Frau Freidung

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Wir saßen auf der Wiese, nahe des Sees. Ich hatte meinen vier Freunden alles erzählt, was meine Mutter mir über Horst berichtet hatte. "Lass doch zu seiner Mutter fahren und nachfragen, ob sie was von ihrem Sohn gehört hat. Irgendwo muss der ja stecken." Manuel war Feuer und Flamme. "Das ist doch eher ein Fall für die Polizei." Maurice rupfte Gras aus der Erde. "Die hat den Fall doch schon abgeschlossen." Michael bewarf Maurice mit etwas Rasen, der leicht zusammenzuckte, als paar Halme ihm im Gesicht trafen. "Stellt euch vor, vier Fünfzehnjährige decken einen ungeklärten Mordfall auf, der ein Jahrzehnt Rätsel aufwarf." Manuel schaute verträumt in die Luft. Ich glaubte nicht daran, dass wir diesen Fall aufklären. Wenn die Polizei das schon nicht schaffte, wie sollten wir es schaffen? Vier Kinder, die keinerlei Erfahrungen in der Kriminalpolizei hatten. "Ich kenne eine Frau Freidung. Die lebt in einem alten Haus. Abgeschottet von den anderen. Man sieht sie nur, wenn sie Einkaufen geht. Und dann sieht sie aus, als wäre sie hundert Jahre alt. Und traurig", erzählte Michael in die Runde.

"Ich gehe sie sicherlich nicht besuchen." Maurice schüttelte den Kopf. "Dann gehen Patrick und ich. Ihr beiden bleibt hier." Manuel stand auf. "Kommst du?" Erwartungsvoll sah er auf mich runter. "An einem Sonntag?", fragte ich nur. Sonntags störte man niemanden. "Mehr als verjagen kann die Alte uns nicht." Manuel streckte mir die Hand zu, die ich annahm und mich auf die Beine ziehen ließ. "Seid ihr euch sicher?" Maurice blick war besorgt. "Wenn wir in zwei Stunden nicht wieder da sind, hat die alte Frau Freidung uns ermordet. So wie ihr Sohn den Schulleiter." Manuel grinste, drehte sich um und ging. "Bis später", sagte ich noch schnell zu meinen beiden Freunden, ehe ich Manuel folgte.

Auf dem Klingelschild stand in verblichener Schrift "Freidung". Manuel hob seine Hand und drückte mit dem Finger auf den Knopf. Von innen hörte man das Surren der Klingel. Kurz sahen wir uns an, als wir Schritte aus dem Inneren des Hauses wahrnahmen. Dann wurde die Haustür geöffnet und eine alte, faltige Frau blickte uns an. "Ja bitte?" Ihr Stimme war Rau, ihre Augen Hellgrau. "Entschuldigen Sie die Störung, Frau Freidung. Ich bin Manuel und das ist Patrick. Wir haben ein wichtiges Anliegen in Bezug auf ihren Sohn Horst." Stille. Das graue Augenpaar musterte uns. "Was wollt ihr von Horst?", fragte sie dann argwöhnisch. "Wir haben seinen Namen gelesen auf einer alten Zeitschrift, die wir gefunden haben. Von 1969. Wir wollten ihm sie zurückgeben." Manuel zog sich die gefaltete Zeitschrift aus der Hosentasche und gab sie der alten Frau. Sie klappte das Heft auf und sah auf den Namen, der dort hineingeschrieben wurde. "Wo habt ihr das her? Mein Sohn ist seit 1962 verschwunden." Ihre Augen wurden groß. "Aus der Waldhütte." Ich trat Manuel auf den Fuß, als er das verriet. Das sie wusste, dass wir dort waren, war nicht gut. 

"Aus der Waldhütte", murmelte Frau Freidung. Dann hielt sie die Tür weiter auf. "Kommt rein." Ein kurzer unsicherer Blick zwischen mir und Manuel. Doch dann betraten wir das Kindeshaus von einem Mörder.


Sommer 1983 / Kürbistumor&ZomdadoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt