Kapitel 1 | Nevio

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Angewidert verzog Nevio sein Gesicht, als er zwischen den vielen anderen Schülern geradezu eingequetscht wurde. Die Gerüche von Schweiß und noch übriggebliebenen Deoresten unter den Achseln sämtlicher Leute stiegen ihm in die Nase und Nevio war sich sicher, er würde nicht mal mehr anders riechen, wenn er hier endlich heraus kam. Seine relativ kleine Hand klammerte sich an der orangen Stange fest, die schon etwas rutschig von dem vermischten Schweiß war. Widerlich. Und anstatt, dass der Busfahrer die Dachluke öffnete, ließ er sie alle hier in diesem Gestank verrecken.

Mit dem Bus zu fahren, war immer die Hölle, fand Nevio zumindest. Aber im Sommer war es ganz besonders schlimm, vor allem wenn man Stehen musste. Normalerweise war seine Mum an Tagen wie diesen gnädig genug, um ihn von der Schule abzuholen, aber heute war wohl ein Vorstellungsgespräch dazwischen gekommen, was Nevio auch gelegen kam. Denn wenn seine Eltern jemanden einstellen würden, müsste er an den Samstagen seltener in der Bar seiner Eltern aushelfen. Allerdings war es Nevio irgendwie klar, dass er an den Samstag Abenden trotzdem nichts unternehmen würde. Wahrscheinlich würde er nur seine Katze streicheln oder Netflix schauen, aber immerhin musste er nicht mehr so oft mitarbeiten.

Mit einem erleichterten Keuchen reckte der zierliche Junge seinen Kopf in den Nacken und sah dabei zu, wie die Dachluke sich schließlich doch langsam öffnete. Endlich. Er spürte automatisch etwas vom Fahrtwind kühle Luft durch sein Gesicht wehen, die ihn sich allmählich beruhigen ließ. Diese Hitze und dieser Gestank waren einfach nur unerträglich für ihn gewesen. Trotzdem nahm er den beißenden Geruch des Kerls neben ihm noch genau wahr. Der Typ war geradezu ein Riese, allerdings wohl ein Riese ohne Dusche - so roch der Fremde zumindest.

Demonstrativ drehte Nevio seinen Kopf zur Seite weg und sah aus dem Fenster heraus. Er selbst war in den letzten Wochen ein kleines Stück gewachsen und knackte nun fast die ein Meter siebzig. Trotzdem war er noch einer der Kleinsten in seiner Klasse und selbst sein vierzehnjähriger Nachhilfeschüler war ein paar Zentimeter größer als er selbst.
Zu Nevios Glück stieg der Riese schon an der nächsten Haltestelle aus, sodass es erstens ein bisschen angenehmer in diesem Bus roch und er zweitens etwas mehr Bewegungsfreiheit hatte. In der entstandenen Lücke direkt neben sich, stellte Nevio seinen schweren Rucksack ab und atmete tief durch. Hätten seine Eltern das dämliche Vorstellungsgespräch nichts anders legen können? Dann würde er hier nicht wie ein Idiot herumstehen müssen und seine Nase würde auch weniger leiden...

Nevios Haltestelle war eine der letzten, aber als der Bus an dieser hielt, sprang er schon fast aus dem Bus in die Freiheit und atmete erstmal tief durch. Statt des typischen Londoner Regenwetters brannte heute die Sonne vom Himmel und ließ Nevio sich noch mehr wünschen, schon Zuhause zu sein. Darauf achtend, bei den Steinen des Bürgersteigs nicht auf diese Rillen zu treten, schlenderte er in Richtung seines Zuhauses und ließ sich dabei vom leicht aufkommenden Wind die braunen Locken zerzausen.

Der Junge lebte mit seinen Eltern, denen eine relativ beliebte Bar gehörte, seiner älteren Schwester und seiner Katze in einer Wohnung, die sich direkt über besagter Bar befand. Das Haus war von außen her zwar ziemlich alt und die Fassade stand sogar unter Denkmalschutz, aber im Inneren war es neuer, doch trotzdem noch ziemlich gemütlich.
So wie meistens als Nevio das Haus betrat, nahm er direkt die Treppe nach oben, anstatt erst in der Bar vorbeizuschauen. An ihrer Wohnungstür hing ein "Privat" - Schild, denn es war schon öfter vorgekommen, dass Gäste sich hierher verlaufen hatten. Mit seinem eigenen Schlüssel öffnete der zierliche Junge die Wohnungstür und ließ diese einfach hinter sich zufallen.

