Kapitel 22 | Darian

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Es war ein neuer Tag, doch Darian wusste das Ganze könnte nicht auf Ewig so weitergehen. Er konnte nicht noch länger bei seinem besten Freund auf der Matratze schlafen, mit einem Rucksack voller Kleidung und ein paar Scheinen Bargeld auskommen und seine Arbeit in der Bar neben der Uni erledigen. Er hatte nicht überlegt gehandelt und doch schien der Fehler von zuhause abzubauen der beste seines Lebens gewesen zu sein. Wie sonst hätte er seinen kleinen Vio kennenlernen sollen? Naja, so ganz stimmte das auch nicht. Darian hatte Nevio schon viel länger gekannt, doch er war es gewesen der sich nicht mehr an den süßen, kleinen, schüchternen Jungen hatte erinnern können.

Aber Heute würden sich so einige Dinge ändern. Die Sonne schien mild am leicht bewölkten Himmel und während Darian sich fragte, wie lange der Sommer bei diesen Wetterschwankungen wohl noch anhalten würde, überquerte er mit äußerster Vorsicht die große Kreuzung an der die Ampeln öfter ausfielen als manche Leute ihre Unterwäsche wechselten. Darians Gedanken schweiften weiter in eine Richtung, die für ihn war als würde er sich in einem nebligen Sumpf befinden. Zwischen den weißen Schleier konnte er ein Paar funkelnd graue Augen erkennen, hörte ein süßes, kindliches Kichern und immer wieder kam Darian dieser eine Moment in den Sinn, in dem er damals im Camp mit Nevio auf seinem Skateboard gefahren war. Es waren Gedanken und Erinnerungen die seine Lippen in die Höhe zucken ließen, doch bei denen sein Herz wehmütig schmerzte, denn wer wusste schon ob sich Darian jemals wieder vollständig an die alten Zeiten erinnern könnte?

Was zählt sind die Gegenwart und die Zukunft!

Jedes Mal aufs Neue sagte Darian sich selbst, dass die Vergangenheit keine Rolle spielte. Er hatte den Jungen von damals wiedergefunden, ob aus Schicksal oder Zufall stand in den Sternen, doch Darian wusste er würde Nevio nicht wieder einfach aus seinem Leben verschwinden lassen.
Da war nur ein kleines Detail, das an ihm nagte und ihn nicht loslassen wollte. Doch er würde sich bei seinen Eltern endlich Klarheit darüber verschaffen. Darian würde keine halbherzigen Erklärungen oder ausweichenden Worte mehr akzeptieren, denn was er wollte war einfach nur die reine Wahrheit.

Trotzdem musste der junge Kunststudent erst einmal tief durchatmen als das riesige Haus mit der weißen Außenfassade und dem perfekt gepflegten Vorgarten vor ihm aufragte. „Du schaffst das, Darian", sprach er sich Mut zu und im selben Moment, in dem er die Klingel betätigte, wurde auch schon die Tür aufgerissen und ehe Darian sich versah, befand er sich in den Armen seiner zart gebauten Mutter, die mit einem mal die Kraft von Hulk besitzen zu schien. „M-Mom, wa-", „Was fällt dir eigentlich ein, Darian OʼNeil?!" fauchte die zitternde Stimme der Frau, dessen dunkles Haar feine graue Strähnen am Ansatz aufwiesen und auch als seine Mutter ihren gläsernen Blick hob, schien sie plötzlich um zehn Jahre gealtert zu sein. Tiefe Sorgenfalten lagen auf ihrer Stirn und ihre Haut schien viel zu blass im Vergleich zum letzten Mal in dem Darian seine Mutter gesehen hatte, auch schien sie einiges an Gewicht verloren zu haben.

„Nicht nur das du einfach so nach einem kleinen Streit abhaust... Warum bist du nicht an dein Telefon gegangen? Warum hast du nicht auf unsere Nachrichten geantwortet? Wo warst du die ganze Zeit über? Ich habe bei der Polizei angerufen, aber sie sagten immer wieder, dass so ein Fall nicht als vermisstenanzeige aufgenommen werden kann..." Die Frau mittleren Alters klammerte sich an den Schultern ihres Sohnes fest als könne dieser jede Sekunde erneut vor ihren Augen verschwinden so wie damals als sie diesen Anruf vom Krankenhaus bekommen hatte das ihr Sohn mit schweren Verletzungen im OP lag. Doch dieses Mal war das Telefon beinahe beängstigend ruhig geblieben.

Ein schwerer Klos hatte sich in Darians Hals gebildet und gerade fiel es ihm unglaublich schwer seine Stimme zurück zu erlangen. „Es tut mir leid, Mom... Beruhig dich bitte, mir geht es gut." Darian befeuchtete seine trockenen Lippen und schob seine besorgte Mutter sanft in den Flur des Hauses hinein, wo er seinen Rucksack abstellte und sich die Schuhe auszog und sie ordentlich zur Seite stellte, so wie es sich in diesem Haushalt gehörte. „Um ehrlich zu sein bin ich nicht ganz ohne Grund zurück gekommen, ich habe Fragen, viele Fragen.“ Ein seufzen war zu hören, so als ob Mrs. OʼNeil sich bereits ihren Teil gedacht hatte. Sie wusste sie konnte ihren Sohn nicht auf Ewig hüten wie einen teuren Schatz. „Ich weiß, Darian, ich weiß...komm erstmal und setz dich ins Wohnzimmer, ich bringe dir einen Tee.“ Darian schluckte seine Ungeduld herunter und nickte, kam der Aufforderung seiner Mutter schweigend nach und betrat das geräumig, helle Wohnzimmer, welches ihm im Winter sogar am besten gefiel, denn der große weiche Teppich und der Kamin waren perfekt um eine gemütliche Stimmung zu erzeugen. So manche Nacht hatte Darian auf dem dunklen Parkett vor dem warmen Feuer gesessen und durch das riesige Panorama in die Sterne gesehen, denn für ihn gab es in schlaflosen Zeiten nichts schöneres.

„Wo ist Dad?“ Darian nahm die dampfende Tasse entgegen als sich seine Mutter neben ihn auf das weiße Ledersofa setzte, auch wenn er im Sommer kalte Getränke bevorzugte. „Arbeiten, aber er müsste bald zurück sein.“ Wieder nickte der dunkelhaarige und starrte in die bräunliche Flüssigkeit in der Tasse. Ein unangenehmes Schweigen hatte sich zwischen Mutter und Sohn ausgebreitet, was die Ältere mit einem Räuspern zu brechen versuchte. „Du sagtest du hast Fragen...geht es dir gut? Liegt dir etwas auf dem Herzen?“ begann die Frau des Hauses unsicher und verschränkte ihre Finger miteinander. Irgendwann wäre diese Situation unausweichlich gewesen.

„Du weißt doch, dass ich immer noch nicht in Autos steigen kann“, brachte Darian heraus und wusste mit einem Mal nicht mehr so recht wo er starten sollte. „Ich dachte immer es wäre in Ordnung mit den Folgen zu leben, aber so ist es nicht... Mom...ich...ich habe die schnauze voll mich selbst zu belügen. Weißt du wie beschissen es ist zu wissen das einem etwas fehlt, aber nicht sagen zu können was genau? Ich weiß mir fehlen Erinnerungen, aber welche? Was vermisse ich, wenn ich mich doch gar nicht daran erinnern kann?“ Verzweiflung stand dem jungen Mann ins Gesicht geschrieben, purer Schmerz war es der sich in seinen Augen spiegelte und Mrs. OʼNeil wusste sich nicht anders zu helfen als ihren Jungen in die Arme zu schließen und ihm die Tasse Tee aus den Händen zu nehmen, um sie auf den kleinen Glastisch zu stellen.

„Schatz, du brauchst sie ni-“
„Und wie ich sie brauche!“ widersprach Darian sofort und schob seine Mutter von sich. Sie hatte es nie verstanden, sie wusste nicht wie es war die Person zu vergessen, die einem so viel bedeutete wie niemand anderes. Sie wusste nicht wie es war, wenn die halbe Kindheit einfach ein riesiges Fragezeichen wurde. „Du und Dad wolltet nie das ich mich erinnere...Warum? Warum habt ihr mir nichts erzählt, von dem Camp, von meinen Freunden, von...“, „Von diesem Jungen? Nevio?“ Fragte Mrs. OʼNeil bitter, denn sie konnte sich denken das die beiden nach all den Jahren wieder aneinander geraten waren.

„D-du kennst seinen Namen?“ stotterte Darian und raufte sich seine Haare. Was zum Teufel hatten seine Eltern sich dabei gedacht ihm von all dem fernzuhalten? Warum hatten sie nie gewollt das er sich erinnerte? Doch hatte Darian nicht damit gerechnet, dass sein Vater plötzlich im Türrahmen stand und ihn schmerzverzerrt ansah.

„Natürlich kennen wir den Namen von der Person, die Schuld ist, dass du beinahe gestorben wärst!“

Lasting Crush [bxb] Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt