"Darian hat angerufen"
Die ruhige Stimme seiner Mutter, die er aus der Küche hörte, ließ Nevio automatisch aufhorchen. Er saß in seinem Zimmer, Yoda, der es schon viel besser ging, auf seinem Schoß und lauschte, was seine Eltern in der Küche noch redeten.
"Ja? Weshalb?" Das war sein Vater. Nevio konnte sich bildlich vorstellen, wie er seine Brille auf der Nase zurechtrückte, während er nachfragte. "Er meinte, er ist für ein paar Tage im Krankenhaus und kann daher nicht arbeiten."Automatisch setzte Nevios Herz aus. Im Krankenhaus? Warum war Darian im Krankenhaus? Bemüht leise stand er von seinem Bett auf und tapste zur Küchentür, denn da musste er nun genauer hinhören. "Nur Vorsorgeuntersuchungen, aber wohl sehr Wichtige. Ich weiß nichts Genaueres."
Nevio spürte, wie sein Herz drohte, ihm entgegen zu springen. Krankenhaus, Krankenhaus, Krankenhaus. Das bedeutete nichts Gutes. Als sein Großvater eines Nachts ins Krankenhaus eingeliefert wurde, hatte Nevio ihn nie wieder gesehen. Und Darian...Darian durfte nicht gehen.
"Daphne!" Ohne zu klopfen platzte der Jüngere in das Zimmer seiner älteren Schwester. "Komm, lass uns zu Darian fahren. Mum sagt, er ist im Krankenhaus!"Der überraschte Blick seiner Schwester sagte alles: Sie wusste nichts davon. "Komm schon!",rief er wieder aus, denn Darian war nun viel wichtiger als irgendein künstliches Beziehungsdrama, das seine Schwester anscheinend gerade anzetteln wollte.
Das Prasseln des Regens auf dem Dach kombiniert mit der langsam eintretenden Dämmerung beruhigten Nevio anders als sonst nicht, er wurde bloß noch hektischer. Mit einem Satz rannte er wieder zurück auf den Flur und zwängte sich dort in seine roten Gummistiefel, die er brauchte, um keine nassen Füße zu bekommen."Schatz?" Erschrocken fuhr Nevio herum und blickte in das Gesicht seiner Mutter, die die Küche inzwischen verlassen hatte und ihn nun stirnrunzelnd anblickte. "Wo willst du hin? Es wird gleich dunkel.."
Nevio keuchte. "Wir fahren zu Darian. Daphne und ich." Völlig außer Atem blickte er seine Mutter an, die Sorgenfalten standen auf seiner Stirn und er fühlte sich schrecklich ausgelaugt. Er schwitzte leicht und sein Magen fühlte sich unangenehm kribbelig und komisch an. Vermutlich wurde er krank.
Seine Mutter fuhr vorsichtig mit einer Hand über seine trotzdem kalte Stirn. "Seit wann interessierst du dich denn so sehr für Darian?""Uhm.." Was war das für eine Frage? Nevio spürte, wie ihm sämtliches Blut in die Wangen schoss und ihn tief erröten ließ. Nervös knetete der Junge seine Finger, allerdings so fest, dass sie schon schmerzten, während er unter den forschenden Blicken seiner Mutter zusammen schrumpfte. "Schon gut, Schatz. Das muss dir doch nicht unangenehm sein. Als ich in deinem Alter war, hatte ich auch einen Schwarm und nein, es war nicht dein Vater. Auch nicht der Freund meiner Schwester, sondern..-" Megan verstummte, als sie das Zuschlagen einer Tür hörte.
"Du...du stehst auf Darian?" Es war bloß dieses gefährliche Zischen von Daphne zu hören, während sie ihren kleinen Bruder mit bösen Blicken musterte. "Was?..Nein..!" Erschrocken schüttelte Nevio den Kopf und trat gleichzeitig einen Schritt von seiner Mutter zurück. Unsicher senkte er den Blick. Nein, er stand doch nicht auf Darian, immerhin war er Daphnes Freund. Daphnes Freund. Leider. Trotzdem war er es gewesen, der Darian zuerst gesehen hatte. Zählte das überhaupt nicht?
"Lass gut sein, Daph",mahnte seine Mutter seine Schwester inzwischen und strich ihr liebevoll eine ihrer heute gelockten Haarsträhnen hinter ihr Ohr. "Fahrt jetzt ins Krankenhaus. Darian braucht dich dort, okay?" Sanft lächelte die zweifache Mutter, doch trotzdem war Nevio vollkommen bewusst, dass sie ihm das nicht abgekauft hatte."Ja...lass uns fahren..",mumelte er monoton vor sich hin und bückte sich kurz, um Yoda zum Abschied zu streicheln. "Dann komm auch..",schnarrte Daphne wiederum und stand schon in der Wohnungstür, weshalb Nevio rasch stolpernd aufstand und ihr die Treppe hinunter folgte, denn noch mehr reizen wollte er seine Schwester jetzt nicht. Daphne wirkte so schon wütend genug.
Während der gesamten Fahrt sprachen sie kein einziges Wort miteinander. Schweigend starrte Nevio aus dem Fenster des Beifahrersitzes und beobachtete den prasselnden Regen, der lautstark gegen die Scheibe prasselte. Ihren Regenschirm teilte Daphne nicht mit ihm, weshalb Nevio völlig durchnässt im Krankenhaus ankam. Er zitterte etwas und trottete fast schon wie ein Hund hinter seiner Schwester her, die selbstbewusst auf die Rezeption zuschritt um nachzufragen, in welchem Zimmer sie Darian finden würden.
"Zimmer 134. Beachten Sie aber bitte, dass der Patient viel Ruhe braucht",erklärte die Dame von der Rezeption freundlich. Nevio konnte beobachten, wie Daphne zuckersüß nickte und mit einem "Natürlich" antwortete. An ihrer Seite machte er sich auf den Weg zu den Fahrstühlen, die sie nach oben bringen sollten. "Warte hier, Nevio. Ich muss vorher noch kurz zur Toilette." Daphne öffnete die Tür zur Damentoilette und trat hinein. Warten? Nevio grinste. Sicher nicht. So drückte er ohne nachzudenken den Knopf für den Fahrstuhl und trat, als dieser die Tür die öffnete, ohne zu zögern hinein.
Zielstrebig drückte er auf den Knopf mit der 1, der ihn ins erste Obergeschoss führen sollte, wo Darian nach Auskunft der Rezeption lag. Daphne würde schon nachkommen. Sein dummes Herz pochte aufgeregt gegen seinen Brustkorb, weshalb er den Flur schon fast hinab rannte. 131, 132, 133...134! Endlich. Mit einem Ruck blieb Nevio vor der angebenen, verschlossenen Tür stehen? Sollte er klopfen? Oder doch lieber zurück nach unten rennen und dort auf Daphne warten? Es war egoistisch, aber wenn er jetzt schnell reinging, so hätte Nevio Darian wenigstens für ein paar Minuten für sich all...was? Erschrocken machte er einen Satz rückwärts, als sich die Tür von Zimmer 134 so plötzlich öffnete und ihm ein schon etwas älterer Arzt entgegen blickte.
"Kann ich dir helfen?" Nevio musste lächerlich aussehen, komplett durchnässt und mit den komischen Gummistiefeln an den Füßen. "Ich...ich wollte jemanden besuchen.." Angespannt versuchte er ins Innere des Zimmers zu schielen, in dem Dariam liegen müsste. "Na dann, mal los. Nur keine falsche Scheu." Der Arzt lächelte herzlich, ehe er Nevio alleine zurückließ. Einmal atmete der Junge noch tief ein und aus, ehe er seinen Kopf ins Innere des Zimmers steckte.
"D-Darian?" Nevio selbst bemerkte kaum, wie seine Stimme zitterte, als er die Zimmertür langsam hinter sich schloss. "Nevio? Hey.." Darian war die Überraschung anzusehen, ausgerechnet ihn hier zu sehen. Aber er war hier. Er war wirklich hier. Sein Herz schien Saltos zu schlagen, während der angenehme Schauer beim Klang von Darians Stimme seinen Rücken hinunter lief. "Hey.." Fast schon erleichtert grinste Nevio - und Darian grinste zurück. Verdammt, war sein Grinsen süß. Viel zu süß. "Du bist nass..",stellte der Ältere stirneunzelnd fest, doch Nevio schien ihm kaum zuzuhören. "Und du...du bist schön.." Die Augen. Diese verdammten Augen. Erst einige Sekunden später schaffte er es, seine Worte zu realisieren und wurde panisch. "Ich meine...ich weiß. Es...es regnet...sehr doll sogar." Mit roten Wangen blickte er statt auf seine eigenen Hände nun auf Darians. Die waren auch schön. Was an ihm war eigentlich nicht schön?
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Lasting Crush [bxb]
Teen FictionWahre Liebe hält für immer, oder etwa doch nicht? Als seine Schwester Daphne plötzlich Darian, den neuen Angestellten in der Bar seiner Familie, zum Übernachten zu ihnen nach Hause einlädt, ist Nevio überhaupt nicht begeistert. Aber irgendwas Anzie...