Ein Rätsel

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Wir fanden das Badezimmer, wo selbst noch die Zahnbürste stand. In der Küche waren noch die Gläser und Tassen im Schrank. Selbst eine Dosensuppe, abgelaufen vor sieben Jahren, entdeckten wir in einer der unteren Schränke. Das Büro befand sich auch noch im Erdgeschoss. Ebenso ein Zimmer, dass vermutlich als Essbereich und Raucherstube genutzt wurde. In ihm stand ein großer runder Tisch mir sechs Stühlen dran. Daneben waren zwei grüne Sofa, die in der Mitte einen Tisch stehen hatten. Auf diesem Tisch standen zwei Aschenbecher, wo auch noch Stummel von Zigaretten drin lagen. Neben dem einen Aschenbecher lag eine Brille, die jedoch ein kaputtes Brillenglas hatte. Zerschlagen in tausend Teilen.

"Lass uns mal nach oben. Vielleicht gibt es dort etwas zu entdecken", flüsterte ich den anderen zu. Unten hatten wir alles gesehen. Bis auf den Keller. Den sparten wir uns auf. "Maurice geht vor", grinste ich noch. Doch er schüttelte den Kopf. "Ich gehe hinter euch, aber nicht als letzter. Ich will nicht von hinten gepackt werden." Seine großen Augen glubschten in die Runde. Michael lächelte Maurice an. Vermutlich dachte er, was für ein Kind Maurice war. Ich jedoch, konnte ihn verstehen. Seine Familie hatte ihm nur Ordnung eingeprägt. Und wir verzogen ihn. Wenn seine Mutter das wüsste, würde er links und rechts, welche hinter die Ohren bekommen. Und wir vermutlich auch.
Manuel war der einzige, der aufgrunzen musste. "Ich gehe vor, wenn unsere Prinzessin sich nicht traut." Somit nahm er Michael die Taschenlampe aus der Hand und ging vor uns weg.

Vor der Treppe blieb er jedoch stehen und blickte sie empor. Gerade um den oberen Stock rangten sich die Geschichten. Jemand sollte sich erhängt haben, nachdem die Schule sich verändert hatte. Vielleicht sogar der Mörder vom Besitzer dieser Waldhütte. "Also schön." Manuel atmete tief durch und setzte seinen Fuß auf die erste Stufe der Treppe. Dann den zweiten. Sie knarrte Laut, als würde sie jede Sekunde nachgeben und wie ein Kartenhaus zusammenfallen. Mit Manuel auf sich. Doch er stieg weiter hinauf, sodass wir ihm folgten. Erst, als er ganz oben war, erklang ein hölzerner Knall, etwas rieselte und ein lauter Schrei von Manuel durchhallte das Treppenhaus. Stocksteif blieben wir stehen und starrten auf Manuel. Sein Fuß steckte in einer Stufe. Das Holz hatte unter seinem Gewicht nachgegeben. "Hilfe", fiepste er. Doch niemand traute sich auch nur einen weiteren Schritt zu machen. Wenn die Treppe schon bei Manuel, dem leichteste von uns, brach, was würde dann bei uns passieren? Ich schluckte.

"Das war der Fluch." Maurice flüsterte, als würde er eine Gruselgeschichte erzählen. "Nein, das war marodes Holz. Jetzt hilft mir doch einer!", giftete Manuel los. Ich sammelte meinen Mut und stieg die paar Stufen hoch, bis ich bei ihm ankam und seinen Fuß aus der Treppe befreite. "Passt ja auf", sagte ich zu Michael und Maurice, die uns von weiter unten anstarrten. Selbst in Michaels Augen lag Angst. Angst und Respekt vor der Treppe. Vor dem Haus.

Heile kamen wir im Obergeschoss an. Auch hier sah es schrecklich aus. Kaputt und voller Spinnenweben. Das Bett im Schlafzimmer war jedoch noch gemacht. Als hätte eben noch jemand die Kissen aufgeschlagen. Auf dem Nachttisch lag ein Stapel mit Büchern. Es war gruselig. Das fahle Licht, welches durch die kaputten Fenster schien und Schatten warf, machte alles nur noch unheimlicher.

"Kommt mal hier her!" Manuel rief aus einem anderen Raum. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass er sich von uns getrennt hatte. Schnell folgten wir seiner Stimme und betraten einen großen Raum. Dachbalken zierten die Decke und Wände. "Guckt mal." Manuel zeigte nach vorne. Wir alle folgten seinem Finger. Dort auf dem Boden lagen zwei Matratzen. Davor Zeitschriften, Gläser und Zigarettenstummel. "Denkt ihr, hier haben sich Drogensüchtige eingenistet?", fragte Michael verwirrt.  "Das denke ich nicht." Ich ging vorsichtig über die knarrenden Dielen zu den Matratzen. Auf ihnen lag eine dicke Staubschicht. Vermutlich waren sie schon lange nicht benutzt worden. "Hier war langer keiner mehr." Ich ging in die Hocke und griff nach einer der Zeitschriften. "Von 1969." Ich staunte. "Sieben Jahre nach dem Mord von dem Schulleiter", erzählte Maurice uns. "Das du das wieder weißt." Manuel ging neben mir in die Hocke und sah sich auch eine Zeitschrift an. "Wie aufregend das ist." Er pustete den Staub weg. Sofort fing ich an zu Husten. Es war viel Staub.

Die anderen beiden hatten sich hinter uns gestellt und sahen, über unsere Schultern, auf den Inhalt der alten Zeitschriften. "Guck mal." Manuel tippte mit dem Finger auf etwas geschriebenes. Ich runzelte die Stirn. "Horst Freidung", las ich vor. "Der Rätselsteller." Fragend sah ich Manuel an, der nur die Schultern zuckte. "Rätsel?" Michael beugte sich zu uns. "Was für ein Rästel?" "Das würde ich auch gerne wissen", antwortete ich ihm überlegend. Meine Neugier war geweckt.

Sommer 1983 / Kürbistumor&ZomdadoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt