Abschied nehmen

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Der Laster mit den Möbeln fuhr ab. Mein Vater verstaute einen Karton im Kofferraum unseres Autos. Vor uns lag eine weite Fahrt. Meine Mutter stand noch in der Küche und schmierte uns Brötchen für die Fahrt. 

Ich hingegen saß mit meinen Freunden auf dem Bordstein und schwieg. Manuel saß so dicht an mir. Das letzte Mal uns so dicht spüren. Wir hatten viel Zeit miteinander verbracht. Uns geküsst und gekuschelt. Ich hatte mir versucht einzuprägen wie sich seine Haut anfühlt. Seine Haare und seine Lippen. Wie sie schmecken, wie er riecht. Das würde ich für eine sehr lange Zeit nicht haben. Vielleicht für immer. Uns blieb nur Briefkontakt und das Telefon. Ich schluckte und legte meinen Kopf auf seine Schulter. Ich spürte wie sich sein Arm um mich legte. "Ich will nicht fort von euch", murmelte ich und hob meinen Kopf wieder an. Ich sah Michael an, der mich mit traurigen Augen ansah. "Wir schreiben dir jede Woche", sagte Maurice und sah mich leicht lächelnd an. "Und ich rufe dich jeden Abend an um dir zu erzählen, was in der Schule so abgeht. Und in den nächsten Ferien fahren wir dich besuchen." Manuel rieb meine Schulter. Ich schmunzelte. "Unsere Freundschaft wird nicht kaputt gehen." Michael wuschelte mir durch die Haare. Ich zuckte von ihm weg und lachte auf. Dann folgte ein seufzen. "Ich werde euch alle trotzdem vermissen." 

"Patrick?" Mein Vater rief mich. Ich drehte mich im sitzen um und sah, dass meine Mutter auch schon da war. Sie wollten los. "Wir wollen." Meine Mutter lächelte mich an. Doch ihr Blick war besorgt und mitleidend. "Das wars dann wohl." Ich hievte mich hoch und half gleich darauf Manuel auf die Beine. Michael half Maurice. "Wir sehen uns wieder." Michael nahm mich in den Arm. Ich presste meinen Kopf gegen seine Schulter und kniff die Augen zu. Letzte Umarmung von meinem besten Freund. Er klopfte mir leicht auf den Rücken und dann lösten wir uns. "Wir sehen uns", entgegnete ich leicht lächelnd. Ich lächelte, auch wenn mir eigentlich zum weinen zu mute war. "Ich will auch." Maurice drängte Michael zur Seite und umschlang mich mit seinen Armen. "Und wenn wir uns wiedersehen, dann bist du vielleicht auch schon so groß wie ich." Er drückte mich. "Bestimmt Maurice", lachte ich. Letzte Umarmung von meinem besten Freund. Auch wir lösten uns voneinander. Nun drehte ich mich zu Manuel. Er stand völlig unbeholfen und verzweifelt da. Mein Herz bekam einen Stich als ich sah, dass in seinen Augen tränen lagen.

"Manu." Schnell riss ich ihn in meine Arme und hielt ihn fest. Ich hörte wie er leise schluchzte. Noch nie hatte ich so einen Schmerz gespürt, wie in diesem Moment. Ich konnte meine eigenen Tränen auch nicht mehr zurück halten. Meine Umgebung blendete ich komplett aus. Ich blendete Maurice und Michael aus, die direkt neben uns standen. Ich blendete meine Eltern aus, die auf mich warteten und uns vermutlich anstarrten. Ungeduldig, mit dem Fuß auf den Boden tippelnd. Es war mir egal. "Ich liebe dich, Manu", flüsterte ich schniefend. "Mist, ich dich auch", kam es von Manuel zurück. Seine Hände pressten sich gegen meinen Rücken. "Du wirst mir fehlen." Er beendete die Umarmung, hielt aber meine Hände in seinen. "Ich rufe dich oft an, okay?" Ich schob die Augenbrauen zusammen. Seine Augen waren rot und glasig. Seine Wangen nass. So hatte ich ihn noch nie gesehen. Es zerriss mich. Und dann beugte ich mich vor und drückte meine Lippen auf seine. Stille um uns herum. Nur wir zwei. Ein letztes Mal. 

Er wirkte erschrocken, dass ich ihn vor meinen Eltern küsste. Vor Michael und Maurice. Aber mir war es egal. Ich wollte ein letztes Mal seine wärme auf meinen Lippen spüren, bevor ich das vermutlich nie wieder konnte.

Der Kuss verging schnell. Für mich war es der Abschied. Ein schmerzhafter. Nun hörte ich den Motor von unserem Auto. "Ich muss." Ich blickte nochmal meine beiden besten Freunde an. Dann nochmal Manuel. Diese grünen Augen werde ich nie wieder sehen. Nie wieder finden. Ich sah zu Boden und ging zum Auto. Meine Eltern saßen schon drin. Der Motor lief. Ich öffnete die Tür und sah zu meinen drei besten Freunden, meinem Freund zurück. Dann stieg ich ein. Ich schnallte mich an und blickte aus der Heckscheibe hinaus. Sie standen dort und winkten mir. Papa fuhr los. Sie winkten weiter. Sie wurden immer kleiner. Bis wir um die Kurve fuhren und ich sie nicht mehr sah. Das war das letzte Bild meiner Freunde. Die letzte Erinnerung. Der letzte Sommer.

Sommer 1983

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Und wieder ist eine Geschichte vorbei. Ich hoffe euch hat die Idee und die Umsetzung gefallen. Ich danke euch für die lieben Kommentare, die ihr hinterlassen habt. Es hat wieder sehr viel Spaß gemacht zu schreiben. :3

Lg Mula

Und wenn ihr mehr lesen wollt, könnt ihr gerne bei meinen anderen Geschichten vorbei schauen. 

Sommer 1983 / Kürbistumor&ZomdadoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt