Springen

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Wir lehnten an der Steinwand, dicht an dicht, und überlegten, was wir tun sollten. Springen. Das war eine Möglichkeit. Die zweite war Abwarten, bis wir gefunden werden. Beide Möglichkeiten konnten schief gehen und unseren Tod bedeuten. Manuel lehnte seinen Kopf gegen meine Schulter. Sein Haar roch staubig. "Wir werden sterben", murmelte er traurig. Ich sagte nichts. Auch ich dachte nur daran, dass unser Leben hier ein Ende fand. 

"Du Manu?" Ich legte meinen Kopf gegen seinen. "Hm?" Er bewegte sich nicht. "Wir ziehen um." Ich hatte es nie zuvor erzählt. Manuel war der Erste, der es erfuhr. Und er reagierte erschrocken. Er zog seinen Kopf weg und starrte mich an. "Wie?" Ich erklärte ihm die Situation. Seine Augenbrauen schoben sich immer mehr zusammen. "Du kannst nicht wegziehen. Was sollen wir ohne dich machen?" Ich gluckste auf. "Falls ich den Umzug noch erlebe." Ich zog meine Knie an meinen Körper, legte meine Stirn ab und rang mit den Tränen. Manuel blieb still. Es vergingen Minuten, bis er wieder was sagte. "Die Taschenlampe flackert. Wir sollten jetzt was tun." 

Ich hob meinen Kopf und sah ihn an. Auch seine Augen waren leicht rot. "Wir sollten Springen." Ich riss meine auf. "Da unten kann auch nur paar Zentimeter Wasser stehen." Manuel nickte. "Sterben in paar Wochen, so wie der Horst oder sterben jetzt und vielleicht überleben." Manuel stand auf und reichte mir leicht lächelnd die Hand. Zögerlich griff ich sie. Zusammen gingen wir zu dem Loch, das nach unten führte. Ängstlich sahen wir in die Tiefe herab. "Patrick?" Manuel griff nach meiner Hand. Ich sah nach rechts, zu ihm. "Falls wir sterben, ich." Er stoppte. "Was?", fragte ich. "Springen wir auf drei?" Seine Stimme zitterte. "Ich habe Angst", wimmerte ich leicht. Manuel drückte meine Hand. "Ich auch. Aber, es, es wird schon gut gehen." Er atmete tief durch. Ich presste meine Lippen aufeinander. "Okay. Eins." Langsam zählte er runter. "Zwei." Ich traute mich nicht. "Drei." Wir sprangen.

Während wir in die Tiefe fielen, ließen wir unsere Hände nicht los. Es war eine Landung von nur einer Sekunde. Dann traten unsere Körper in kaltes Wasser ein. Erst dann ließ Manuel meine Hand los. Panisch strampelte ich mich an die Wasseroberfläche und tauchte keuchend auf. Schwer atmend hielt ich mich oben. Manuel tauchte direkt vor mir auf. Sein klatschnasses Haar klebte an seinem Kopf. Wir sahen uns an und fingen dann an laut zu lachen. Wir hatten es geschafft. Stolz vor Freude, umarmte ich Manuel im kalten Wasser. Wir lachten und Tränen der Freude rannen mir aus den Augen. 

Die Euphorie war so groß und überwältigend, dass Manuel und ich etwas taten. Wir vergaßen uns. Er legte seine Hände an meine Wangen. Seinen Fuß spürte ich gegen meinen treten, leicht, weil wir paddelten. Es war ein stürmischer Kuss. Er war, nass und irgendwie überwältigend. Manuels schmale Lippen waren warm, im Gegensatz zu dem Wasser. Er war kurz und dennoch Intensiv. Wir lösten unsere Lippen voneinander und sahen uns tief in die Augen. Euphorie. Ich drehte meinen Kopf nach rechts. "Da." Licht kam durch einen Spalt. Es war ein Bach, wie es aussah. Wir schwammen voran, durch eine Wölbung des Baches, hinaus in die Freiheit.

Sommer 1983 / Kürbistumor&ZomdadoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt