Kapitel 7 | Nevio

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"Schatz? Mit heute Abend klappt doch alles, oder?"
Megan Kingsley steckte ihren Kopf durch den geöffneten Türspalt in das Zimmer ihres Sohnes, nachdem sie kurz angeklopft hatte. Nevio saß auf seinem Bett, sein Blick war auf sein Handy gerichtet, dann aber schaute er auf und nickte knapp, was seiner Mutter ein Lächeln entlockte. "Danke, mein Schatz. Darian kommt so gegen sieben, ja? Und um halb acht müsst ihr spätestens öffnen. Du darfst nicht vergessen, die Wohnungstür abzuschließen und lass auf gar keinen Fall irgendwelche Schlüssel rumliegen. Okay?" Sie trat weiter in das Zimmer ein und gab ihrem wieder nickenden Sohn einen kleinen Kuss auf den Kopf.
"Ich bin stolz auf dich.." Die zweifache Mutter strich Nevio ein paar Haare aus der Stirn. Wieder bekam sie bloß ein Nicken von ihm, doch das war Megan gewohnt.
Erst als seine Mutter das Zimmer verlassen hatte, murmelte Nevio ein leises "Hm.." vor sich hin. Es war Freitag Nachmittag, er müsste jetzt eigentlich im Geschichtsunterricht sitzen, doch Nevio hatte die letzten zwei Stunden geschwänzt. Genau genommen wussten seine Eltern nicht einmal, dass er freitags nachmittags Unterricht hatte, weil er so gut wie immer schon nach der sechsten Stunde zu Hause eintraf.

Aber heute war der Hochzeitstag seiner Eltern, weshalb sie auch über Nacht in ein Welness Hotel fahren würden und seine Schwester Daphne war auf der Geburtstagsfeier einer ihren Freundinnen. Das bedeutete, dass die Verantwortung für die Bar an diesem Abend in Nevios Händen lag, aber wie jeden Tag würde auch Darian zum Arbeiten kommen. Seit dem Morgen vor vier Tagen, als er Darian versehentlich als Mörder bezeichnet hatte, hatte Nevio ihn schon nicht mehr gesehen. Und wenn er ganz ehrlich sein sollte, dann wollte er ihn auch nicht mehr wiedersehen, aber da hatte der Junge keine Wahl - außer er würde die Bar heute geschlossen lassen, hier oben bei Yoda bleiben und auch Darian nicht reinlassen. Doch tief in seinem Inneren wusste Nevio, dass das keine Option war. Eine andere Sache wäre natürlich eine Zombieapokalypse mit Weltuntergang, aber in zwei Stunden und dreiundvierzig Minuten würde sich sowas niemals organisieren lassen.

Nevio nutzte die verbleibende Zeit alleine mit Yoda in der Wohnung, um ausgiebig zu essen. Wie so oft schmierte er sich ein Brot mit Nutella und legte noch extra Bananenscheiben oben drauf, ehe er sich wie immer neben seine Yoda auf den Boden setzte. Liebevoll streichelte der Junge über ihren kleinen Kopf. Was würde er tun, wenn er Yoda nicht hätte? "Glaubst du, es ist eine gute Idee, mit Darian alleine unten zu arbeiten?",wollte er leise wissen, während er Yoda weiterhin anschaute. Sie antwortete ihm zwar nicht auf seine Fragen, doch trotzdem war Nevio sich ganz sicher, dass sie ihn verstehen konnte. Immerhin waren sie beste Freunde. Trotzdem konnte Nevio nicht verbergen, dass ihm beim Gedanken an Darians raue Stimme und sein schönes Gesicht etwas schwummerig wurde. "Er hat morgen sein Date mit Daphne..",fuhr Nevio leise fort und knabberte dabei an seiner Unterlippe herum. "Sollte ich ihm die Kondome mitgeben, die Mum mir zum Geburtstag geschenkt hat?" Nachdenklich blickte er Yoda an. "Ich will ja kein Onkel werden und überhaupt...warum datet sie jetzt Darian? Das ist doch voll unfair.." Seine Schwester hatte doch andauernd Dates und er nie. Aber was machte er falsch? Nachdenklich sah Nevio an sich herunter und runzelte die Stirn. Es mussten einfach die fehlenden Brüste sein und sein kleiner Finger an der rechten Hand war auch total krumm. Seine Haare lagen meist nicht ordentlich.
Noch völlig in Gedanken spürte er, wie Yoda ihn vorsichtig anstupste. Sofort legte Nevio einen Arm um sie, während er mit der anderen Hand sein Brot festhielt, in das er genüsslich hineinbiss.

"Hey..",erklang schon um kurz vor sieben Darians raue Stimme in der Bar. Der junge Mann zog seine Jacke aus und zum Vorschein kam ein schwarzes Hemd, welches ihm einfach nur ausgezeichnet stand. Niemandem stand die Arbeitskleidung so gut wie Darian.
"Hallo..",antwortete Nevio bloß leise und sah wieder an sich herunter. Sein eigenes schwarzes Hemd war etwas zu groß, weil seine Mutter meinte, er würde dort hineinwachsen. Das war in den zwei Jahren, im denen er es schon trug, aber nicht passiert. Wortlos machte der Junge sich daran, die Teelichter auf den Tischen anzuzünden, wie seine Mutter es sonst immer tat.

Nur aus dem Augenwinkel bemerkte Nevio, wie der Ältere sich hinter die Theke stellte und ihn anscheinend beobachtete. Zu gerne hätte Nevio etwas gesagt, aber ihm fiel einfach nichts Gescheites ein, so zündete er schweigend die Kerzen an und stellte sich dann neben Darian hinter die Theke.
"Hier.." Unbemerkt hatte Nevio ein Kondom aus seiner Hosentasche gezogen, welches er Darian hinhielt. "Damit du meine Schwester nicht schwängerst.." Ein leichte Röte überzog seine sonst so blassen Wangen, während er in Darians schönes, aber sichtlich verblüfftes Gesicht starrte. "Was? Sag mir bitte, dass du weißt, wie das funktioniert. Ich will das nicht erklären.." Nervös knabberte Nevio an seiner Unterlippe herum und spielte mit seinen dürren Fingern.
Angespannt beobachtete Nevio, wie Darian eine Augenbraue in die Höhe zog. "Ich weiß, wie das funktioniert, Kleiner, und ich hab auch selber welche. Und die Größe passt sowieso nicht" Ein belustigtes Grinsen zuckte über Darians Lippen, welches Nevio erschüttern ließ.
Überfordert stopfte er die Verpackung wieder in seine Hosentasche zurück und eilte dann an Darian vorbei, um die Tür endlich aufzuschließen. "Ach, Nevio?" Langsam drehte der Kleinere sich wieder um, um abzuwarten, was er noch zu sagen hatte. "Ich hab nicht vor mit deiner Schwester zu schlafen.."

"Ah..",machte Nevio nur und trat einen kleinen Schritt rückwärts, nicht wissend, dass einer der Barhocker direkt hinter ihm stand. Dieser fiel mit einem lauten Aufschlag zu Boden, der Nevio erschrocken kreischen und stolpern ließ. Mit geröteten Wangen wollte er sich gerade bücken und den Hocker aufheben, als er ein Klopfen an der Fensterscheibe vernahm. Wie automatisch zuckte sein Kopf in die entsprechende Richtung und starrte in die lachenden und höhnenden Gesichter von manchen seiner Mitschüler.

Nun war es soweit, Nevio wollte einfach nur noch weg - sich mit Yoda oben aufs Sofa kuscheln, auf Lautstärke 16 beim Fernseher König der Löwen schauen und dabei eine Schokobanane essen. Am Liebsten Vollmilch. Doch das ging nun nicht. Stattdessen biss Nevio fest auf seine Unterlippe und stellte den Barhocker wieder auf, ehe er mit gesenktem Kopf zur Tür eilte, um diese aufzuschließen.

Sofort schob Ryan, der Obergorilla der kleinen Gruppe, sich an Nevio vorbei und schubste ihn dabei ein Stückchen nach hinten. "Nicht mal laufen kannst du, Missgeburt..",höhnte er laustark und verpasste Nevio einen kleinen Klaps auf den Hinterkopf, was seine Freunde zum Lachen brachte. Sie taten ihm nichts. Das taten sie nie. Aber sie taten auch nichts gegen Ryan. Niemand tat das.
"Vier Shots an unseren Tisch, kleine Schwuchtel. Die gehen aufs Haus, nur damit das klar ist.." Ryan lachte und führte seine Freunde dann zu einem der Tische, nachdem er Nevio etwas in Richtung Theke geschubst hatte.
Die aufkommenden Tränen schwer schluckend, bereite er die gewünschten Shots zu und drückte Darian, der die ganze Situation schweigend beobachtet hatte, das Tablett in die Hand. "Bedien du die bitte.."
Von Darian kam ein leichtes Nicken, ehe er sich auf den Weg zum Tisch machte und die Shots an die vier Jugendlichen austeilte.

Nevio selbst hatte seinen Blick bloß emotionslos auf den Fußboden gesenkt. Seine Fingernägel gruben sich schmerzhaft in seine Handinnenflächen, denn er durfte jetzt und hier keine Schwäche zeigen. Er ignorierte den krampfenden Knoten in seinem Magen und versuchte stattdessen sich darauf zu konzentrieren, wie Yoda und er später kuscheln würden. Sein einziger Lichtblick für diesen Abend.

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