"Wer zum Teufel bist du und woher kennst du mich?!"
Diese Frage hallte unendliche Male in Nevios Kopf wieder. Für einen Moment sagte er gar nichts, versuchte nur sein rasendes Herz unter Kontrolle zu bekommen und drückte den kleinen Zettel noch näher an sich. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, diesen von Austin anzunehmen. Darian hatte Recht. Es gehörte eigentlich ihm. "Ich...uhm..." Nevio knabberte hektisch an seiner Unterlippe herum. Sollte er ihm den Zettel zurückgeben? Oder ihm sogar alles sagen, was er wusste?
Nein, Letzteres würde er nicht tun. Auf gar keinen Fall. Denn während er derjenige war, der noch Jahre später immer und immer wieder an Darian gedacht hatte, schien Darian derjenige gewesen zu sein, denn ihn restlos aus seinem Gedächtnis gestrichen hatte.Aber wie sollte er sich rechtfertigen? Es war ein natürlicher Instikt des Menschen sich für so gut wie alles rechtfertigen zu wollen. Ob Katzen das auch untereinander hatten? Wie von selbst fiel sein Blick auf Yoda, die noch immer auf dem Bett saß und ihn jetzt aus großen Augen beobachtete. Er würde sie später danach fragen.
"Woher kennst du mich, Nevio?"
Mit diesen Worten bohrte sich Darians Stimme brutal zurück in seine Gedankengänge und ließen ihn schaudern. Nevio schrumpfte unter den Blicken des Älteren zusammen, bis ihm plötzlich etwas einfiel. "Die eigentliche Frage ist doch, warum du in meinem Zimmer rumschnüffelst!" Mit hoffentlich genügend neu geschöpftem Selbstbewusstsein blickte Nevio auf - direkt in die schönen grün-braunen Augen des Älteren. Verdammt, hatte er ein Glück bei der Meiose gehabt, dass diese Augenfarbe herauskam. Darians Augen waren wie ein Wald - so unendlich tief, vielfältig, rätselhaft und doch faszinierend. Genau wie der Charakter des jungen Mannes, der hier vor ihm stand.Nevio behielt seine Gedanken dieses Mal für sich, während er beobachtete, wie es in Darians Kopf ratterte. "Ich hab dich zuerst gefragt..",stieß der fast Freund seiner Schwester dann plötzlich aus und blickte schon fast verzweifelt auf Nevio hinab. Er wusste also keine Antwort auf seine Frage.
"Uhm..frag Austin..",gab er selbst dann leise von sich und ließ einmal nervös seine Finger knacken. Verdammt, er hatte ihm doch keine Antwort geben wollen, aber das alles machte ihn so nervös. Die Situation machte ihn nervös. Die Frage machte ihn nervös. Und Darian machte ihn nervös - egal, was er tat, er brachte Nevios Herz zum Rasen, seine Hände zum Schwitzen und bereite ihm schon fast Bauchschmerzen, aber gute Bauchschmerzen, falls es sowas überhaupt gab. Hektisch wischte der Junge seine schweißnasse Hände an der Hose ab."D-du..du solltest jetzt gehen.." Nevio hatte vergessen, dass er auch noch eine Antwort zu bekommen hatte, stattdessen senkte er den Blick um nicht mehr in diese Augen starren zu müssen. Und diese Hände. Ihm schossen Bilder in den Kopf - seine Hände direkt über Darians auf diesem Controller. Erinnerungen, die er gleichermaßen für immer aus seinem Kopf verbannen, aber auch erneut zur Realität machen wollte. Es war verrückt. Und doch wusste Nevio tief in seinem Inneren: Wenn er die Chance hätte, dann würde er sie ohne weiteres Zögern ergreifen, um Darian erneut über die Regenbogenstrecke zu führen. Oder irgendwo anders hin. Überall hin.
Erst als Darian den Raum und schließlich auch die gesamte Wohnung verlassen hatte, konnte Nevio aufatmen. Wie von selbst schlangen sich seine dürren Arme um seinen zierlichen Oberkörper. "Was war das denn, Yoda..?" Etwas taumelnd setzte er sich neben seine Katze auf das Bett. Yoda kuschelte sich sofort an ihn. Seine beste Freundin wusste einfach, wie sie ihn aufheitern konnte. Mit Yoda zu kuscheln war Nevios beste Medizin, so hob er sie vorsichtig auf seinen Schoß und ließ sich selbst auf den Rücken in die weiche Matratze zurückfallen.
Mit der schnurrenden Yoda auf seinem Schoß bemerkte Nevio kaum, wie die Zeit bereits verstrich. Irgendwann waren seine Augen einfach zugefallen, was auch seine kraulenden Bewegungen an Yodas Nacken langsam einschlafen ließ. Der anstrengende Tag, der schon fast vollständig hinter ihm lag, hatte Nevio mehr geschafft als er jemals zugeben würde. Man könnte meinen, dass ein Donnerstag, an dem man bis sechzehn Uhr Schule hatte, für jeden Sechzehnjährigen anstrengend war, denn so war es vermutlich auch. Aber es war nicht der Unterricht gewesen, der Nevio heute so niedergemacht hatte.