Nevio schlüpfte aus seinen Schuhen, hielt es aber nicht für nötig, sie zur Seite zu stellen, sondern ließ sie einfach mitten im Flur liegen. Eine Jacke hatte er bei der Hitze gar nicht erst angezogen, die hätte er spätestens ab der ersten großen Pause sowieso in seinen Rucksack stopfen müssen. In seinen Kuschelsocken, für die es eigentlich viel zu warm war, schlitterte Nevio die Fliesen geradeaus entlang, denn am anderen Ende des Flurs, direkt gegenüber von der Wohnungstür, befand sich sein eigenes Zimmer, in dem der Junge die meiste Zeit verbrachte.
Die Tür war wie immer einen Spalt breit geöffnet, damit Yoda, benannt nach Meister Yoda von Star Wars, immer rein und raus laufen konnte, wann sie wollte. Nevio liebte die inzwischen schon recht alte Katze, er war es auch, der ihr diesen Namen gegeben hatte, als sie seiner Familie vor inzwischen siebeneinhalb Jahren zugelaufen war. 

Wie schon zu erwarten, lag Yoda in ihrem kleinen Korb, der ihr eigentlich als Bett diente, doch letztendlich übernachtete die Katze meistens bei Nevio im Bett, bei seiner Schwester Daphne oder bei seinen Eltern. Yodas Augen waren geschlossen und sie schaute auch nicht nach, wer da denn gekommen war, daher schloss Nevio darauf, dass sie eingeschlafen war und wecken wollte er Yoda auch nicht. Trotzdem ließ der Junge sich auf sein Bett fallen und kuschelte sich eng in die vielen Kissen, die er hier herumliegen hatte.
Gerade als Nevio die Augen geschlossen hatte, ertönte schon das laute Knallen der Wohnungstür, das ihn sofort zusammen zucken ließ. Nevio, der gerade noch so auf der Kante seines Bettes lag, drehte sich automatisch in Richtung seiner Zimmertür um, sodass er ohne jegliche Vorwarnung aus dem Bett rollte und auf den Laminatboden knallte. Schmerzvoll aufstöhnend rollte er sich auf den Rücken und blieb erstmal liegen, denn zum Aufstehen verspürte er keine Motivation mehr. Es war einfach viel zu warm. Dafür bemerkte er, dass er unter dem Bett mal wieder Staub saugen musste. Gerade als Nevio seine Augen erneut schloss, spürte er aber schon den kalten Luftzug durch das plötzliche Aufreißen seiner Zimmertür.

"Hm?" Verwirrt blickte der Junge in das aufgeregte Gesicht seiner älteren Schwester, doch als sie ihn auf dem Boden entdeckte, verwandelte ihr Blick sich automatisch in höchste Skepsis. "Was tust du da unten?" Daphne zog ihre ordentlich gezupften Augenbrauen zusammen, während sie auf Nevio hinabstarrte und stemmte dabei ihre Hände mahnend in die Seiten.
"Weiß nicht.." Aus großen Augen blickte der Junge zu seiner Schwester hoch und zuckte mit den Schultern, ehe er den Blick wieder an die Zimmerdecke richtete. "Schon cool, dass abgetrennte Oktopus Arme weiterhin nach Nahrung suchen. Ich meine...essen geht immer." Wieder blickte Nevio seine Schwester an, welche aufgrund seiner Worte energisch ihren Kopf schüttelte. "Das wollte ich nicht wissen, Nevio. Lass mich dir lieber was Wichtiges erzählen, danach hast du noch genug Zeit, deinen komischen Hobbys nachzugehen.." Das breite Grinsen auf Daphnes Gesicht vertiefte sich noch.

"Der, den Mum und Dad heute eingestellt haben, ist ja mal sowas von scheißen heiß. Oh. Mein. Gott. Ich glaub echt ich bin im Himmel, wenn DER mit mir zusammen arbeitet.." Aufgeregt quietschte Daphne und sprang dabei kurz in die Luft, was Nevio seine Augen verdrehen ließ. Viel lieber als mit diesem Kerl zusammen zu arbeiten, hätte er auch gerne Arme, die sich alleine Nahrung suchen konnten. Das war besser, als seiner älteren Schwester beim Flirten mit einem Typen zuschauen zu müssen, der vermutlich schlimmer aussah und roch als der stinkende Riese aus dem Bus. Nevio rümpfte seine Nase beim bloßen Gedanken an diesen Kerl. Vielleicht war ein angestellter Mitarbeiter doch keine gute Idee...

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