in sein Zimmer kam saß er weinend auf seinem Bett und sah mich mit großen Augen an: "Ich will nicht dass du weggehst, Nami!" Er nannte mich schon immer so. Als er klein war hatte er Schwierigkeiten meinen Namen richtig auszusprechen und hat mich einfach kurzerhand in Nami umbenannt.

Ich nahm in auf den Schoß und drückte ihn ganz doll an mich.

"Ich werde euch so oft es geht besuchen.", versprach ich. Ich hätte gerne gesagt, dass ich bald wiederkommen würde, aber das wäre gelogen. Ich werde wahrscheinlich nie wieder kommen.

" Du darfst trotzdem nicht weggehen.", schluchzte er verzweifelt auf.

Er hing sehr an mir. Seit seine Geschwister zur Welt gekommen sind, erst Nila, dann Emil, habe ich mich viel um ihn gekümmert, da Marita und Mika alle Hände voll zu tun hatten mit den beiden. Ab jetzt werden sie es wohl irgendwie alleine schaffen müssen.

Seufzend drückte ich ihn fester an mich und wünschte mir ich würde nicht gehen müssen und alles wäre noch genauso wie vor drei Tagen.

Bei dem Gedanken daran lehne ich unwillkürlich meinen Kopf an die Fensterscheibe. Es ist schon dunkel draußen und die meisten der Fluggäste schlafen bereits. Das kalte Glas tut gut und ich schließe für einen Moment die Augen. Ich versuche alles was in den letzten beiden Tagen passiert ist zu vergessen. Natürlich klappt das nicht und ich öffne meine Augen wieder.

Vor drei Tagen war alles gut. Ich lebte in einer stinknormalen Familie hatte drei kleine süße Geschwister und ich war rundum glücklich. Und dann hatte ich Geburtstag und habe erfahren dass ich gar keine Familie habe. Dass ich adoptiert wurde und in zwei Tagen zu meinen leiblichen Eltern nach L.A. fliegen und bei ihnen bleiben würde. Meine Eltern müssen sich echt bemüht haben mich loszuwerden. Ich mein, wer macht sich schon die Mühe und gibt sein Kind zu Leuten auf der anderen Seite des Atlantiks? Genau. Niemand der sein Kind in nächster Zeit sehen möchte.

Ich wäre viel lieber in Deutschland, bei den drei Kleinen geblieben. Sie wollten nie das ich weggehe. Und auch ihre Eltern nicht. Bei ihnen kam ich mir nie unerwünscht vor und hatte immer das Gefühl, dass sie mich lieb haben, sich um mich sorgen und das ich gebraucht wurde. Und jetzt sitze ich hier, auf dem Weg zu den Menschen die mich nicht haben wollten.

Beim Abschied am Flughafen hat Bruno kein Wort gesagt, obwohl er sonst die ganze Zeit redet. Nila hat sich an mir festgeklammert und wollte mitkommen. Und Emil, der hat wie am Spieß geschrien. Scheinbar hat auch er mitbekommen, dass ich weggehe und er mich erstmal nicht mehr sehen wird.

Zum Abschied habe ich alle fünf umarmt, habe mich umgedreht und bin gegangen. Als sie mich nicht mehr sehen konnten, habe ich mich zu ihnen gedreht und sie angeschaut. Sie standen immernoch da und weinten alle. Zumindest ihnen liegt etwas an mir und sie wollen mich nicht loswerden, wollen sogar dass ich bleibe.

Eine Weile sitze ich noch da und schaue hinaus, bevor ich schließlich in einen erschöpften Schlaf falle.

A World fell togetherWo Geschichten leben. Entdecke jetzt