"Schatz?" Das leise Klopfen an seiner Zimmertür ließ Nevio aus dem ohnehin schon unruhigen Schlaf schrecken, sodass er den Kopf hob und etwas verwirrt in die braunen Augen seiner Mutter blickte. Yoda war gegangen. Er spürte ihr Gewicht nicht mehr auf seinem Bauch und ihre wohltuende Wärme fehlte. "Hm..?" - Nevios meistgegebene Antwort verließ als ein fragendes Brummen seine schmalen Lippen, aber anstatt zu antworten, trat seine Mum weiter in das Zimmer ein. "Du hast vergessen Yoda zu füttern, darum hab ich ihr schon vor zehn Minuten was gegeben",erklärte seine Mutter ruhig, doch das beruhigte Nevio nicht."Was?! Yoda isst ganz alleine?" Sofort war Nevio auf den Beinen, um sich zu seiner Katze zu setzen, er mochte es nicht, wenn sie alleine essen musste. Das hatte er noch nie gemocht. "Dad ist bei ihr",hielt seine Mutter ihn sofort auf. "Und Daphne und Darian sind auch da." Darian auch? Sein Herz machte einen kleinen Sprung. Darian. Hätte er nicht nach Hause gehen können? "Schatz, ich weiß doch, dass du Darian nicht so magst, aber deiner Schwester gefällt er wirklich sehr gut. Er ist immerhin ihr neuer Freund, das muss zwar nicht für immer sein, aber versuch dich doch wenigstens ein bisschen mit ihm zu arrangieren. Daphne zuliebe." Megan Kingsley lächelte ihren Sohn aufmunternd an, denn im Gegensatz zu Nevio und ihrem Mann akzeptierte sie Darian nicht nur als Mitarbeiter. Sie alzeptierte ihn nicht nur, sie mochte ihn sogar sehr und solange ihre Tochter glücklich war, war sie es auch.
"Ich...ich hab nichts gegen ihn..",nuschelte Nevio überfordert. Die waren zusammen? Warum wusste er davon nichts? Eine beißende Schnur zog sich um sein dummes, kleines Herz und drückte es immer wieder fest zusammen. Überfordert knabberte Nevio an seiner Unterlippe, denn irgendwie schaffte er es nicht, seiner Schwester diese Beziehung zu gönnen. Er hatte Darian immer noch zuerst gesehen!
"Umso besser" Seine Mutter lächelte strahlend, wodurch sie sogleich viel jünger aussah. Die ernsten Falten auf der Stirn, mit denen sie diesen Raum betreten hatte, waren verschwunden, stattdessen zeichneten sich die Grübchen an ihren Wangen ab. "Kommst du dann zum Essen?"
Erst nach kurzem Zögern nickte Nevio und trottete seiner Mutter hinterher in die Küche, wo die Lasagne schon auf dem Tisch stand, welcher gedeckt war. Einen fünften Stuhl hatte wohl jemand aus der Bar herangeschleppt, doch den würden sie nicht brauchen. "Ich dachte, ihr sitzt bei Yoda!",warf Nevio den drei am Tisch sitzenden vor. Nein, das taten sie natürlich nicht. Keiner beachtete Yoda, während sie ihr mit Medizin versetztes Futter zu sich nahm. Empört und schon fast enttäuscht setzte er sich mit dem Rücken an einen Schrank gelehnt neben Yoda auf den Boden und zog die Knie an seinen Körper heran."Nevio, bitte!" Es war sein Vater, der ihn streng ansprach und dann auf den freien Platz zwischen Darian und seiner Mutter deutete. Er wusste, dass sein Vater nur wenig Widerstand duldete, doch das war ihm völlig egal. "Nein..",sprach Nevio ruhig, sah dabei nicht mal auf, sondern fuhr mit seinen Fingern durch Yodas weiches Fell. Er würde es niemals laut aussprechen, aber sie alleine war ihm eine bessere Freundin, eine größere Hilfe als alle anderen in diesem Raum zusammen. Bei Yoda konnte er sich ausweinen, wie er es heute Nacht in seinem Bett bestimmt wieder tun würde. Er hasste diese schwache Seite an sich, aber nie schaffte er es, sie zu unterdrücken. Egal wie sehr er es auch wollte, seine Dämonen holten ihn immer wieder ein und zerfraßen ihn quälend von innen heraus. Yoda allerdings war das Pflaster für sein Herz, das ihn zumindest bis zur nächsten Nacht fast vollständig heilen ließ. Was würde er bloß ohne sie tun?
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Lasting Crush [bxb]
Roman pour AdolescentsWahre Liebe hält für immer, oder etwa doch nicht? Als seine Schwester Daphne plötzlich Darian, den neuen Angestellten in der Bar seiner Familie, zum Übernachten zu ihnen nach Hause einlädt, ist Nevio überhaupt nicht begeistert. Aber irgendwas Anzie...